Analyse, Pathos und Fleiß
Für den Roman „Freuds Schwester“ hat Goce Smilevski 2010 den Literaturpreis der EU erhalten. Darf man einen ausgezeichneten Roman schlecht finden? Darf man über so einen Roman schreiben, dass man ihn konstruiert gefunden hat, dass die Sprache überladen, die Figuren blass und die Dialoge hölzern waren?
Ich denke man darf, aber man sollte sich die Mühe machen, diesen Eindruck zu begründen.
Smilevski, der auch Dramen schreibt, hat sich einen interessanten Stoff gesucht; während Regalwände voller Bücher über Sigmund Freud existieren, weiß man so gut wie nichts über seine Schwestern. Den Lebenslauf einer von ihnen, der zeitlebens ledig und kinderlos gebliebene Adolfine Freud, die 1943 im KZ umkam, nimmt Smilevski als Grundlage für seinen Roman.
Adolfine Freud
Die fiktive Autobiografie Adolfines setzt damit ein, wie sie ihren Bruder bedrängt, für sie und ihre Schwestern Ausreisevisa zu besorgen. Freud sieht jedoch keine Notwendigkeit für eine Ausreise, die nationalsozialistische Periode werde schon bald enden. Wenig später reist Freud mit Schwägerin, Hund und Hausangestellten ab, seine Schwestern lässt er zurück. Als Freud im Londoner Exil stirbt, ist das Schicksal der Schwestern besiegelt. Nicht lange nach seinem Tod werden sie, zunächst nach Theresienstadt, deportiert. In diesem „Übergangslager“ macht Adolfine die Bekanntschaft mit Ottla Kafka, erlebt wie Kinder geboren werden und wie schwer es an so einem Ort ist, die Hoffnung aufzugeben. Nach einigen Wochen erfolgt der Weitertransport in eines der Vernichtungslager. Unter der Dusche schließt Adolfine die Augen vor ihrem Tod, und die Erzählhandlung springt an den Anfang ihres Lebens.
Erzählt wird die schwierige Beziehung zur Mutter und die enge Bindung an den Bruder, von den wenigen Freundschaften während einer einsamen, traurigen Kindheit ist die Rede und von den Lösungsversuchen von der Mutter, sowie von Rainer, einem Mann, „der nach innen weint“, der ersten und gleichzeitig letzten Liebe Adolfines. Von ihm wird sie schwanger, aber die Freude währt nur kurz, weil Rainer sich umbringt und Adolfine keinen anderen Ausweg sieht als abzutreiben. Im Buch liest sich das so: „Als seine Hand keine Stütze mehr brauchte, hatte mich diese Hand in die Verzweiflung gestoßen, wie in einen luftleeren Raum, in dem Feder und Blei, Blut und Seele mit gleicher Geschwindigkeit fallen, mit gleicher Langsamkeit.“
Nach neuerlichen Erniedrigungen durch die Mutter flieht sie in die Irrenanstalt „Nest“, in der Klara, die Schwester Gustav Klimts, sie bereits erwartet. Eine Zeitlang durfte Klara im Buch für Frauenrechte kämpfen, bevor sie daran zerbricht und sich in den Wahnsinn zurückzieht. Die Beschreibung der Zustände im „Nest“ dienen als Beispiele für seitenlange Ausführungen über die Geschichte des Wahnsinns.
Vor Ausbruch des ersten Weltkriegs verlässt Adolfine die Anstalt, um all die Sterbefälle im Familienkreis direkt vor Ort erleben und kommentieren zu können. Bis zuletzt ist Adolfines Leben Leiden, wie überhaupt alle Frauen in Smilevskis Roman ihr Glück nur in der Aufopferung für andere finden können.
Am Ende des Romans schließt sich der Kreis, Adolfine steht wieder in der Gaskammer und spürt, wie ihr Leben entweicht: „Das wird der Tod sein Dieses Vergessen Ich werde vergessen“ In einer seitenlangen Litanei folgen noch einmal die Dinge, die Adolfines Leben ausmachten, und die es zu vergessen gilt: „Ich werde vergessen dass meine Mutter Mama zu mir sagte bevor sie starb Ich werde vergessen dass damals zum ersten und letzten Mal jemand Mama zu mir gesagt hat.“
Smilevski zeigt eine Zeit, in der Normalität weitesgehend das Funktionieren innerhalb des gesellschaftlichen Rahmens bedeutete, an deren Enge gerade Frauen leicht zerbrechen konnten.
Die übergroße Fülle von Zitaten im Buch kann man intertextuell nennen, die Marotte immer wieder ganze Passagen des Buches an anderer Stelle wortgetreu zu wiederholen, kann man als stilistische Eigenheit bezeichnen, und ganz sicher muss man der großen Rechercheleistung Smilevskis Respekt zollen, aber genügt das, um einen Roman als gelungen zu bezeichnen?
Mir sind in diesem Roman keine Charaktere begegnet, nur Schablonen, Beschreibungen, die Auseinandersetzung mit philosophischen Fragen, das alles in einem Stil, der sich zwischen Pathos und Analyse bewegt.
Der mit Abstand beste Satz im Buch ist eine billige Adaption Tolstois: „Alle normalen Menschen sind auf diesselbe Art normal, jeder verrückte Mensch ist auf seine eigene Art verrückt.“ Und weil der Satz so schön ist, steht er nicht nur abgesetzt über einem Kapitel, dem eine kleine Geschichte des Wahnsinns folgt, sondern wird auch möglichst oft wiederholt.
Ich mag philosophische Fragen in Romanen, ich mag es auch etwas mehr über bestimmte Themenbereiche zu erfahren, aber die Informationen müssen in die Handlung, in das Gewebe des Romans eingebunden sein, oder einen wirklich bewussten Bruch vollziehen. Felicitas Hoppe hat einmal über ihren Roman „Johanna“, der ebenfalls eine historische Person, Johanna von Orleans, zum Mittelpunkt macht, gesagt: „Ich breite mich nicht aus, sondern stelle permanent Fragen.“ Goce Smilevski ist den anderen Weg gegangen, bevor überhaupt eine Frage auftauchen kann, hat er den Leser bereits mit Antworten erschlagen.
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