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Kritik

Wer bin/ist Ich..?

Hamburg

Jean-Luc Nancy ist einer der wichtigsten Denker unserer Zeit – das bestätigen auch seine Descartes-Lektüren aus den 70er Jahren, die ein Kleinod sind und nun von Thomas Laugstien übersetzt bei diaphanes erschienen.

Diese Texte kreisen um das, was Descartes’ Denken konstituiert, um seine Begriffe wie jenes vermeintlich stabile Ego, das cogitans sei, um die Frage, was larvatus prodeo bedeute, und um die Welt, deren Erzählbarkeit – mundus est fabula – jedenfalls über den Erzählenden etwas aussagt, sowie darüber, wie man die Existenz als „am wenigstens unangemessene” gestalten könne.

Aus diesen Details minutiöser Exegese ergibt sich die Schärfe des Denkens Descartes’, nämlich des Potentials: auch dort, wo Descartes seine Diskurse rundet. Was zum Beispiel das Ego sei, das denke, wird mit Descartes durch seinen berühmten Satz eröffnet und beschlossen; müßte nicht, so Nancy mit Deleuze/Guattari, da stehen, daß „es denkt” – wovon dann zu sagen, es sei ein oder das (oder mein) Ich, eine weitere Operation darstellt..? Das cogito zielt also ins Unbestimmte.

Unbestimmt ist es gerade, wo es sich bekennt, sei es zu sich, was eben unklar ist, aber aufs Produktivste, sei es zu Gott: larvatus prodeo, maskiert schreite ich voran, das wurde bald als ein verstecktes larvatus pro deo gelesen, so auch von Nancy: [Ich bin] maskiert für Gott... Bloß ist, wie Nancy dann notiert, das pro/für ambivalent genug – ist der, der dies sagt, für Gott – oder anstelle Gottes, einer, der prothetisch sich an dessen Stelle setzt? Oder ist das eine das andere, in der Verantwortung, die Gott und Selbst beinhalten mag..?

In Mundus est fabula wird schließlich die Erzählbarkeit der Welt als Ausdruck ihrer Plurivalenz genommen; auf den Begriff gebracht sind Rätsel nicht blank gelöst, sondern, das wußte schon Adorno: „Das Rätsel lösen ist so viel wie den Grund seiner Unlösbarkeit angeben: der Blick, mit dem die Kunstwerke den Betrachter anschauen.”

Alles in allem umreißt Nancy also, was Descartes dachte, um zugleich zu dem zu dringen, was sich mit Descartes denken ließe – vielleicht, was zu denken ist: möglich und notwendig. Seine historische Lektüre ist darin im besten Sinne ahistorisch, aktualisiert Descartes, entdeckt ihn als Sprengsatz wider Descartes’ Bild, das jener und die Nachwelt nämlich schufen, gegen die intentio operis, die seine Texten sozusagen nachweislich durchpulst.

Nancys Buch ist darin lebendig – es ist das Leben der Vernunft selbst, wie in all seinen Texten, und was könnte man Größeres einem Denker bescheinigen..?

Jean-Luc Nancy
Ego sum
Aus dem Französischen von Thomas Laugstien
diaphanes
2014 · 160 Seiten · 19,95 Euro
ISBN:
978-3-03734-446-0

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