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Kritik

Unsere Geschichten werden uns überleben

Colum McCanns neuer Roman »Transatlantik« schlägt den Bogen von Amerika nach Irland und zurück
Hamburg

Colum McCann hat in Ansätzen diesen Lebenslauf zu bieten, der sich immer so gut in den Klappentexten macht: Er war Journalist, Farmarbeiter und Lehrer, er hat ausgedehnte Reisen durch Europa, Asien und Amerika unternommen. Nur die Jobs als Schiffskoch und Sargträger und der zweijährige Studienaufenthalt in Tanger fehlen.

Aber im Ernst: Was Colum McCann ganz offensichtlich in diesen Zeiten gelernt hat, ist, sich in fremde Menschen und ihre Geschichten einzufühlen und davon zu erzählen. Selbst dann, wenn sie teilweise ziemlich weit weg von seinem eigenen Leben sind. Das hat er beispielsweise mit Bücher wie »Zoli« oder »Die große Welt« bewiesen.

Und sein neues Buch, der Roman »Transatlantik«, beweist es erneut. Obwohl er hier relativ nah dran ist: Das Buch handelt von Irland und Amerika und den Verbindungen dazwischen. Colum McCann stammt aus Dublin und lebt in New York.

Wir beginnen 2012. Eine Frau in einem Haus an einem Lough (See) in Irland erwacht und hört, wie die Möwen Austern aufs Dach fallenlassen, damit sie aufspringen. Das ist sozusagen die Vorrede, nur eine Seite lang, und wir erfahren nicht, wer diese Frau ist, aber am Ende können wir es ahnen. Dann geht das Buch richtig los, geht zurück bis 1919, dann noch weiter bis 1845, um am Ende wieder halbwegs in der Gegenwart zu landen. Kurz vor 2012.

Erzählt werden im Grunde drei Geschichten, in denen auch real existiert habende Personen und sogar eine immer noch real existierende Person vorkommen. Die erste Geschichte ist die der Piloten John Alcock und Teddy Brown, ehemalige Kriegsflieger, die in einem wackeligen Fluggerät namens Vickers Vimy 1919 den Atlantik überquerten und in Irland landeten. Die zweite ist die des schwarzen Anti-Sklaverei-Aktivisten Frederick Douglass, der denselben Weg per Schiff genommen hatte, um Mitte des 19. Jahrhunderts in Irland eine Vortragsreise zu halten; er lernte ein verarmtes, hungriges, siechendes Volk kennen. Und das Dienstmädchen Lily, das eine seltsame Nähe zu ihm spürte, die er aber nicht erwidern wollte.

Lily nahm schließlich den umgekehrten Weg, wanderte in die USA aus, und die dritte Geschichte erzählt von ihr und den Frauen aus ihrer Nachkommenschaft, von Armut und Arbeit und Aufstieg in Amerika, dann von dem blutigen Bürgerkrieg in Irland, von transatlantischer Diplomatie und transatlantischen Schmerzen. Zwei von Lilys Nachkommen, Mutter und Tochter, geben den Piloten Alcock und Brown einen Brief nach Irland mit, der nie zugestellt, später zurückgegeben und dann über Jahrzehnte weitergereicht, aber nicht geöffnet wird. Erst ganz am Ende ist sein Inhalt zu lesen, als er schon, im übertragenen wie im buchstäblichen Sinn, keinen Wert mehr hat. Immerhin enthält er einen schönen Satz: »Wir erfahren nur selten, welches Echo unsere Handlungen haben, aber unsere Geschichten werden uns beinahe gewiss überleben. «

McCann erzählt all das wie immer fesselnd, mit seiner klaren, nicht zu Lyrismen neigenden Sprache (tadellos übersetzt von Dirk van Gusteren). Und wie bei »Zoli« oder der »großen Welt« bedauert man, wenn sich der Roman dem Ende zuneigt und schließlich aufhört, obwohl ja eigentlich nichts aufhört, und so lautet dann auch der letzte Satz: »Wir müssen der Welt Bewunderung dafür zollen, dass sie nicht einfach endet und uns im Stich lässt.«

Colum McCann
Transatlantik
Übersetzt von Dirk van Gunsteren
Rowohlt
2014 · 384 Seiten · 22,95 Euro
ISBN:
978-3-498-04522-7

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