Self styled Online Star
Bin gerade mit Chloe Zeegens erstem eBook fertig geworden, das im kleinen feinen Verlag Mikrotext erschienen ist. Das dieses Jahr gegründete Verlags-Start-up befüttert den eBook-Markt seit Frühjahr immer wieder kurzen Essays und jetzt auch mit Kurzprosa. „I love myself, ok?“ liest sich wie eine Facebook-Nachricht, ohne Punkt und Komma (ok manchmal kommen Satzzeichen, aber man braucht einen langen Atem dafür), erzählt die Ich-Erzählerin von ihren urbanen Abenteuern. Drei Miniaturen fügen sich zu einer Trilogie, die man laut der Lesefortschrittsanzeige meines Kindles in ca. 22 Minuten durch hat.
Ziemlich schnelle Lektüre denkst du dir jetzt wahrscheinlich, aber ernsthaft: echt unterhaltsam. So richtig stringent ist der Text nicht, es gibt kleine Mikroerzählungen und Sachen, die sie schnell loswerden will, aber dabei schweift sie immer wieder ab. Kleine Beobachtungen aus Satzgirlanden boxen dich durch das Leben einer jungen Frau, die auch mal aus Versehen mit einem Kerl schläft, aber eigentlich eher Bock auf Mädchen hat. Ihr Coming Out erlebt sie vor sich selbst beim Vögeln mit einem Typen in der ersten Geschichte:
„And then we tried again, though actually I think this bit happened before I was like let‘s face it I‘m gay and he was like you‘re not gay and I‘m getting my order mixed up.“
Konsequenterweise outet sie sich dann auch auf Facebook, aber bevor man sich fragen kann, was daraufhin passiert ist, schwenkt die zweite Geschichte „Shit and Corruption“ die Kamera auf die Vergangenheit und ihre Mutter.
Ehrlich gesagt ein bisschen müßig hier jetzt darzulegen, was ihr alles passiert, weil es nicht primär um die Handlung geht. Man kann sich da jetzt richtig reinknien, die ganzen Storylines raussuchen und versuchen da Sinn reinzubringen, aber ich glaube damit bricht man dem Text das Rückgrat. Man muss sich einfach darauf einlassen. Sind wir mal ehrlich, unsere Aufmerksamkeitsspanne reicht doch ohnehin nicht mehr für komplizierte Plots. Zeegen hat das Verstanden und liefert uns Geschichten und Abschweifungen, die genau so lang sind, dass unsere tabbed-browsing zerschossenen Gehirne geradeso noch mitkommen. Hat sie eine Geschichte in einem Tab abgeschlossen, schließt sie es einfach und kommt zurück zu einer anderen oder öffnet eine neue. So surfen wir also mit der Ich-Erzählerin durch ein Berlin, dass man schon in .gif-Form von tumblr kennt. Es ist der amüsierte Blick auf eine Stadt, die immer mehr Menschen aus verschiedenen Ländern auf sich aufmerksam macht, die heimlich zur Hauptstadt Europas wird und doch ihrem Ruf nicht gerecht werden kann.
Zum Glück haut sie nicht ganz so viele Expat-Kalauer raus (eigentlich pariert sie Attacken von Touristenhassern ziemlich galant, in einer Szene ist sie in einer Bar und zeigt einem Typen den Mittelfinger und tut so als ob sie ihn ablecken würde. Geile Aktion, ehrlich.) Jedenfalls hat sie es nicht nötig die Stadt überdramatisch zu thematisieren und irgendwelche Aphorismen zu ersinnen, die beweisen sollen, wie gut sie sich in der Wahlheimat auskennt. Sie filtert einfach alles ganz radikal subjektiv durch ihre Wahrnehmung und knallt uns vor den Latz, was sie denkt. Zwischendurch bricht sie ihre Aussagen selbstironisch und das titelgebende „I love myself, ok?“ kommt auch an einer Stelle vor, aber geht unter in einem Sturm aus Modifizierungen wieder unter.
Die Unmittelbarkeit, die der Text durch die Kostümierung in Social Media gerechter Sprache erreicht, ist fruchtbarer Boden für die poetischen Momente, die uns daran erinnern, dass wir gerade keine private Nachricht lesen, sondern Literatur.
Grundlage für die Geschichten ist Zeegens Projekt „Chloe Zeegen is a self-styled Facebook star“, bei dem sie ihre Online-Profile in ein literarisches Projekt umwandelte. Die Nonchalance mit der Zeegen ihre eigene Autobiografie in ihren Text einflicht, macht sensibel für die leisen Untertöne, die kritisch mitsummen. Ist sie jetzt eine lesbische Autorin? Dafür fehlt manchen vielleicht der lesbische Sex. Ist sie eine kritische Exilantin des Kunstbetriebs, weil sie den Hamburger Bahnhof wegdisst? Damit reduziert man sie auf ihre Vergangenheit als Kunstmanagerin. Ist sie die perfekte Begleitung um in Berliner Parks Gras zu kaufen? Diese Frage muss man sich selbst beantworten, nachdem man die Geschichte „Let me take you to the park“ mit dem lustigen Dealergespräch gelesen hat. Aber wie so oft in der Literatur ginge man den Autor_innen auf den Leim, verkürzte man die Rezeption auf die biografischen Details, die man sich zusammensucht.
Zeegens Texte machen uns bewusst, dass wir alle durchgehend damit beschäftigt sind unser Leben in kleine Narrative zu verpacken. Wenn Freunde fragen: „Wie war dein Wochenende?“ legen wir uns eine Geschichte zurecht, in der wir versuchen Revue passieren zu lassen, was uns geschehen ist - in einer Art und Weise, die uns selbst gefällt. Wir sind alle selbsternannte Facebook-Stars unserer online dokumentierten Leben. Erst indem wir kommunizieren, geben wir unseren Erlebnissen Wert. Man gerät durch diese Haltung so schnell in den Sog von „I love myself OK?“, dass man hin und wieder vergisst einen Text vor sich zu haben, der durch- und erdacht ist. Die literarische Illusion ist konstruiert, so konstruiert, wie auch die vermeintlichen Alltagsnarrative von den Wochenendabenteuern, die wir unseren Freunden auftischen.
Zeegens poetische Leistung liegt darin, uns eine Ich-Erzählerin zu präsentieren, die von ihren Wochenenden, ihrer Vergangenheit und ihrer Gegenwart erzählt, als wäre sie eine gute Freundin und dabei immer noch Literatur zu machen - in einem Duktus, der nicht vor sparsam eingesetzten Smileys Halt macht und auch mal ein wohlplatziertes lol raushaut.
Es ist der Verdienst von mikrotext und der Verlegerin Nikola Richter, dass Zeegen, die eine der Geschichten zuerst im Literaturmagazin STILL veröffentlichte, überhaupt auf dem Markt ist. Mit dem eBook als Medium können Texte vom Bildschirm der Autoren, dank mutiger Verleger, auf die Bildschirme der Leser wandern.
Einen ganzen Roman kann man in diesem gerappten Bewusstseinsstrom, der auch chaterprobte Vielleser und Facebook-Junkies aufreibt, wohl nicht durchstehen. Oder vielleicht doch? Wenn man sich erstmal in Zeegens Ryhthmen eingegroovt hat und daran gewöhnt, dass ihre Gedankensprünge größer sind als manche ihrer Sätze, dann wünscht man sich mehr Lesefutter. Ach, lies einfach selbst.
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