Hilfe durch die Suchmaschine
Als der französische Arzt und Philosoph La Mettrie im achtzehten Jahrhundert formulierte, dass der Mensch eine Maschine sei, handelte er sich jede Menge Hohn und Spott ein, auch bösartige Anwürfe. Dabei formulierte er ja nur das Offenbare, aber gleichzeitig stellten derartige Gedanken eine Gefahr für die politische Konstitution dar. Wie schon Descartes, von dem der Maschinengedanke letztlich ausgeht, verbrachte La Mettrie lange Zeit im Exil.
In einem in dem Buch "Schriften zur Kunst" enthaltenen Gespräch mit dem polnisch-französischen Künstler Pjotr Kowalski, der für mich eine der spannendsten Entdeckungen im Bereich der bildenden Kunst ist, die ich in letzter Zeit gemacht habe, formuliert Guattari:
Die technisch-wissenschaftlichen Elemente suchen die Subjektivität heim. Sie tun sogar mehr als das, denn sie produzieren Sie zu einem großen Teil direkt, wie etwa die computergestützte Subjektivität. Es gibt nicht nur eine Übermittlung von Information, es gibt nicht nur Netze mit Botschaften, es gibt auch eine Modellierung des Empfindungsvermögens, man könnte sagen, eine Art Kneten des Imaginären, das durch die neuen technisch-wissenschaftlichen Mittel und insbesondere durch die Mittel des Digitalen, der Thematik, etc. geschieht.
Guattaris Schriften zur Kunst sind auf vielerlei Art sehr ergiebig, denn wo es ihm um Kunst geht, geht es immer auch um Wahrnehmung, die Konstruktion von Subjektivität, Politik und Kapitalismuskritik. Er sträubt sich an jeder Stelle gegen die, wie er es sieht, postmoderne Position, die er in neoliberalem Fahrwasser verortet. Und er findet vor allem in der postmodernen Architektur jenen klassischen Unterwerfungsmodus, der im Verhältnis von Macht und Kunst seit jeher angelegt ist.
Gewiss ist die Malerei für dir herrschenden Klassen immer nur sentimentales Beiwerk, eine Prestigegewährung gewesen, während die Architektur seit je eine Hauptrolle bei der Errichtung von Herrschaftsterritorien, bei der Bestimmung ihrer Embleme und der Proklamation ihrer Dauer spielte.
Das schreibt er im Text "Die postmoderne Sackgasse", der dem ganzen Band als Vorwort dient. ABER - und dieses Aber kann nicht überbetont werden - es denkt der Dialektiker Guattari die Möglichkeiten des Ausgangs aus einer solchen Situation immer auch mit. Gegen Ende der Einleitung heißt es:
Andere Regeln der Semiotisierung sind denkbar, um das Getriebe der Welt „in Gang zu halten“ und damit dieses symbolisch-signifikante Imperium, in dem die Gegenwärtige Hegemonie der durch die Massenmedien vermittelten Mächte wurzelt, aus einer transzendentalen Position gegenüber den Rhizomen zu stürzen, in denen sich vielfältige Realitäten und Formen des Imaginären verflechten.
Guattari ist am 30. April 1930 geboren und starb 1992 in Paris. Gemeinsam mit dem Philosophen Gilles Deleuze veröffentlichte er vier sehr einflussreiche philosophische Werke, darunter "Anti-Ödipus" oder "Tausend Plateaus", die sich kritisch mit der Subjektkonstitution und deren Theorie unter kapitalistischen Bedingungen auseinandersetzten. Bis zu seinem Tod arbeitete er als Psychiater in einer Reformklinik, wo er auch mit künstlerischen Mitteln im Rahmen der Therapie experimentierte. Immer wieder lud er Künstler ein, um mit den psychisch Kranken zu arbeiten. Auch sah er die Krankheitsbilder nicht nur als individuelles Schicksal seiner Patienten, sondern eben auch als Produkt struktureller gesellschaftlicher Verwerfungen. Aus der Zusammenarbeit mit Künstlern, aber auch aus einem persönlichem Interesse heraus ergab sich ein Freundschaftsnetzwerk, das man sicher auch als Denkmaschine bezeichnen könnte. Das Wort "Maschine" ist hier mit Bedacht gewählt, und bezeichnet ein Ineinandergreifen verschiedener Komponenten in einem funktionalen Zusammenhang.
Für Guattari sind Subjektgrenzen nicht mit den Körpergrenzen Identisch; sondern das Subjetkt erweitert sich durch technische Mittel über seinen Körper hinaus, implantiert Technik aber auch in den Körper (der Begriff Cyborg, der hierher gehört, verliert beim genauen Hinsehen seine SF-Aura). Unter dieser Maßgabe entwickelt Guattari auch ein gewissermaßen interaktives Verhältnis des Betrachters zur Kunst. Besonders ergiebig in dieser Hinsicht ist der im Buch enthaltene Aufsatz zu Gemälden von Balthus.
Unser eigener Blick hat aufgehört, kontemplativ zu sein; er wird eingefangen, fasziniert und funktioniert nun wie ein Transmissionsriemen zwischen einer Blick-Maschine, die auf Gemälde am Werk ist, und den unbewussten Prozessen, die es in uns auslöst. Eine seltsame Beziehung der Intersubjektivität, trans-human, trans-maschinell hat sich hergestellt.
Auf dieses Problemfeld geht der Herausgeber Henning Schmiedgen am Ende seines ausführlichen Nachwortes ein, in dem er die Aktualität des Denkens Guattaris eindrucksvoll herausstellt, in Rekurs auf Marx' Ausführungen zum Fetischcharakter der Ware:
Die ungeheure Vervielfältigung von Oberflächen,die uns heutzutage Beobachten, abtasten und vermessen, macht es deutlich: "Die maschinelle Produktion von Subjektivität kann für das Beste wie für das Schlimmste wirken."
Hilfe bekam ich bei der Lektüre durch eine Suchmaschine. Über das Netz erhielt ich Zugang zu Informationen über Künstler und deren Werke, über die Guattari schreibt, die ich vorher aber nicht, oder nur dem Namen nach gekannt hatte. So machte ich einige Entdeckungen im Bereich bildender Kunst, denen ich künftig nachgehen werde.
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