Abschied und Annäherung
Weil ihr Vater plötzlich gestorben ist, macht sich Inna auf in ihre alte Heimat. Die Totenwache beim Vater wird zum Auslöser für die Auseinandersetzung sowohl mit dem Vater als auch mit dem Vater Land. Evelina Jecker Lambreva erzählt von einer Kindheit in Bulgarien in der sich Heimat und Zuhause bekämpfen. Der Vater verachtete die Bulgaren, sparte mit Zärtlichkeiten, aber er bestand darauf seiner Tochter schon sehr früh deutsch beizubringen. Die Isolation war somit nahezu perfekt:
„Ja, wir waren anders als die anderen Familien im Ort. Niemand kam zu uns auf Besuch. Wir wurden nicht eingeladen. Wir gingen zu keinem Fest, zu keiner Hochzeit und hatten selten etwas zu feiern. Unser Verhältnis zu den Menschen in unserer Nachbarschaft war gestört, weil sie für Vater allesamt Feinde darstellten, verkappte Stasi-Spitzel.“
Die Repressalien, die Innas Vater lange vor ihrer Geburt erleiden musste, machen seinen Hass auf Bulgarien verständlich, dennoch leidet die Tochter zeitlebens unter seiner Haltung.
Die Eltern der Erzählerin sind Ärzte, auch Inna wird später den Arztberuf ergreifen. Wie viele andere in Bulgarien geht auch sie schließlich ins Ausland, weil sie die angestrebte Ausbildung in Bulgarien nicht abschließen kann.
Während der Totenwache ziehen Szenen aus Kindheit und Jugend an der Erzählerin vorbei, die Fährnisse, Einschränkungen und Demütigungen, die man als Bürger der sozialistischen Gesellschaft in Bulgarien erleiden musste, werden eher aufgezählt als erzählt.
Lediglich die Fluchtszene der Großeltern sticht heraus, weil sie dicht und anschaulich beschrieben ist.
Insgesamt ist Vaters Land eine Geschichte von Denunziation und Ausgrenzung, die sich von Generation zu Generation vererbt.
Die dem Roman zugrundeliegende Geschichte und Idee, ist gut, nur leider nicht besonders gut erzählt. Alles wird sehr deutlich benannt und erklärt:
„Mit allem lief es so“, seufzt Bojan, als er die Geschichten von Vaters Demütigungen mit dem Moskwitsch hört. „Es war der Klüngel aus Heuchelei, Zynismus und Hochstapelei Schein statt Sein. Leider hat sich auch nach dem Jahr 1989 nichts daran geändert. Deshalb warten wir hier bis heute auf die echte Wende.“
So werden Anekdoten und geschichtliche Details aneinander gereiht, so eng und lückenlos, dass kein Raum für den Leser bleibt.
Die Menschen in Lambrevas Roman reden nahezu ausschließlich deshalb miteinander, um der Autorin zu ermöglichen, ihre Informationen über Bulgarien loszuwerden.
Die Aussöhnung mit dem Vater ist pragmatisch wie das ganze Buch:
„Der allerbeste Vater ist der tote Vater, der Vater im Himmel. Jetzt kann er mir nicht mehr im Weg stehen, ihn zu lieben. Es gibt nichts mehr, womit er mir wehtut, nichts, womit er mich vernichten kann, nichts, wofür ich mich schämen muss. Sein Scheiden aus dieser Welt ist jedoch nicht das Ende zwischen uns, ich spüre es an seinem schweigenden Wohlwollen. Im Unausgesprochenen, jenseits aller Wörter liegt die Antwort.“
Dieses Unausgesprochene jenseits der Wörter fehlt dem Roman leider.
Das Spannende, die Spannung zwischen der Liebe zu einem Land, das Vaterland ist, und gleichzeitig das Land, das der Vater zutiefst verachtet, dient zwar als roter Faden, als Führer durch diese Geschichte einer doppelten Auseinandersetzung, aber Evelina Jecker Lambreva gelingt es nicht die in dieser Thematik angelegte Dramatik zu entfalten.
Lambreva hat ein trauriges Buch mit berührendem Inhalt geschrieben. Leider bekommt der Leser diese Traurigkeit nur erzählt, spürbar wird sie nur an sehr wenigen Stellen.
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