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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Technischer Kontrollverlust

Daniel Suarez unterstellt in „Control“, dass wir alle längst entmündig sind. Und lässt seinen Protagonisten dagegen angehen.
Hamburg

Es ist ein schöner Gedanke, und so auf den Punkt gebracht, lässt er sämtliche Verschwörungstheorien und Belagerungsszenarien freie Bahn: 1969, so teilt uns der Klappentext von Daniel Suarez‘ SF-Thriller „Control“ mit, habe der Mensch den Mond erobert. Und was sei die größte Errungenschaft unseres Jahrhunderts seitdem? Facebook. Ach.

Entweder ist diese Aussage falsch (sie ist es) oder sie ist richtig, aber egal, selbst wenn sie richtig wäre, wahrscheinlich ist sie deshalb eben noch nicht (wie ja das Fragezeichen am Ende des Satzes signalisiert). Wie kann nach einer solchen Gewaltleistung, mit der es Menschen gelingt, zum Mond zu fliegen, sich die nächsten vierzig Jahre nichts ändern bis auf die Einführung der sozialen Netzwerke? Unglaubwürdig, unwahrscheinlich.

Und genau hier setzt Suarez an. Denn in Wirklichkeit, so der Plot, wird die wissenschaftliche und technische Entwicklung seit den 1960er Jahren von einer Geheimdienstorganisation namens BTC – soll heißen „Bureau of Technology Control“ – überwacht. Und dieses BTC nimmt seitdem jede große Entwicklung und Erfindung vom Markt und vereinnahmt sie für sich. Darunter Fusionsreaktoren und anderes Wunderwerk, bis hin zu medizinischen Errungenschaften wie dem Klonen von Menschen oder der Optimierung der Vitalfunktionen, mit denen Krebs geheilt und das Altern gestoppt werden kann. Das sind hübsche Gedanken und Spielereien, die zur Standardausstattung der neueren Superheldenfilme gehören. Alle was als Erfindungen denkbar ist, kann schon erfunden worden sein. Man muss sie nur noch wiederfinden.

Die Begründung für das weit reichende Wirken der BTC: Die Menschheit sei nicht in der Lage, mit derartigen Technologien umzugehen. Aufruhr, ökonomische Desaster bis hin zum Zusammenbruch der gesamten gesellschaftlichen Prozesse und Strukturen wären die Folge, wenn Energie zum Beispiel unbegrenzt zur Verfügung stünde und die Menschen statt 75 mal eben 275 Jahre alt werden könnten, und dabei einen Lebensstandard erwarten, der dem der Industrieländer entspricht. Schlaraffenland ist abgebrannt. 

Als Referenzen werden die Kollateralschäden sämtlich industrieller und politischer Krisen der letzten 100 Jahre angeführt, und eben auch, dass das Wirken der BTC von der amerikanischen Verfassung legitimiert sei, die Guten können nichts Böses im Schilde führen.

Demokratische Kontrolle spielt in solchen Konstellationen keine Rolle – Sachzwänge sind alles und Macht ist ein sehr süßes Gift. Von dem hat der Vorsitzende des BTC, ein gewisser Graham Hedrick, anscheinend genügend genossen. Denn er verändert merklich den Charakter des BTC hin zu einem Machtfaktor, um den herum niemand mehr kommen wird und der sich von seinem ursprünglichen Auftrag völlig abgelöst hat. Hedrick geht es um Macht, er favorisiert die Ablösung der amtierenden Regierungen und die Übernahme der Macht durch das BTC selbst. Politiker sind korrupt, Wähler zu dumm, das System verrottet. All das ist tausendmal gehört und gelesen, und als Argument gegen eine demokratische Kontrolle seit Jahrzehnten stetig wiederholt. 

Allerdings fehlt es diesem Argument an intellektueller Redlichkeit, wie zu bemerken ist. Kein hierarchisch durchstrukturiertes System funktioniert reibungslos, wie es die Theorie will. 
Aber für den Plot reicht es eben. 

Ein – wie könnte man auch daran zweifeln – genialer Physiker auf dem zweiten Bildungsweg, John Grady, wird eben in dem Moment vom BTC entführt, in dem er eine bahnbrechende Entdeckung seinen Investoren und schließlich der Öffentlichkeit vorstellt. Grady hat eine Möglichkeit gefunden, die Schwerkraft aufzuheben und umzukehren, was ungeahnte Möglichkeiten eröffnet. Mindestens solche, wie sie in „Matrix“ als „Superman-Ding“ benannt worden sind. 

Fliegen ganz einfach gemacht und ohne Motor und schädliche Abgase. Man sieht förmlich, wie sich diese Flugapparate mehr als rasch verbreiten und alle Welt in der Luft herumfliegt. 
Grady weigert sich aber fürs BTC zu arbeiten und wird deshalb eine Zeitlang von einer künstlichen Intelligenz gefoltert, in einem abgeschotteten Gefängnis, zu dem niemand Zugang hat und niemand entkommen kann. Die Gefangenen sind mit ihrem Foltersystem in den Fels eingegossen und existieren autark.

Aber, ihm gelingt die Fluch, und der große Kampf mit dem BTC beginnt, an dessen Ende die Rettung der Menschheit vor dem Größenwahnsinnigen der BTC steht, vor Hedrick und seinen Kumpanen. 
Das ist schönste Superheldenerzählung, und man sieht die Verfilmung bereits vor sich. Sehr laut, sehr techniklastig und sehr hightech bei alledem. 

Suarez versteht es zweifellos, komplexe und avancierte Technologien und Konzepte so vorzutragen, dass sie nach etwas klingen. Das mag sogar kompetent und korrekt sein (kann man nachlesen), es klingt jedenfalls gut und imponierend. Und die Skizze des politischen Problems, das mit einem solchen BTC verbunden wäre, ist realistisch.

Das Problem aber ist die Struktur der Erzählung, die in eine Superhelden-Szenerie neuerer Facon verfällt. Der Zweikampf System mit Einzelheld – mehr fällt Suarez nicht ein, um sein Thema an den Mann zu bringen. Das ist zweifelsfrei legitim, dennoch bleibt die Spannung zwischen dem konventionellen Plot (dessen Konventionalität wiederum bezeichnend ist) und dem technischen Ideenreichtum, den Suarez vorführt. 
Das geht auch anders, wie wir wissen, und außerdem: eigentlich schadet die banale Struktur Suarez‘ Anliegen, vor einer solchen undemokratischen Institution zu warnen. Sich auf das widerständige Subjekt zu verlassen, ist für eine offene Zukunftsgesellschaft vielleicht ein bisschen wenig. Sie wird mehr tun müssen.

Daniel Suarez
Control
Aus dem Englischen von Cornelia Hoffelder-von der Tann
Rowohlt Verlag
2014 · 495 Seiten · 12,99 Euro
ISBN:
978-3-499-28863-2

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