„Wahnsinn beherrscht die Zeit.“
Ein friedvoller Ort, an dem man eigene Meinungen freiweg diskutiert, einander zuhört und trotz gegenseitiger Auffassungen zusammensteht – das kann in unserer Welt kein realer sein. Es ist ein idealer. Eine internationale Vereinigung von Literaten, - Poets, Essayists, Novelists -, von der englischen Schriftstellerin Catherine A. Dawson-Scott bereits unter dem Eindruck des ersten Weltkriegs ins Auge gefaßt und 1921 dann gegründet, breitete sich schnell über die Weltflächen aus als eine verheißungsvolle Heimat für alle, die im Schreiben das stete und ernste Anprallen des Geistes gegen die unausweichlichen und oft so grausamen Weltwahrheiten als Herausforderung zu einer eigenen Wahrhaftigkeit verstanden. Der erste Präsident, John Galsworthy, so jedenfalls beschrieb es Hermann Kesten, „glaubte, es müßten nur Autoren aller Sprachen Freunde werden und geschworene Bürgen von Frieden und Freiheit, so müßten ihnen bald alle Völker, ihre Leser, folgen und in Frieden und Freiheit einander wie gute Freunde behandeln.“. Alle Mitglieder des P.E.N. verpflichten sich „mit äußerster Kraft für die Bekämpfung von Rassen-, Klassen- und Völkerhaß und für das Ideal einer einigen Welt und einer in Frieden lebenden Menschheit zu wirken“. So steht es in der Charta.
Obwohl zunächst viele und gewichtige Stimmen gegen einen deutschen P.E.N. laut werden, gelingt es doch einen deutschen Ableger der Liga namhaft zu etablieren und selbst anfängliche Gegner wie Ernst Toller finden letztlich Sinn in dem Zusammenschluß. Toller ist es dann auch, der, nachdem der damalige Vorsitzende Alfred Kerr ins Ausland geflohen und Herwarth Walden zurückgetreten und damit die Voraussetzung für eine „Gleichschaltung“ durch die Nazis geschaffen ist, mit einer flammenden Rede auf dem XI. Internationale P.E.N.-Kongreß in Ragusa-Dubrovnik im Mai 1933 die eingeschlichene Nazi-Delegation bloßstellt, die daraufhin empört abreist.
»Millionen Menschen in Deutschland dürfen nicht frei reden und frei schreiben. Wenn ich hier spreche, spreche ich für diese Millionen, die heute keine Stimme haben.« Toller sah sehr klar, klarer als viele seiner Schriftsteller-Kollegen, die Machtgeilheit Hitlers und die unaufhaltsamen Folgen, wenn man dem nicht entschlossen entgegentreten sollte, klarer wie Heinrich Mann, der glauben wollte, Hitler sei zu tumb um dauerhaft zu überleben: »Wahnsinn beherrscht die Zeit. Barbarei regiert die Menschen. Die Luft um uns wird dünner. Täuschen wir uns nicht, die Politiker dulden uns nur und verfolgen uns, wenn wir unbequem werden. Aber die Stimme der Wahrheit war niemals bequem... Überwinden wir die Furcht, die uns erniedrigt und demütigt. Wir kämpfen auf vielen Wegen, es mag Wege geben, wo wir gegeneinander stehen müssen; aber in uns lebt das Wissen um eine Menschheit, die befreit ist von Barbarei, von Lüge, von sozialer Ungerechtigkeit und Unfreiheit.«
Tollers Rede konnte nichts aufhalten, der P.E.N. war längst in die verhängsnisvollen nationalsozialistischen Schienen umdirigiert und wurde zur „Union nationaler Schriftsteller“. Ende 1933 strebten dann einige der nun im Exil lebende deutschsprachige Schriftsteller eine autonome P.E.N.-Gruppe an. Max Hermann–Neiße, Lion Feuchtwanger, Ernst Toller und Rudolf Olden. Als Heinrich Mann 1934 dazustieß war der deutsche Exil-P.E.N. geboren.
Vor 75 Jahren also gegründet war der Exil-P.E.N. nicht nur Resultat bewegter Zeiten, sondern hat auch im Nachgang bewegte Zeiten hinter sich gebracht. Recht detailliert nachzulesen u.a. auf den Internet- Textseiten der Nachfolge-Organisation „P.E.N. Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland“. Aus dem erzwungenen Exil ist heute ein meist freiwilliges geworden, viele der organisierten Autoren leben nun im Ausland, weil Sie dort Ihren Job ausüben, weil es sie aus privaten Gründen verschlagen hat oder, weil sie nie zurückgekehrt sind. Oder sie leben ganz einfach und tatsächlich in Deutschland – und sind Mitglied hier, weil sie, wie Lutz Rathenow, dem größeren, dem „seltsam vereinigten deutschen P.E.N.“ nicht beitreten wollten. Die weniger dramatischen Begleitumstände schützen nicht davor an einem Gewicht zu tragen, einem „Erbe“, wie man es mit dem derzeitigen Präsidenten Günter Kunert sagen kann. Das ererbte Gefühl nicht einfach kampflos hineinzuleben in eine Welt, in der es weiterhin Faschismus, weiterhin Rassismus, in der es immer Krieg und immer Unterdrückung gibt, sichtbar ganz gleich von welchem Platz aus.
Daß man es mit überaus engagierten Autoren zu tun hat, spürt man sofort, wenn man beginnt sich in die gerade erschienene Anthologie „Nachgetragenes – 75 Jahre PEN-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland“, herausgegeben von Gabrielle Alioth und Hans-Christian Oeser, hineinzulesen. Es schwingt viel Dunkles mit, Tod und Traurigkeit. Schicksalhaftes, das kaum auszumessen ist. Viele Texte generieren sich aus Begegnungen auf jener Ebene des Ernstes, die in unseren Spaßgesellschaften meist übersprungen oder nur kurz als längst überwundene Geschichte gestreift wird. Da ist Renate Ahrens auf der Suche nach dem Grab ihrer Großeltern, und findet nur brennende Fragen; da erzählt Dieter Schlesak aus Transsylwahnien und vom allgegenwärtigen Tod. Da ist ein Altnazi, der in einem Bewässerungsgraben ertrinkt (bei Irmgard Elsner Hunt) und Katharina Born rettet die Geschichte eines Berliner Juden, der in Frankreich zum Katholischen Priester wird, in unsere Zeit. Wie die Großmutter einem Jungen im Rettungswagen wegstirbt (Peter Finkelgruen) oder das „Poem des Zorns, Verse gehauen mit der Axt ins eigene Fleisch...“ von Utz Rachowksi. Freya Klier berichtet über den „langen Schatten der DDR“ und Inge von Weidenbaum über Verbannung und Vertreibung der Sidonie Nádhernýs (1939-1950). Tomi Ungerer meldet Bedenken zur Wiederholbarkeit der Geschichte an und warnt vor allzu großer Sorglosigkeit in Bezug auf Neonazis, Guy Stern entwirft ein Bild des Dichters und Emigranten Arno Reinfrank. Irène Bourquin, Lutz Rathenow, Peter-Paul Zahl und viele andere wunderbare Autoren belegen mit ihren Stories und ihrer Kurzprosa die hohe Qualität des Versammelten.
Ziemlich die Hälfte der Anthologie widmet sich der Lyrik, ob als Primär- oder Sekundärtext. Der 1922 geborene, heute ins Israel lebende Manfred Winkler überrascht mit Gedichten, die so heute nicht mehr geschrieben werden und trotzdem gut sind. Irina Brenner lebt in den USA und hat Religiöses in kurze poetische Auflassungen montiert. Günter Kunert weiß, „Es geht dahin“... und seine sechs Gedichte liegen bloß auf dem Tisch und vermelden das Ende der Dauer. Nichts bleibt und keiner hat Zeit, die sich aufhebt. Es ist kein Zufall, daß er von Dunkel schreibt und von Dämmerung und vom matten Schritt des Alters – er ist alt, aber immer noch da, anwesend ist das Gedicht und im Wort vom Vergehen geschont. Seine Texte sind die lyrischen Highlights des Bandes.
Inszenierung
Er betritt jetzt
das von Zeiten und Wettern
zermürbte Haus: es ist
das seine. Tageszeit: Schlummerstunde.
er legt seine Sachen ab und bekleidet sich
mit dem Bett. Daliegen wie
auf einem Katafalk. Gleich wie
aus dem Nichts erscheint die Prozession
der Worte. Vielsagend und nichtssagend.
Finsternis über seinem Anwesen und über
seiner Abwesenheit. Das Dunkel
wird seiner nicht gewahr. Denn er
durchquerte einen Vorhang, dahinter
einer agiert, den er
für die eigene Person hält. Solch
Irrtum widerlegt das Morgengrauen
nach dem Grauen der Nacht
mit der Toten Gebilde.
Wunderbar auch die als Reise-Notate getarnten Gedichte von Marko Martin oder der „Fortbestand“ in der Lyrik von Margot Scharpenberg.
Die Herausgeber haben eine lesenswerte Anthologie komponiert, mit der sie ein klares Bild der Vitalität dieser traditionsreichen P.E.N.-Gruppe zeichnen. Zu diesem Bild gehört die Beschäftigung mit der Vergangenheit – sie sitzt in uns allen fest. Wir tragen sie in uns und wir sind nicht befreit. Solange wir uns nicht befreien, macht auch die Vergangenheit Menschen aus uns, in denen sie enthalten ist wie ein spezielles Organ. Aber in uns lebt auch „das Wissen um eine Menschheit, die befreit ist von Barbarei, von Lüge, von sozialer Ungerechtigkeit und Unfreiheit“, hat Toller gesagt. In uns lebt der Widerstreit zwischen Schuld und Unschuld wie das Hell oder Dunkel einer einzigen Farbe, des Daseins.
Fixpoetry 2009
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