Die Logik der Freiheit und die Freiheit der Logik
Der Vater von David Foster Wallace war Philosoph und hat in Amherst studiert, also studierte Foster Wallace in Amherst Philosophie. Aber er hat damit das Gegenteil von dem getan, was sein Vater getan hatte. Denn während James D. Wallace sich auf die spekulative Philosophie eingelassen hatte, verlegte David Foster Wallace sich auf die analytische Philosophie. Beide Formen der Interpretation von Welt und Sprache können in dieser sich ausschließenden Reinheit wahrscheinlich nur im akademischen Rahmen existieren, zwei Welten mit je einer eigenen Population, die über die Weltgrenzen hinaus eine Hand voll Regeln teilen. Parallelwelten, die sich einander kaum wahrnehmen und dennoch kommt es hin und wieder bewusst oder unbewusst zu einem Austausch.
Dieses reale Setting bietet Stoff für einen Sciencefiction Roman, der ohne Monster, Raumschiffe, Planeten und sogar Zukunftsvisionen auskommt. Die Aliens dabei sind die Philosophen selbst. Nach dem Studium unterschieden sich denn auch die Wege von Vater und Sohn; während James D. Wallace zum Philosophieprofessor wird, geht David Foster als Schriftsteller in die Geschichte ein, allerdings nicht ohne einen Prozess des inneren Ringens durchlaufen zu haben. Davon erfahren wir im ersten Text des Buches, der von Foster Wallace Professor stammt und Herzrasen im Kopf heißt, und auf eine rührende Art zwischen altväterlichem Gestus und Bewunderung für den Schüler hin und her schwankt.
Um es vorweg zu nehmen: Man lernt einiges bei der Lektüre dieses verhältnismäßig schmalen Bandes. Man erfährt etwas über Philosophie und Logik, über verschiedene Vorstellungen der Bedeutung von beiden und ihrem Verhältnis zueinander und darüber, ob es Wahrheit und Freiheit gibt, wo sie anzusiedeln seien. Man lernt etwas über Literatur und deren Beziehung zur Philosophie, über Sprache und über Struktur.
Die Beschriftung des Buches allerdings ist ein wenig irreführend. Es müssten mindestens sechs Autoren genannt werden, denn alle Beiträge im Buch sind gleich wichtig und der Anlass der Texte liegt außerhalb des Beitrags von David Foster Wallace selbst. Es ist eine Materialsammlung, die genauso gut das „Fatalismusproblem“ heißen könnte.
Anzuführen sind in jedem Fall noch die Philosophen und Theoretiker, die uns mit der Problematik, die Wallace verhandelt nicht im virtuellen Regen stehen lassen, sondern behutsam ins Trockene der Theorie einführen, sodass wir nicht nur ihren Staub, sondern auch ihre Wärme spüren.
Wissenschaft, die sich erklärt, ohne das Gegenüber zu verachten und im vorliegendem Fall tut sie genau dies, hat immer etwas Unbeholfenes. Darin ist sie der Liebe gleich, denn in dieser Unbeholfenheit trägt sie auch etwas Rührendes. Ohne die Krücken, die Steven M. Cahn, Joachim Bromand und Maureen Eckert mir in ihren Beiträgen gereicht haben, hätte ich mich nur kriechend durch das Textfeld bewegen können. So konnte ich gehen und zuweilen sogar hüpfen, trotz des Raumanzuges, den ich am Anfang der Lektüre trug, den ich später aber ablegen konnte.
Bei allem stellt sich dieser Band als eine Art Kaleidoskop dar, das, je nachdem, wie man es hält, oder schüttelt, ein anderes Zentrum ausbildet, nach dem sich die fraktalen Strukturen der Peripherie ausrichten. Das Buch selbst also wird zur Illustration seiner selbst, weil es strukturell eine gewisse Dialektik von Freiheit, Kontingenz und Bestimmung darstellt, beziehungsweise den Leser in eine solche entlässt. Der Leser entscheidet, ob er sein Hauptaugenmerk auf die Schilderungen der Zeit legt, in der Foster Wallace studierte oder auf die philosophischen Probleme, die die Fatalismusdebatte im Grunde immer schon aufwirft.
Ich wage nicht, zu behaupten, dass das von den Herausgebern von vorn herein so gedacht war, aber die Thematik, die Begrifflichkeiten, die Sprachstruktur und die Intentionalität haben genau das notwendig hervorgebracht. Auch in diesem Satz steckt vielleicht eine sanft fatalistische Position und diese Behauptung relativiert zugleich ein wenig den Verdienst des auf dem Cover auftauchenden Autors am Zustandekommen des Buches. Andererseits könnte man sagen, nur durch den Ruhm, den er sich mit späteren Werken erschrieben hat, ist überhaupt erst ein Interesse daran geweckt worden, dieses Buch entstehen zu lassen.
Man könnte das natürlich tun, in dem man dessen Ausgangsposition und die Logik selbst in ihrem Verhältnis zur Realität (was immer das ist) zu problematisieren versucht, und aufzeigt, dass Taylor sich mit Scheinproblemen herumschlägt. Dazu müsste man aber das Feld der analytischen Philosophie hin zur Spekulativen verlassen.
Alle diese Spekulationen erweisen sich natürlich als müßig, folgt man der Argumentation Richard Taylors in dessen Essay Fatalismus er in einer Folge von logischen Schlüssen nachzuweisen versucht, dass Freiheit schlechterdings unmöglich ist, weil der Gang der Ereignisse vorbestimmt sei und in dieser Hinsicht alles Illusion ist, was darauf abhebt, wir könnten diesen Gang durch freie Entscheidung in irgendeiner Weise beeinträchtigen oder gar festlegen. Taylor geht in seiner Argumentation streng logisch vor. Seine Prämissen scheinen einleuchtend.
Dabei kommt er zu folgendem Ergebnis: Jenseits der subjektiven Empfindung, Einfluss auf den Lauf der Dinge zu haben, gibt es anscheinend keine guten philosophischen Gründe, die gegen die fatalistische Weltanschauung sprechen – aber sehr starke, die für sie sprechen.
Das ist natürlich harter Tobak und für Wallace Grund genug, in seine Abschlussarbeit am Philosophischen Seminar, den Versuch zu wagen, Taylors Argumentation zu widerlegen. Man könnte das natürlich tun, in dem man dessen Ausgangsposition und die Logik selbst in ihrem Verhältnis zur Realität (was immer das ist) zu dekonstruieren versucht. Aber dieser Weg scheint für Wallace nicht gangbar, wäre es ja auch der, der seinen Vater in die spekulative Philosophie geführt hat. Nein, er will Taylor auf seinem eigenen Feld schlagen und so gerinnt seine Arbeit, die im Buch unter dem Titel Richard Taylors „Fatalismus“ und die Semantik physikalischer Modalitäten abgedruckt ist, zur logischen und somit auch scharfsinnigen Tüftelei. Es ist die sportlich-kriminalistische Suche nach dem Stein in der Mauer, der, wenn man ihn entfernt, die ganze Konstruktion in sich zusammenfallen lässt. Ein abenteuerliches Unterfangen, wenn man sich darauf einlässt.
Ich möchte noch einmal kurz auf den Einführungstext von Reyerson zurückkommen, denn er ist auch eine Meditation über Philosophie und Belletristik. Für Foster Wallace stellte sich das Problem so dar, das man sich entscheiden müsse, dass also eine Verbindung von beiden, aufgrund des unterschiedlichen Weltzugangs gewissermaßen unmöglich sei und die geringe Anzahl von philosophischen Romanen oder Gedichten, die sich als gelungen darstellen, scheint ihm Recht zu geben. Andererseits kann man sich auch kaum mehr davon lösen, ist man erst einmal vom Virus der Philosophie infiziert, auch dafür scheint mir Wallace neben Diderot, Sartre, Benjamin, Lukrez und anderen ein Beispiel zu sein. Außerdem kann man vorliegendes Buch als Wissenschaftsbuch und auch als Roman lesen mit Erkenntnis, Genuss und Gewinn.
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