Aber es bliebe, es bliebe die Wut
In Gedichten wende ich mich an jemanden
Unklar ist – an wen ...
Und sage, sage richtige Dinge
Unklar ist – zu welchem Zweck
Doch etwas Freude ist in dieser traurigen Gewohnheit.
„Dichter sind natürlich Schamanen, die mit okkultem Wissen Schabernack treiben“, schreibt Ronald Pohl (Der Standard, 5.12.14) apodiktisch in seiner Kritik von Marcel Beyers jüngstem Band „Graphit“. Aha, denkt unsereine, wie steht es in dieser Angelegenheit, lieber Herr Fachmann Pohl, denn eigentlich mit den Dichterinnen? Und sind wir alle wirklich SchamanInnen, die mittels Okkultismus Jux und Tollerei in unsere (mit unseren) Verse(n) treiben? Ein Art Zaubererschwulst und Hexengeschwafel, das dann aus jeder Zeile schwurbelt?
Ich gestehe, dass ich mit Schamanismus nichts am Hut habe, mich der Ratio verbunden fühle und nach ertragreicher Lektüre sehne. Daher wähle ich Lyrikbände, greife lieber, beinah automatisch, zu Gedichten. Nicht zu jeden allerdings. Denn „Schamanin“ als Titel auf einem Buchdeckel wirkt abschreckend. Niemals würde ich mir ein Werk dieses Titels aus einer Buchliste wählen. Nie.
Und dann passiert es. Buchmessen haben etwas Verführerisches: Da greife ich zu, vergebe mir nichts, wenn ich einen Blick, einen winzigen, einen klitzekleinen bloß ... schon ist es geschehen:
Nach dem Klang: im Zentrum des Mühlsteins, begriff ich,
Alle Dichterinnen sind Narren
Früher oder später kommen diese Närrinnen zu Fall
Oder vereinsamen oder werden Nutten
Oder ergeben sich dem Trunk oder bringen sich um oder // werden lebendig begraben
Ich blättere weiter, bin verwirrt. Also nicht Schamanin, sondern bloß Närrin ist sie, bin ich? Ein Verdacht keimt jäh auf: Hat Pohl Recht? Sind Dichter nie Narren oder schlicht keine Narren mehr, weil sie eine Stufe weiter und schon Schamanen sind? Wann genau passiert solch ein gravierender Schritt und wozu? Etwa von Geburt an? Und wie wird dann jemals aus einer Dichterin eine Schamanin? Muss unsereine immer Närrin bleiben und sich als besoffene Nutte schließlich vereinsamt selbst zu Fall bringen oder lebendig begraben lassen, da ihrer DNA das Schamanen-Gen fehlt, das dann wohl auf dem göttlich verwehrten Y-Chromosom liegt? Ist der Titel „Schamanin“ also bloße Anmaßung, somit Ergebnis der masochistischen, unerfüllbaren Sehnsucht einer Lyrikerin?
Schon sind wir mitten in der Dichtung von Danica Vukićević. Nein, es ist keine Frauenpoesie, die sie in ihrem nun bereits siebenten Lyrikband vorlegt. Es sei, wie ihr Ehemann, der Lyriker und Kritiker Nenad Milošević schreibt, „ein Tagebuch, in dem einem Mächte und Gewalten einer stets bedrohlichen Welt begegnen. Aber jede Erfahrung ist auch eine Erfahrung von Machtverhältnissen.“ Die Lyrikerin verbindet in ihren Gedichten Gegensätze: Mann-Frau, Mensch-Welt, stark-schwach, arm-reich, eigene Wünsche-traditionelle Pflichten, Vereinsamung-Gespräch, ein stetes Ringen um Autonomie und Würde im Ausgesetztsein, so präzise wie unbestechlich, manchmal voll Traurigkeit, (an)klagend, doch nie bloß simple Abbildung der Realität.
Wer hat diesen Tag
So sinnlos gemacht...
Umsonst ist mein Tun
Unwesentlich mein Bemühen
Auf immer unmündig
Begraben bin ich, wie eine Tote
Eingesperrt, mein Grab ist überall
Eines toten Tages Hügel
Sie beschreibt das Leben in Serbien, das durch die politischen Wirren der letzten Jahrzehnte erschwert wird, erzählt von Hunger, Trauer und Lügen, Mangel und Überfluss, dem Untergang von Welten, die einst stabil schienen, oder der Ermüdung aus Verlangen. Trotzdem blitzt in den Gedichten manchmal das einfach Schöne in einer kleiner gewordenen Welt voller Mängel auf, etwa ein plötzlich wahr genommenes Quietschen von Schaukeln oder zischende Rasensprenger. Immer wieder glimmt im Zerfall Hoffnung auf, jene Hoffnung nach ein bisschen individueller Freiheit und Kreativität, nach der Leichtigkeit des Seins, nach Glück.
Und doch badet die Erde im Licht
Ich dufte nach Salz nach Pflanzen
Und schnüffle vielleicht vor Behagen
Auf dem Buch ruhen meine müden Augen
Und niemand außer mir lacht auch ich selbst nicht
Weil sie die großen Dinge übersehen hat ruht die Welt // im Kleinen
Und der kalte Morgen wärmt die irdischen Geräusche
Im falschen Jahr
Der österreichische Drava-Verlag hat sich seit Jahren mit Übersetzungen und Herausgaben um Literatur aus dem Südosten Europas verdient gemacht und stellt mit „Schamanin“ erstmals ein Werk der bereits mehrfach ausgezeichneten Lyrikerin Danica Vukićević im deutschen Sprachraum vor, das von Matthias Jacob aus dem Serbischen übersetzt wurde. Die Gedichte liegen zweisprachig vor und sind grob drei Kapiteln zugeteilt. Es sind zum Teil Prosagedichte, viele ohne Titel, die einen wachen weiblichen Blick auf eine Region und Welt zeigen, die wir (noch) nicht gut kennen. Die Sprache ist meist konventionell und ohne nennenswerte Neuschöpfungen, die Zeilenbrechung, zumindest in der deutschen Übersetzung, manchmal etwas willkürlich, die Zeichensetzung sparsam. Der Ton dieser Gedichte ist oft nüchtern unterkühlt und fühlt sich gerade deshalb richtig an. Immer wieder überraschen Bilder, die plötzlich aufflackern, lesen wir von Ölpumpen, die „leise wie Wimpern“ winken, oder Eltern, die ins Alter davonkriechen. Ein Benennen und poetisches Verwandeln, somit in der sprachlichen Bändigung der Wirklichkeit - ganz ohne Schabernack, aber manchmal mit feinem Humor - das Werk einer hierorts bisher unbekannten Lyrikerin, ohne paranormale Begabung, dafür mit sicherem Gespür für die magische Kraft von Worten.
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