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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Tote und Lebendige erzählen ihre Geschichten

Christopher Brookmyre verwirrt mit seinem Kriminalroman um Tote und Lebendige, Spiritisten und Skeptiker
Hamburg

„Es waren einmal zwei Mädchen, die erzählten eine große Lügengeschichte. Eigentlich fing die Lüge ganz klein an, aber sie wurde größer und größer, bis die beiden sie irgendwann nicht mehr unter Kontrolle hatten. Und heute, hundertfünfzig Jahre später, wächst sie immer noch und wird immer noch erzählt.“

Es ist eine bunte Gesellschaft, die Moiras Geschichte zuhört: „Die Mädchen hießen Margaret und Kate und wohnten in einem großen Holzhaus in Hydesville im Staat New York.“ 1848 hörte man unerklärliche Klopfgeräusche. „Die Geräusche kamen nur, wenn Margaret und Kate da waren, woraus man vielleicht auf die Quelle hätte schließen können, sollte man meinen.“ Die Mädchen aber erzählten, dass ein Geist namens „Mr Splitfoot“ klopfen würde. Und standen plötzlich im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.

Irgendjemand sagte dann, dieses Klopfen sei doch bestimmt ein Code, mit dem Mr Splitfoot kommunizieren würde: Einmal klopfen heiße Ja, zweimal Nein. „Als dieses öffentlich demonstriert wurde, fragte einer der Besucher, ob in dem Haus ein Mord stattgefunden habe. Darauf folgte ein einzelnes Klopfen“, erzählt Moira. Leah, die große Schwester der beiden Mädchen, erkannte, dass man mit dem Klopfen, mit dem Sprechen mit dem Jenseits, auch Geld verdienen konnte, und bald hatte die Lügengeschichte auch einen Namen: „Spiritismus“. Moira allerdings weiß noch einen besseren Namen: „Franchise“. Denn es ging bald um viel, viel Geld. Und als Margaret die Lüge gestand und vorführte, dass sie das Klopfen mit ihren Zehen verursacht hat, glaubte ihr niemand. Immerhin gab es da schon acht Millionen Spiritisten in den USA und noch mehr auf der ganzen Welt. Eine davon war Madame Blavatsky, „die ihre Version der Lüge 'Theosophie' nannte“ und u.a. Heinrich Himmler als Anhänger hatte, der sich ganz besonders für ihre Rassentheorie interessierte.

Der schottische Autor Christopher Brookmyre, der hierzulande mit seinem Buch „Die hohe Kunst des Bankraubs“ berühmt geworden ist, greift in „Angriff der unsinkbaren Gummienten“ die hohe Kunst des Lügens und Täuschens an, mit der leichtgläubigen Menschen das Geld aus der Tasche gezogen wird. Und das sind sehr viele, denn die Esoterik ist eine riesige Mode geworden, in der alles möglich ist und alles geglaubt wird: dass Außerirdische unter uns leben oder dass die Quantenphysik auch außerhalb der Quantenwelt gelten würde und man deswegen an zwei Orten gleichzeitig sein könne.

Wie in seinen anderen Romanen hat Brookmyre das ernste Thema in einen spannenden Unterhaltungsroman gepackt: An einem Herbstabend treffen sich im schottischen Schloss Glassford Hall einige Menschen, um mit und über Gabriel Lafayette zu reden. Der Amerikaner ist nämlich ein Medium, der mit Toten spricht, ein TV-Star, der bescheiden tut und seine Gabe eher einen Fluch nennt. Aber er kann natürlich nichts dafür und muss sich der Geisterwelt zur Verfügung stellen (und verdient auch viel Geld damit). Während einer Séance hat er die tote Ehefrau des Möbel-Industriellen Bryant Lemuel herbeigerufen, der sehr beeindruckt war und ihm an der Universität Glasgow einen Lehrstuhl für Spirituelle Wissenschaften einrichten will. Als kritischen Geist hat Lemuel den Journalisten Jack Parlabene dazugebeten, der für das nächste Jahr als Rektor der Universität vorgesehen ist, denn so ganz ohne Prüfung will er es denn doch nicht machen, aus Angst, sich zu blamieren. Für Aufklärung sorgt auch der Student Michael Loftus, der die Tricks der Zauberer und Illusionisten gut kennt und es sich zur Aufgabe gemacht hat, die vermeintlichen Medien zu entlarven.

Brookmyre erzählt eine sich sehr verzweigende Geschichte, die erst ganz am Schluss, nach etlichen Toten, vielen Diskussionen, gegenseitigen Vorwürfen und Entlastungen und vor allem sehr vielen weiteren Geschichten, Anekdoten, Erinnerungen und Statements, wieder zusammenläuft. Es ist nicht einfach, diesen verschlungenen Wegen immer zu folgen, diesen Abweichungen und Ausflüchten. Das liegt auch am Aufbau des Buchs, der nicht weniger verwirrend ist: Es ist konsequent in der Ich-Perspektive geschrieben, aber von verschiedenen Menschen. Beziehungsweise sogar Toten: ein „schon länger Toter“ erzählt seine Version, später mischt sich „der andere Tote, der etwas zu erzählen hat“ ein. Manches wird dabei enthüllt, manches wird durch die andere Perspektive auch wieder verdeckt. Die Geschichte mäandert dabei oft sehr hin und her, viele Details werden in Rückblenden erzählt oder begründet, wiederholt, verworfen und wieder aufgenommen. Und von vielem weiß man oft bis fast zum Schluss nicht, ob es der Auflösung der vielen Todesfälle, die man als Leser nach und nach mitbekommt, dienlich ist oder nicht. So kommt man immer auch wieder durcheinander, wer noch lebt oder schon gestorben ist. Dazu kommt, dass Brookmyre die Gegner und auch die Anhänger von Lafayette zu Wort kommen lässt, ungefiltert, unkommentiert. Auch das trägt nicht eben wenig zur Verwirrung der ganzen Geschichte bei, vor allem am Anfang. 

Das ist alles brillant geschrieben und komplex aufgebaut, aber den Lesespaß verhindert es dann doch. Da freut man sich dann vor allem an den witzigen Passagen, den lebendigen Dialogen und an der scharfen Kritik am intriganten Wissenschaftsbetrieb und den gutgläubigen und gleichzeitig zynischen Medien. Vor allem aber bekommen die Naiven der Welt und die, die sie ausbeuten, ihr Fett weg: die Fundamentalisten, die glauben, die Welt sei mitsamt der Saurierskelette vor 5000 Jahren erschaffen worden, die Zeugen Jehovas, die lieber ihre Kinder sterben lassen als eine Bluttransfusion zuzulassen.

Schade übrigens, dass der deutsche Verlag mit diesem Buch den letzten einer fünfteiligen Serie um Jack Parlabene veröffentlicht hat, sodass man viele Anspielungen auf seine Vergangenheit nicht verstehen kann. Ein merkwürdiges Konzept, das der Verlag auch mit der Trilogie durchführt, aus der „Die hohe Kunst des Bankraubs“ stammt – das ist der zweite Teil, die anderen sind auch nicht übersetzt. Übrigens: Der Ausdruck der „unsinkbaren Gummienten“ stammt von James Randi, einem kanadischen Zauberkünstler, der öffentlich Medien demontiert, und der Menschen damit bezeichnet, die, auch wenn man ihnen das Gegenteil beweist, dennoch immer weiter an Magie glauben.

Christopher Brookmyre
Angriff der unsinkbaren Gummienten
Aus dem schottischen Englisch von Hannes Meyer
Verlag Galiani Berlin
2014 · 416 · 14,99 Euro
ISBN:
978-3-86971-097-6

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