Fear Of A Black Planet
Deutschland, 2014. Hooligans demonstrieren gegen Salafisten, sogenannte oder selbsterklärte besorgte Bürger_innen gegen Flüchtlinge und in Vorra wird ein Asylantenheim mit Hakenkreuze verschandelt und dann angezündet. Derweil fordert die CSU die migrantische Community auf, zuhause Deutsch zu sprechen und mit allen Mitteln der eigenen Integration zuzuarbeiten. Anderswo feiert Rapszene und sogar das Feuilleton, namentlich Daniel Haas in der ZEIT, Haftbefehls Album Russisch Roulette als Platte des Jahres. Die Vokabel »Babo« aus dessen Hookline »Chabos wissen, wer der Babo ist« wurde noch 2013 zum Jugendwort des Jahres gewählt, selbst ein Nachwuchspolitiker von eben jener CSU ließ den Spruch auf seinem Wahlplakat prangen. Und Haftbefehl selbst? Der stellt eines klar: »Das ist kein Deutsch / was ich mache, ist Kanackiş. «
Dass Haas in dem 28jährigen Offenbacher eine »Herausforderung (…) für die zeitgenössische Dichtung« sieht und behauptet, selbst Michel Foucault »hätte gejuchzt« angesichts der Haftbefehlschen Diskursdarstellung »von ganz unten«, zog einen mittelschweren Shitstorm nach sich. Dass so ein dahergelaufener Rapper mit ein paar hingerotzten Zeilen über Angst und Schrecken in Offenbach wirklich einen Mangel der deutschen Literatur enttarnen und kompensieren sollte, Stoff für post-strukturalistische Diskursanalyse liefern sollte, wollte kaum jemand so hinnehmen. Rap, so das Credo, hat doch nichts mit Literatur zu tun.
Da ist natürlich was dran. Rap ist nicht Literatur. Rap ist Rap. Trotzdem kommt es zum Rezeptionsscharmützel, schlägt Haas‘ emphatischer Polemik eine intensive Wut entgegen. Wieso eigentlich?
Weil es im Jahr 2014 in Deutschland, diesem Jahr, in welchem wieder Asylantenheime brennen, vielleicht gar nicht so sehr darum geht, dass ein Rapper als Retter gefeiert wird, sondern dieser Rapper ein Kanacke ist. Der weder zuhause noch auf der Straße noch auf seinem Album Deutsch spricht, sondern Kanackiş. Und damit Einzug in den Duden hält, obwohl er sich an dessen Grammatik nicht hält. Weil sich Aykut Anhan, wie der Deutschkurde Haftbefehl eigentlich heißt, in die deutsche Mainstreamkultur und -sprache rappt, obwohl er deren Anderes ist. Nicht mal einen Schulabschluss hat. Irgendwie halt nicht so richtig integriert ist, wie es zum Beispiel die CSU gerne hätte.
Es gäbe viel an Haftbefehls Haltung zu kritisieren, seinen latenten Antisemitismus zum Beispiel. Stattdessen werden Haftbefehls Erzählungen vom Drogenticken und eines von Gewalt geprägten Milieus angeprangert. Dem, was Haas und Konsorten als authentische »Sozialchronik« feiern, wird eine Moral gegenübergestellt, die den Darstellenden mit dem Dargestellten verwechselt. Weil das einfach ist, weil Haftbefehl eben ein Kanacke ist. Nicht so einer wie Yahya Hassan, der mit seiner eigenen Community auf Kriegsfuß steht. Sondern einer, der ihr eine Stimme verleiht. Und damit zu allem Überfluss in der breiten Gesellschaft ankommt.
Rap sah sich schon immer mit latentem Rassismus und die Angst vor dem Fremden in der eigenen Kultur konfrontiert. Was in den siebziger und achtziger Jahren in New York auf Haus- und Block Partys entstand, das verschreckte den weißen, US-amerikanischen Mainstream. Als »CNN for black people« soll Public Enemys Chuck D Rap bezeichnet haben, KRS One warf 1990 mit seiner Crew Boogie Down Productions den Begriff Edutainment als Synonym für Rap in den Ring. Die marginalisierte Minderheit eignet sich die Informationskanäle an und begann lange nach Martin Luther King, Malcom X und James Browns »Say It Loud – I’m Black And Proud« eine eigene Identität nach außen zu tragen, sich über die Radiowellen des gesamten Landes Gehör zu verschaffen. Die Fear Of A Black Planet, wie Public Enemy ein 1990 erschienenes Album betitelten, wurde immer akuter.
In eben dieser brisanten Situation, die jener im Deutschland des Jahres 2014 nicht unähnlich ist, tauchen 1989 zwei selbsternannte »weiße Spacken« tief in die durchcodierte Welt des Hardcore-Raps ein. David Foster Wallace und Mark Costello sind beide Mitte zwanzig, leben in Boston am Zipfel des Ivy-League-Colleges Harvard und verfallen einem Sound, der ein paar Blocks weiter zu hören und trotzdem Lichtjahre entfernt scheint. Mit ihrem hegelianisch strukturierten Essay Signifying Rappers, das sie selbst als »Sampler« bezeichnen, gehen sie der Geschichte, den sozialpolitischen Implikationen und musikalischen Grundsätzen der Rap-Kultur auf den Grund. Als Außenseiter, die ihr Außenseiterdasein explizit herausstellen und aller Euphorie zum Trotz kritische Distanz zu sich und ihrem Gegenstand wahren. Abwechselnd widersprechen sie dem zeitgenössischen Musikjournalismus und einander, verlieren sich in absurd überspannten Analysen oder liefern pointierte Kritik, die vor nichts halt zu machen scheint.
Wallace und Costello sind spät dran und kommen genau zur richtigen Zeit. Rap ist kein Nischenphänomen mehr, sondern überrennt den Mainstream und erreicht ein breites weißes Publikum. Der Staat hat es aufgegeben, in neue Schulreformen zu investieren und steckt sein Geld lieber in den fruchtlosen war on drugs, der sich vor allem gegen Schwarze richtet, die wiederum untereinander gewalttätig werden. Eine Situation wie ein Fallbeispiel aus einem Foucault-Text; eine Situation, wie sie der heutigen in den USA nicht unähnlich ist. Auch zu der rassistisch motivierten Polizeigewalt in Ferguson und anderswo gibt es einen Soundtrack, ein Rap-Album: Auf der zweiten Platte des Duos Run The Jewels heißt es »When you niggas gon' unite and kill the police, mothafuckas? / And take over a jail, give them COs hell«, ganz so als wären die nur auf dem Papier nicht segregierten USA ein Foucaultsches Panoptikum, dem es qua Aufstand zu entkommen sei.
Der Aufstand, den Wallace und Costello in Signifying Rappers mal mehr und mal weniger scharfsinnig nachzeichnen, ist vor allem ein technologisch begründeter. Die marginalisierte Minderheit eignet sich Produktionsmittel wie den Sampler an, referiert über das Sampling eine alternative Geschichtsschreibung und konstituiert sich so eine eigene Identität. Dass die mit Misogynie, Antisemitismus und einem von der weißen Mainstreamkultur adaptierten rigiden Materialismus so ihre Schattenseiten hat, verschweigen Wallace und Costello ihrer Begeisterung für das subversive Potenzial der Kultur nicht. Rap, so räsonieren die Beiden, reflektiert die Gesellschaft, deren Produkt es ist. Dass das weiße Publikum –damit schließen sich die Beiden mit ein – mit »Angstlust« auf dessen Sound hört, liegt in seiner privilegierten und zugleich bedrohten Stellung begründet: »Es ist eine Hölle, die wir uns gerne ansehen, weil es so eindeutig die von anderen ist. « So wie sich der deutsche Mainstream gerne von Angst und Schrecken in Offenbach erzählen lässt.
Signifying Rappers ist ein kapriziös geschriebenes Büchlein, das mit seinen appropriierten Slang-Einlagen insbesondere in der deutschen Übersetzung häufig zum Fremdschämen einlädt. Es steckt voller Widersprüche, die seine beiden Autoren gerne über Fußnoten miteinander austragen, nicht aber auflösen können. Und trotzdem: Es ist als reiner Versuch Zeugnis eines wichtigen Unterfangens. Nicht allein, weil sich Ivy-League-Mitglieder mit dem Sound der Straßen auseinandersetzen und ihn ernst nehmen, sondern weil sie sich in ihrer politischen Funktion auch selbst reflektieren. Signifying Rappers feiert seinen Gegenstand nicht ohne Wermutstropfen in den Sprachbrei zu tröpfeln, wie es auch seine eigenen Verfasser, die weißen Milieutouristen Wallace und Costello, nicht verschont.
»Echter Rap, das ist mal klar, ist – und das sehr selbstbewusst – Musik von Schwarzen aus Großstadt-Ghettos über, an und für diese«, geben Wallace und Costello unumwunden zu. Warum sich also mit diesem hermetischen Phänomen beschäftigen? Warum das Vokabular von Haftbefehls Kanackiş lernen? Weil es eine Schande ist, dass weiße Polizisten schwarze Teenager niederschießen und dafür nicht einmal belangt werden, wie es ebenso eine Schande ist, dass in Deutschland wieder Asylantenheime brennen als sei es 1992 oder, schlimmer noch, 1938. Signifying Rappers erklärt ein Vierteljahrhundert nach Veröffentlichung nicht nur die Fear Of A Black Planet der Reagan-Ära, sondern auch eine gegenwärtige Angst vor dem Kanackiş. Bücher wie diese bräuchte es noch dringender als streitlustige Volten wie die von Haas oder die CSU als Ganzes.
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