Freier Fall zwischen den fünf Elementen
Honzas zweifelhafter Berühmtheit, aufgrund einer Bierlaune prangt er von mehreren Plakatwänden der Stadt, verdankt er die Bekanntschaft mit zwei jungen, von Paragliding faszinierten Männern. Murgy, einer der beiden erkennt ihn, man kommt ins Gespräch und ehe er sich versieht, schwebt Honza selbst hoch über allem in der Luft. Und hält Rückschau auf sein Leben. Er denkt an Hafina, seine erste Liebe: „Wir litten beide an künstlerischen Neigungen“, an Lebenssituationen, in die er immer wieder ohne großes Zutun (aber auch ohne nennenswerten Widerstand) hineingerutscht ist. Als er nach einigen Turbulenzen während des Gleitflugs endlich wieder festen Boden unter den Füßen hat, zieht Honza ein vorläufiges Resume: „Ein durchschnittlich vom Leben gebeutelter jüngerer Mann und ein durchschnittlich vom Leben gebeutelter älterer Mann, in was unterscheiden die sich? Der alte sieht sich selbst nicht als Mittelpunkt der Hauptstadt. Er beginnt, an der Peripherie heimisch zu werden, die annehmbar ist, aber eben immer noch Peripherie. Ohne einen Schritt aus Prag-Vonohrady heraus gesetzt zu haben, ist er auf einmal ein Provinzler. Ein von Wind und Wetter gezeichneter Eingeborener, ein düsterer Optimist. Ein Beobachter. Er hört zu und vergleicht. Ist seinen Erinnerungen ausgeliefert, das ist alles.“
Das ist nicht nur alles, sondern das ist auch der Grundsatz, nach dem dieser Roman verläuft. Nach dem Hakls Erzählen seinem Anti Helden durch die fünf Elemente: Feuer, Wasser, Luft, Erde und Lächerlichkeit, folgt.
Dementsprechend ist der erste Teil, der von Honzas Gleitflug berichtet, auch „Geh höher“ übertitelt. Im zweiten Teil, dem titelgebenden „Regeln des lächerlichen Benehmens“ spielt die Luft zwar weiterhin eine Rolle, weil Honzas Vater ein Flugzeugnarr ist, im Übrigen begleiten wir Honza, wie er seinen Vater ins Krankenhaus bringt, wo er sich einer Operation unterziehen muss, an deren Folgen der fast 80jährige schließlich stirbt. Allerdings nicht bevor er ins Koma fällt, und Honza somit die Gelegenheit bekommt, ihm sich in einem langen Monolog anzunähern, bevor der alte Mann noch einmal das Bewusstsein erlangt, um von seinem Sohn zu fordern, seine Asche dem Meer zu übergeben.
Später, als sein Vater gestorben ist, hört sich Honza, die mitgeschnittenen Telefonate mit ihm an. Auf dem Teppich liegend. Erde zu Erde.
Einen Dialog daraus möchte ich zitieren, weil er neben der persönlichen Auffassung vom Schreiben Hakls, auch einen Blick auf die tschechische Literaturszene wirft:
„Du arbeitest und arbeitest nicht, stimmt's? Du schreibst für dich selber“, sagt der Vater. „Mehr oder weniger.“
„Ich hoffe, nicht wieder über mich.“
„Über dich nicht mehr.“
„Wie soll das denn heißen?“
„Ich habe keine Ahnung.“
„Warum schreibst du eigentlich?“
„Eine Form von Flucht.“
„Und macht das dann auch irgendwem Spaß, das zu lesen?“
„Ich weiß das nur von Leuten, die irgendwie mit dem Literaturbetrieb verbandelt sind. Denen kann es keinen Spaß machen, die sind allein schon davon zu Tode genervt, dass sie das durchblättern müssen. Romane sind für die durch die Bank verkrampft, formlos und unoriginell, vor allem tschechische
„Und sind sie das?“
Ja. Keine Handlung, es geht nichts weiter, keine Dynamik, sie bestehen im Prinzip nur aus Absonderungen von Gefühlen.“
Dialoge mag Hakl überhaupt sehr, und er beherrscht sie auch. Weite Teile des Romans bestehen aus Dialogen. Dialogen, die seltsam auf Abstand achten, um nicht zu sehr an der Einsamkeit des anderen zu kratzen, und sie damit für den Leser noch deutlicher machen. In einem der aufgezeichneten Telefondialoge wird lächerliches Benehmen definiert. „Wie würdest du lächerliches Benehmen definieren?“, fragt der Vater und Honza antwortet: „Als Bemühen, um jeden Preis die Würde zu wahren.“
Nachdem Honza eines Abends vor dem Notebook hockend, die Erleuchtung kam, dass es vermutlich das Beste wäre, einfach aufzustehen, irgendwohin zu fahren und die Asche des Vaters dem Meer zu übergeben, melden sich Murgy und Rulpo. Die drei machen sich auf ins Donaudelta. Dort mieten sie von einem dubiosen rumänischen Paten ein Boot, mit dem sie eine Zeitlang relativ ziellos herumtreideln. Letztendlich trennt sich Honza von den beiden und macht sich allein auf den Weg nach Sulina, um die Asche seines Vaters dem Schwarzen Meer zu übergeben.
Hakl, der mit bürgerlichem Namen Jan Benes heißt, übrigens wie ein weiterer tschechischer Autor, der ebenfalls unter Pseudonym schrieb und 2007 verstorben ist, findet immer wieder wunderbar lakonische Sätze, um die Einsamkeit zu schildern: „Am frühen Abend setze ich mich an mein Notebook, so wie die meisten meiner Mitbürger. Wir müssen Gefühle loswerden.“ Oder, wenn sein Vater ihn bittet ihm eine SMS vorzulesen, die er während des Telefonats mit ihm schreibt: „Lies, ich habe doch kein Leben mehr, da interessiert mich deines.“
Schon sein erster Roman „Treffpunkt Pinguinhaus“, der einmal explizit genannt, auf den aber weitaus häufiger angespielt wird, jedes Mal, wenn der Vater insistiert: du schreibst aber nicht schon wieder über mich, ist dieses Buch gemeint, dessen Inhalt die Gespräche zwischen Vater und Sohn sind, war im Grunde ein philosophisches Buch. Und so ist es auch mit den Regeln des lächerlichen Benehmens. Erstaunlich wie unterhaltsam Philosophie sein kann, wenn man ihr einfach freien Lauf lässt, ohne Angst vor Lächerlichkeit, also ohne das Bemühen, „um jeden Preis die Würde zu wahren.“
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