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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Wer ist wer?

In „Donnas Haus“ ringen drei Frauen mit den Geistern ihrer Vergangenheit
Hamburg

Die  Bezeichnung „Reklusinnen“ gefällt Liz ungemein. Zwar steht den drei Frauen in „Donnas Haus“ der Sinn nicht nach Beten, sondern vielmehr nach Eiskrem, Bier, Zigaretten und endlosen Solitaire-Partien, doch besitzt die vollkommene Abschottung von der Außenwelt auch im Profanen ihren Reiz. Zumindest für Liz, Anfang 30, die an der Wiener Universität über Adalbert Stifter promoviert, und Kathy, um die 40, die als Fotografin in Berlin gelebt hat. Beide wollen ihre Vergangenheit hinter sich lassen – was bietet sich das mehr an, als den Kontinent zu wechseln? Und die Sprache gleich dazu, in der gesprochen, erinnert, geträumt wird?

Im Oktober treffen sie bei ihrer Gastgeberin ein. „Donnas Haus“ – so auch der Titel des zweiten Romans von Christina Maria Landerl – befindet sich in den beschaulichen Suburbs irgendeiner US-amerikanischen Stadt. Und spielt neben den drei Frauen eine zentrale Rolle in Landerls so schmalem wie gehaltvollen Buch. Über weite Strecken schafft es das Haus, die magische Balance zwischen gemütlich und verwahrlost zu halten, doch irgendetwas an ihm ist auch unheimlich – so sehr, dass selbst an Halloween die Kinder einen Bogen darum machen. Wer es betritt, wird von ihm verschluckt. Der schwere, süßliche Geruch nach menschlichen Ausdünstungen, der zwischen den Wänden hängt, ist anheimelnd und abstoßend zugleich. Bezeichnenderweise lassen sich die Fenster nicht (oder nur schwer) öffnen. Es sind nicht zuletzt Landerls dichte Beschreibungen des Gebäudes und seines Innenlebens, die stellenweise die Atmosphäre einer modernen Gothic Novel heraufbeschwören. Donnas Haus scheint zu atmen, zu leben, die Bewohnerinnen subtil zu beeinflussen. Und möglicherweise birgt es das ein oder andere dunkle Geheimnis. Die Gastgeberin indes fungiert als eine Art Verlängerung ihres Heims: „Etwas verrückt, etwas ungepflegt“, doch „sie scheint nett zu sein“. Sie hat etwas Mütterliches, aber auch leicht Übergriffiges, das den „Girls“ mal entgegenkommt, mal auf die Nerven geht. Und das nicht zuletzt aufgrund der eigenen Zerrissenheit: Einerseits wollen Kathy und Liz unbeschriebene Blätter sein, die sich in der Fremde neu erfinden („Es ist alles weg, und jetzt muss alles ersetzt werden. Nur wodurch, fragt sich Liz.“), doch eine Rest-Sehnsucht nach Ankommen und Nestwärme bleibt unweigerlich bestehen.

Wie sich die drei Frauen umschleichen, antasten und wieder zurückziehen, wie unterschiedliche Allianzen entstehen und wieder zerbrechen, schildert die Autorin mit einem beeindruckenden Gespür für das beständige Austarieren von Nähe und Distanz, das jede zwischenmenschliche Beziehung prägt.

Immer wieder kommt es zu kleineren und größeren  Grenzüberschreitungen und Vereinnahmungen, die entweder gerügt oder stillschweigend hingenommen werden: So legt Donna in Kathys Abwesenheit ein Buch in deren Zimmer (bezeichnenderweise über die siamesischen Zwillinge Chang und Eng Bunker, mit denen Donna behauptet verwandt zu sein). Kathy wiederum funktioniert das Kellerbad, das eigentlich genauso Liz gehört, ungefragt in eine Dunkelkammer um. Liz ihrerseits beginnt die Gastuni zu meiden und arbeitet heimlich von zu Hause aus – nicht ohne, bevor die anderen nach Hause kommen, geflissentliche sämtliche Spuren ihrer Anwesenheit zu beseitigen.

Zugleich entstehen erste Momente der Intimität, zum Beispiel bei den Rauchpausen, die Liz und Kathy gemeinsam in Donnas verwildertem Garten verbringen – und weil sie von Woche zu Woche stärker frieren, drängen sie sich enger und enger aneinander. Beinahe verwachsen scheinen sie schließlich, wie jene siamesischen Zwillinge, die überall in Donnas Haus die Wände zieren.

Wovon sich Liz und Kathy in der Fremde lossagen wollen, erfahren wir lediglich in Fragmenten: Liz hat ihren Freund ohne ein Wort des Abschieds in der gemeinsamen Wohnung zurückgelassen; Kathy versucht Vera zu vergessen, die nicht nur Mitbewohnerin, sondern auch Freundin, Geliebte und Konkurrentin gewesen zu sein scheint.

Immer wieder wird das ruhige Dahinfließen, das Landerls zurückgenommene, elliptische Sprache perfekt einfängt, durchbrochen von Eruptionen einer unstillbaren Sehnsucht nach Nähe, Entreißen, Offenbarung: Betrunkene Geständnisse („Kathy, I’m lost.“), die am nächsten Morgen für peinliches Schweigen sorgen, verstörend realistische Träume von fremder Haut an der eigenen. Hat Kathy etwa von Liz geträumt? Oder doch von Vera? Liz hingegen probiert es auf andere Weise – und diese Passage, in denen das Fremdwerden des eigenen Körpers eine paradoxe Nähe erzeugt, gehört zu den kunstvollsten des Buches: „Sie stellt sich ihre Haut als die eines anderen Menschen vor, als fremde Haut […] Denkt sich ihre eiskalten Hände als zu einem anderen Körper gehörend.“

Gemeinsam verbeißen sich Liz und Kathy in das Geheimnis des Hauses. Die Fotos im Keller, die Donna mit Mann und Kind zeigen, lassen sie nicht los. Wieso spricht Donna nicht über ihre Vergangenheit? Hat sie etwa Leichen im Keller, bzw. im ersten Stock, der für die „Girls“ tabu ist?

Wie viel Privatsphäre ein Mensch braucht und wie viel ihm zugestanden wird (Was bedeutet Intimität für siamesische Zwillinge?), wie viel Nähe, wie viel Distanz er braucht, wie viel davon er aushalten kann – das sind die zentralen Fragen, die Landerl in „Donnas Haus“ einkreist. Die Folie, auf der sie ihr Thema entwickelt, bildet dabei nicht nur das berühmte siamesische Zwillingspaar. Unaufdringlich ziehen sich kulturelle Referenzpunkte durch den gesamten Text, die das Geschehen in „Donnas Haus“ erweitern, kommentieren oder auch unterwandern.

So schauen die drei in wechselnden Konstellationen die 70er-Jahre-Serie „The Waltons“, über eine Großfamilie, die zwar unerschütterlich zusammenhält, jeden Einfluss von außen jedoch als potentielle Bedrohung erlebt. Liz bearbeitet den Erzählband „Bunte Steine“, in dem Adalbert Stifter verschiedene Facetten der Einsamkeit auslotet. Derweil versucht Kathy in ihrem Fotoprojekt die Traurigkeit und Isolation amerikanischer Vorstadthäuser einzufangen. Aber ist es das wirklich, was die Häuser ausstrahlen? Oder bilden die Fotos lediglich Kathys inneren Zustand ab? Im Hintergrund drehen sich, nicht zufällig, Platten des Duos Simon und Garfunkel, deren Stimmen so schwer voneinander zu unterscheiden sind, dass sie zu verschmelzen scheinen.  „Wer von den beiden ist wer, welche Stimme gehört zu wem?“, fragt sich Kathy. Verschmelzung/Identitätsverlust: Der ultimative Wunschtraum, die ultimative Angstfantasie.

Christina Maria Landerl
Donnas Haus
Müry Salzmann
2016 · 128 Seiten · 19,00 Euro
ISBN:
978-3-99014-140-3

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