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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Die luzide Nachdenklichkeit

Hamburg

So klar und freundlich sind Gedichte selten einmal. Man blickt beim Lesen bis auf den Grund, und stellt dann erstaunt fest, daß sich dort, wo man den Grund wähnte, das Bodenlose öffnet. Carsten Zimmermann verzichtet auf jede Attitüde, auf jede zwanghaft erfundene Auffälligkeit, und verbindet alltägliche Beobachtung — sei es im Supermarkt, im eigenen Zimmer, auf der Großstadtstraße, im Garten, im Dorf oder in der Landschaft des Weinbergs — mit unprätentiös formulierten philosophischen Überlegungen und der eigenen, mit der Moderne nicht immer konformen Gefühlswelt, um „jene tiefe in den dingen zu sehen, / der die tiefe des herzens antwortet“. Wie lange ist das Wort „Herz“ dem Körper, der Sprache entrissen worden! Hier darf es nun wieder an seinem angestammten Platz schlagen, ohne auch nur eine Spur Kitsch oder falsches Sentiment.

Die Abstufungen des Hellen — das Schimmernde, Lichte, Durchscheinende — sind das verborgene Leitmotiv, überall und allzeit zu finden. Hinter dem harmlosen Titel „Kiezmarkt“ verbirgt sich beispielsweise die Darstellung einer säkularen Epiphanie, sie endet mit den Zeilen: „und im leuchten der dinge, wie ein / oberton, wie ein zartes berühren, eine // strahlende milde, eine freundlichkeit, / die alles segnet und hält, man muß // es nur sehen“. Das ist so einfach ausgedrückt, wie es schwer umzusetzen ist — man muß es eben nur sehen, darin besteht die Aufgabe des Dichters, er muß die „klarheit des raums befeuern“, dann stellt sich jener Zustand einer Gleichmütigkeit ein, die alles in Lot rückt, alles in Balance hält, und „jener nexus aus wissen [...] verschwindet, [...] was beharrt, ist jenes eine, unwißbare / und alles wissende ungefähr, leuchtend und leer, erfüllt mit allem, frei von allem“. Das ist freimütig gegen die Allgläubigkeit an Faktum und Information geschrieben und hinterfragt deren westliche Vormachtstellung.

Das Wahrnehmen der Gegenwart bedeutet auch, bereits in ihr enthalten zu sein, als jener Teil, der sich in einer spannungsreichen Abneigung, einem Unbehagen gegenüber heutigen Lebensweisen empfindet. Ein Vers, der (in schönem etymologischem Spiel) dem Aperçu angenähert ist, drückt den Unterschied zwischen solcher Oberfläche und der als Wissen um das Nichtwissen in die Oberfläche integrierten Transparenz aus:

                                                       .... nur unter-
gründig segnet uns jenes transparente, das
noch mehr ist als das schlichte, begütigende

erscheinen der dinge, unserer selbst, als das
erscheinen von allem in ganzheit

Dennoch, die Dinge sind wichtig, die Dinge sind ins Licht getaucht, von Licht überzogen. Das ist eine Metapher für eine Wahrnehmungsweise, die zugleich ein reales Licht meint, das die Schönheiten enthüllt. Zimmermann darf dies tun, denn er ist sich des ramponierten Zustands der Welt durchaus bewußt. Im ersten und im letzten Zyklus des Bandes etwa, „der blick auf die hardthöhe“ und „allenthalben verschwindendes dasein“, dominiert ein zeit- und sozialkritischer Ton, der anderswo vielleicht als outmoded oder holzhammerartig empfunden würde, sich hier jedoch dank eines ausgezeichneten Kunstgriffs in die Erinnerung an eine längst verschwundene — „dennoch bezweifle ich, / daß seither zeit verging“ — Lebensart und Haltung einfügt.

Wenn die meisten Dichter und die Dichtung publizierenden Verlage derzeit den Eindruck haben, die Lyrik befinde sich auf einem unerreichten Tiefpunkt, dann ist das allein ein gesellschaftliches Phänomen, die deutschsprachige Lyrik nämlich hat einen qualitativen Hochstand erreicht wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Den vielen Namen, denen das zu verdanken ist, muß man nun unbedingt auch den von Carsten Zimmermann hinzufügen. Wer bislang glaubte, Lyrik wäre unverständlich oder verschroben, dem sei ins Gesicht gerufen: „Lies ‚das transparente’, möglichst bald, und laß dich vom Gegenteil überzeugen!“

Carsten Zimmermann
das transparente
Lyrikedition 2000
2014 · 108 Seiten · 14,50 Euro
ISBN:
978-3-86906-618-9

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