Das sprichwörtliche Scheitern eines Lebens
Das erste, was man zu lesen bekommt, wenn man Harald Darers Homepage öffnet, ist folgendes Statement von Karin Fleischanderl: „Harald Darer bedient sich gerne der personalen Erzählweise oder auch der Ich-Erzählweise. Das heißt, er erzählt seine Geschichten so, wie seine Protagonisten bzw. seine Erzähler sie erzählen würden. Sie berichtet aus dem Inneren einer Person, ist radikal subjektiv, polemisch, ungerecht, komisch. Sie kann haarsträubenden Unsinn, politisch Unkorrektes, Grausliches, Ordinäres, Ungerechtes, Zynisches zum Ausdruck bringen, sie muss sich nicht um Objektivität bemühen, sie muss die Person, die spricht, nicht relativieren, nicht erklären, nicht psychologisch motivieren, sondern nur sprechen und handeln lassen.“
Und genau das macht Harald Darer in seinem Debütroman „Wer mit Hunden schläft“, er lässt den Herrn Norbert sprechen, unzensiert und ununterbrochen lässt er ihn erzählen, was hinter der Schlagzeile steckt, die ihn in diese Situation gebracht hat, in der er zu erzählen gezwungen ist, wenn schon nicht seinem, ihm vom Gericht verordneten Lebensberater, dann doch wenigstens seinem Hund Kreisky.
Also monologisiert der Herr Norbert sein relativ glückloses Leben.
Norbert wächst auf dem Leitenbauernhof auf. Als Bangert der Leitenbauerndirn, die ihn zwar liebt und vor den Gewaltausbrüchen des Leitenbauern schützt, ihn aber dennoch ins Kinderheim abschiebt, nachdem Norbert sie beim Beischlaf mit dem Leitenbauern beobachtet, und diesem aus lauter Verstörung den Schädel einschlägt, so dass dem Leitenbauer endlich ein triftiger Grund vorliegt, das mißliebige Kind abzuschieben. „Kreisky, sag ich zu ihm, was ist das für ein Mensch, der in fremder Kinder Mütter herumstochert?“
An der Abschiebung ins Kinderheim stört den Norbert allerdings allein der verhasste Steieranzug, den er zu dieser Gelegenheit tragen muss. „Und als ihn dann die Mutter in das besagte Arnautovic Kinderheim gegeben, ihr eigenes Kind weggegeben hat, wie ihr die Pichlberger hinterrücks immer vorhielten, ohne die wahren Hintergründe zu kennen, die haben sie nicht interessiert, hat ihn das in der momentanen Situation nicht in diesem tragischen Maß getroffen, wie man hätte meinen können. Viel mehr getroffen hat ihn der aufgezwungene Kindersteieranzug mit dem hellblauen Walkjaner als dessen Hauptbestandteil.“
Kaum hat die Mutter so ihren Erstgeborenen verloren, stirbt sie an den Folgen kurpfuscherischer Hilfestellung, beim Vorhaben das zweite Kind loszuwerden. Dem zehnjährigen Norbert wird dieser Umstand folgendermaßen mitgeteilt: „Lieber Norbert, hat der Pfarrer Probodnig geschrieben, leider muss ich Dich über ein tragisches Unglück Deine Mutter betreffend unterrichten, welches in ihrem Tod resultierte.“
Eine der wenigen schönen Erinnerungen des Herrn Norbert ist die an die Rosemarie, aber auch dieser Episode ist ein traumatisches Ende eingeschrieben, mit dem plötzlichen Abschied, bei dem Rosemarie versucht, sich dem Norbert unvergesslich zu machen. Was ihr so nachhaltig gelingt, dass der Herr Norbert in seinem 40jährigen Leben nie wieder etwas mit einer erwachsenen Frau anfangen konnte.
Allerdings ist der Herr Norbert durchaus nicht nur ein Opfer, dass er seinerseits grausam ist, zeigt eine Geschichte aus dem Kinderheim, bei dem er einem Jungen übel mitspielt. An diese Episode erinnert er sich freilich ohne die geringsten Gewissensbisse.
Zuweilen veranlassen skurrile Geschehnisse den Herrn Norbert zu philosophischen Aussagen: „Nicht die Seele, sondern die Kostümierung lebt weiter, Kreisky, sag ich zu ihm.“
Ausgangspunkt der ganzen Geschichte ist das „Unglück“, das der Herr Norbert als Straßenbahnfahrer verursacht hat und das sowohl er, als auch sein „Lebensberater“ auf eine „Trauma Erinnerung“ zurückführen: „Eine Erinnerungskettenreaktion wird ausgelöst in meinem Kopf, mit der ich nichts zu tun haben will. Weil es eine grausliche Kette von Erinnerungen ist, die mir den Brustkorb und den Hals zuschnürt, sobald sie mir beziehungsweise in mich einfällt wie ein Heuschreckenschwarm, wirklich wahr, Kreisky, sagt der Herr Norbert.“
Darer schildert die missglückte, tödlich endende Abtreibung parallel mit dem fatalen Unfall, den der Herr Norbert verursacht hat, und der ihn dazu zwingt, jeden Freitag seinen Lebensberater aufzusuchen.
Weder Darer noch Herr Norbert erzählen chronologisch, eher so, wie die Erinnerung sich selbst anordnet. So mischt sich die die Grausamkeit, Engstirnigkeit und Doppelmoral einer dörflichen Gesellschaft, die aus den Augen eines Kindes erfahren und erzählt wird, mit der beredten Sprachlosigkeit von einem, der, außer mit seinem Hund, eigentlich zeitlebens mit niemandem reden konnte. Denn in Darers Roman gibt es beinahe nur Menschen, die jenseits der Verwendung von Sprichworten, nicht miteinander reden können. Selbst die Kommunikation zwischen Norbert und seiner Mutter erfolgt nahezu ausschließlich über geflügelte Worte.
Die Erzählhaltung, für die sich Darer für diese Geschichte entschieden hat, und die Fleischanderl trefflich definiert hat, ist vermutlich die einzig mögliche, um derartiges zu erzählen, also klug gewählt. Vieles erinnert an Thomas Bernhard, sowohl der „Anti Heimatroman“, das Granteln, als auch die Sprachmelodie, aber Darer hat durchaus etwas Neues geschaffen, er hat die Doppelmoral hinter den Schlagzeilen gezeigt und erzählt, wie sehr diese Schlagzeilen den häufig inhaltsleeren Sprichwörtern ähneln, dass der Unterschied zwischen Stadt und Land nicht so groß ist, wie sich mancher das erträumt und am Ende für viele eben doch der Hund der einzige Freund ist und bleibt.
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