Noch so ein Endzeit-Roman
Edan Lepucki hatte Glück – und es erfüllte sich der Traum eines jeden Debütautors. Ihr Roman „California“ erschien mitten im Streit zwischen Verleger Hachette und Amazon im vergangenen Sommer, und Comedian Stephen Colbert empfahl dem Publikum seiner prominenten Fernsehshow „The Colbert Report“, Lepuckis Buch zu bestellen – nur eben nicht bei Platzhirsch Amazon. Von der Sekunde an gingen die Verkäufe durch die Decke, die Auflage verfünffachte sich (auf rund 60.000 Exemplare), und alle großen amerikanischen Feuilletons besprachen den Endzeit-Wälzer. So kommt man ins Gespräch, bessere Werbung gibt es kaum. Die Frage bleibt aber: Ist das Buch wirklich lesenswert?
Der Boston Globe nannte es „ein solides Debüt“. Aber Solidität allein kann über die doch recht zahlreichen Schwächen einer Geschichte, mit der man zeitgeistmäßig auf der sicheren Seite ist, kaum hinwegtäuschen. Man stelle sich „California“ vor wie „The Walking Dead“ ohne Zombies (wobei – das ist wahrscheinlich zu hart, denn ohne Zombies wäre „The Walking Dead“ kaum mehr als eine mittelprächtige Seifenoper).
Es beginnt, wie so etwas eben beginnt: Man denke sich eine nur rudimentär erzählte Welle von Naturkatastrophen im Stile von „2012“, „Day After Tomorrow“ und Co, die weite Teile der Erde verwüstet und alle sozialen und politischen Strukturen sprengt und die Welt neu ordnet. Das junge Paar Frida und Cal (eigentlich Calvin, Spitzname California) zieht, warum auch immer, in die Wildnis jenseits von Los Angeles und macht einen auf Selbstversorger. Sie leben in einer Hütte im Wald, angeln Fische, jagen Eichhörnchen und leben ein paradiesisches Alternativmodell, nicht ohne sich angelegentlich nach den Segnungen der technisierten modernen Welt zu sehnen, die es seit einigen Jahren nicht mehr gibt.
Doch unter der Oberfläche brodelt es. Frida ist schwanger und weiß nicht so recht, wie sie es ihrem Mann beibringen soll; zugleich knabbert sie noch immer am Tod ihres Bruders Micah, der sich Jahre zuvor als Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt hat – er war Mitglied einer linksradikalen Gruppe, die im Zuge der naturkatstrophischen Neuordnung ihr eigenes Gesellschaftsmodell herbeibomben wollte. Vor allem weil die Reichen sich in vorwiegend christlich geprägte sogenannte Communities einschlossen und ihre Domizile erbittert gegen alle Armen und Fremden verteidigten. Aber gibt es diese Communities vielleicht noch immer?
Eine andere Siedlerfamilie erzählt Cal und Frida Gruselgeschichten von gefährlichen Piraten in den Wäldern – daher dürften sie nicht zu weit von ihrer Hütte durch die Gegend streunen. Und wer ist der mysteriöse August, der alle paar Wochen vorbeikommt wie ein fahrender Händler, und die Siedler mit dem Nötigsten versorgt? Woher hat er all das Zeug?
Als die Familie unter rätselhaften Umständen ums Leben kommt, machen Frida und Cal sich auf den Weg – und stoßen tatsächlich auf eine gut gesicherte Siedlung, in der sie aufgenommen werden. Doch offenbar ist dort nichts so, wie es scheint. An diesem Punkt, nach dem gut 150 Seiten langen Intro, versandet die ohnehin dünne Handlung leider völlig, und den unerträglich passiven Protagonisten geht es nur noch darum, in endlos gestreckten Gesprächen mit den Dorfbewohnern herauszufinden, was wirklich hinter diesem Ort und den Erzählungen von den Piraten steckt. Das könnte spannend sein, würde Lepucki nicht eine Redundanz an die andere reihen und den Leser mit halbgaren Cliffhangern am Ende jedes Kapitels die Nerven rauben. Hier und da greift sie Elemente der allgegenwärtigen Kapitalismuskritik auf und zeichnet das Bild einer verrohenden Gesellschaft, die zu längst überwunden geglaubten Konventionen zurückkehrt. Mit anderen Worten: Sie bedient sich der allzu üblichen Zutaten solcher Endzeit-Stories, und obwohl ihre Figuren glaubwürdig und lebensnah sind, können sie doch nicht über die vielen Logiklücken hinwegtäuschen, die gegen Ende hin immer dominanter werden. Aber das gehört ja irgendwie dazu. Oder?
Unterm Strich: Ein sicher lesenswerter Roman für alle eingefleischten Fans der zweiten Staffel von „The Walking Dead“.
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