I wrote it my way
Gäbe es eine Geographie lyrischer Formen, dann läge zwischen Haiku und Tanka wahrscheinlich der Bendersche Vierzeiler. Er unterwirft sich allerdings keinen strengen Regeln, und das einzig verbindliche Kriterium ist die Anzahl der Zeilen, die man niemals als Selbstbeschränkung des Autors empfindet. Vier Zeilen, oft aus wenigen Worten nur, reichen für eine Momentaufnahme, einen Gedanken, eine per Wörterzoom herangeholte Einzelheit oder Beobachtung. Vier Zeilen — doch dahinter öffnet sich ein weiter Hallraum.
In dem vorhergehenden Band mit Vierzeilern („Wie es kommen wird“, 2009) schrieb Hans Bender selbstironisch: „Unbrauchbar / für die Frankfurter Anthologie. / Für die Interpreten zu kurz. / Sogar verständlich sind sie.“ Darin verbirgt sich natürlich eine Absage an einen Modernismus, der sich in komplexe, rezeptionsfeindliche Höhen geschraubt hat. Tatsächlich sind Hans Benders Gedichte zugänglich, klar und einfach, nichts ist verschleiert und verschwurbelt. Diese Einfachheit — die zum Kern der Sache vordringt, eine Idee komprimiert, verdichtet und sie schließlich, von allem Ballast befreit, vogelfederleicht aus der Hand entläßt — rückt sie in die Nähe jener fernöstlichen Formen mit ihrer charakteristischen Ruhe, unter deren Oberfläche das Leben immer heftig pulsiert.
Aus abgeklärter Distanz schreibt der 1919 geborene Hans Bender jedenfalls nicht. Er mischt sich ein, kommentiert, stellt Fragen, unaufdringlich und schlicht, aber durchaus ziemlich scharfzüngig: „Beide schreiben schöne Gedichte. / Wie aber sprechen sie miteinander / in der Küche? Warum hat ihr Sohn / so schlechte Noten in Deutsch?“ („Dichtendes Ehepaar“) Oder: „Sie haben eingeebnet, asphaltiert, / was meine Erinnerung behält. / Doch welcher Barbar hat hinterm Haus / am Bach die Silberpappel gefällt?“ („Nachkommen“) Auch der unmittelbaren Zeitaktualität ist es zu verdanken, daß die Form weder Zwangsjacke noch behaglich eingerichtetes Schreibstübchen scheint. Denn die Sinnsprüche dieses Sinnenden behandeln neben persönlichen und literarischen Themen unter anderem: Tornados, die Unglücke von Fukushima und Utøya, den Einsatz am Hindukusch, das Suhrkamp-Archiv in Marbach, das Müllproblem in Italien und die Vorwürfe gegen Bischof Mixa und die katholische Kirche.
Was die Gedichte den Regionen der Zeigefingermoral enthebt, ist ihre kathartische Komik. In diesem Zusammenhang von Benders „Humor“ zu sprechen, brächte ein wohl allzu derbes Element hinein, doch bodenständig sind die Gedichte allemal, hier mild, dort sardonisch lächelnd, zuweilen sogar einen Hauch von Kalauer nicht scheuend: „Welche Antwort geben? / Bin ich belohnt / oder bestraft, / so lang zu leben?“ („Interview“) Kein Weltgebäude, keinen Elfenbeinturm hat Bender errichtet; er zelebriert nur die Schau auf Augenhöhe oder höchstens aus dem Fenster und die schöne Kunst, das Beiläufige — im besten Sinne: Gelegentliche — zum Ausgangspunkt der Reflexion zu machen.
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