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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Generation Angst

Heinz Bude macht eine Bestandsaufnahme des Angstpegels in unserer Gesellschaft
Hamburg

Kann man mit dem Grundgefühl der Angst den Zustand einer Gesellschaft beschreiben?

Heinz Bude versteht die Soziologie am liebsten als Erfahrungswissenschaft und Angst, so scheint es ihm, ist zurzeit diejenige Erfahrung die weite Teile der Bevölkerung teilen. Nach dem Vorbild der Wissenssoziologie hat er die vielfältigen diffusen Ängste, die uns umtreiben als gesellschaftliche Konstruktionen begriffen, die sowohl vom Menschen geschaffen sind, als auch gleichermaßen auf ihn zurückwirken. Auf diese Weise kann Angst sehr wohl als Ausgangspunkt für eine gesellschaftliche Analyse dienen.

„The only thing we have to fear is fear itself“, sagte Franklin D. Roosevelt in den 1930er Jahren und machte damit die Anstrengungen den Bürgern die Angst zu nehmen zur vornehmsten Aufgabe der Politik.

Der Wohlfahrtsstaat mit seinen Einrichtungen ist durchaus als Antwort auf diese Aussage Roosevelts zu verstehen. Indem für den Wohlfahrtsstaat Angst Ausgangspunkt der politischen Bemühungen ist, wird durch praktisch pragmatische Sozialpolitik nicht nur ganz konkret der Angst an vielen Punkten ihre Basis entzogen, wichtig ist darüber hinaus der sozialpsychologische Nutzen. Erst ein angstfreier Bürger kann selbstorganisiert und freiheitlich handeln.

Konnten so die Menschen lange Zeit ihre Angst ein Stück weit an die Politik delegieren, hat die zunehmende Individualisierung und Selbstverantwortung dazu geführt, dass Versagen als persönliches, selbstverschuldetes Schicksal angesehen wird, das darüber hinaus von keiner sozialen Gruppe geteilt wird. Der Einzelne ist einfach nicht mehr Teil eines Milieus, einer Schicht, sondern in erster Linie Schmied seines eigenen Glücks.

Und das sowohl in beruflicher als auch in privater Hinsicht.

Nichts ist mehr selbstverständlich auf Lebenszeit ausgerichtet, weder die Partnerschaft, noch das Arbeitsverhältnis oder die Zugehörigkeit zu einer Partei, nicht einmal die „Heimat“. Alles ist kündbar und unterliegt dem Primat der Optimierung. Sehr verkürzt gesagt meint dieser Begriff, dass der moderne Mensch mit zunehmender Entscheidungsfreiheit (Partner-, Berufswahl, Wahl des Wohnorts etc.) dem Zwang unterliegt, das jeweils Beste für seinen Lebenslauf zu wählen und immer wieder zu überprüfen, ob die einmal getroffene Wahl noch immer die optimale Möglichkeit für ihn ist.

Vor diesem Hintergrund ist es auf der partnerschaftlichen, persönlichen Ebene nicht verwunderlich, dass das Kind einen immer höheren Stellenwert gewinnt. Bude schreibt: „Bindung ist das knappe Gut, das einem das Kind zur Verfügung stellt. Kinder werden weniger als mithelfende Familienangehörige denn als mitfühlende Beziehungspartner gebraucht.“

Während so im privaten Bereich ein zweifelhafter Gegenpol zur ständigen Angst machenden Unsicherheit existiert, garantiert, wie die Generation Praktikum an vielfachen Beispielen belegt, Leistung allein noch keinen Erfolg. Zusätzlich muss der Einzelne sich darzustellen wissen und zum richtigen Moment in der Lage sein, die Chancen zu ergreifen. Platz für Selbstzweifel bleibt unter diesen Umständen nicht, vielmehr herrscht der Zwang zur Umsicht, alles zu bedenken und im Griff zu haben und zu behalten. So dass diejenigen, die „es geschafft“ haben, ständig unter Druck stehen, den hohen Anforderungen nicht länger gerecht zu werden, während die gedemütigten Verlierer verbittern. Ein Klima aus Konkurrenz und Angst, das auch für den Niedriglohnsektor gilt, wo Rationalisierung nur durch noch mehr Druck auf die Arbeitnehmer möglich ist.

Bude plädiert an diesem Punkt für eine „Erfolgskultur“ in der Leistungsgesellschaft, „die Gewinner prämiert, ohne Verlierer herabzuwürdigen. Sonst produziert die Angst, das Nachsehen zu haben, nur Resignation und Verbitterung.“

Dieses Klima der Konkurrenz, der Angst das Nachsehen zu haben, beginnt bereits in der Schule. Bude diagnostiziert hier „eine untergründige sozialmoralische Ansteckungsangst“, die auf dem „Feld der Bildung die Segregation nach Einwanderungsgruppen mehr und mehr durch die nach Statusgruppen ersetzen wird.“

Auf der individuellen Ebene resultiert aus den gesellschaftlichen Entwicklungen eine „innere Leere“ als Konsequenz der Fremdbestimmung, des „außengeleiteten Charakters“ wie Bude es nennt. Es hat eine Verschiebung der äußeren Grenzen (durch Regeln, Gesetze, Konventionen) zu inneren Grenzen (was kann ich leisten?) stattgefunden. In diesen ständigen Optimierungsprozess drängt sich der Störfaktor der Angst um sich selbst, Fragen wie: Wozu das alles? Was will ich eigentlich vom Leben? sorgen dafür, dass Angst und Selbstzweifel die Führung übernehmen.

Auf der politischen Ebene beschreibt Bude, wie unterschiedliche politische Führungsstile mit der Angst umgehen, und geht natürlich auch auf die Angst vor den Fremden, vor den Flüchtlingen, ein, die spätestens seit dem 11. September zusätzlich von einer Angst vor dem Islam genährt wird.

Angst, so schließt Bude sein Buch in Anlehnung an Paul Tillich, „entlarvt die Lebenslügen von Glück, Glanz und Ruhm, aber sie bewahrt für Tillich, zitternd und zögernd, zugleich die Hoffnung, dass nichts so bleiben muss, wie es ist.“

Als ich das erste Mal von Heinz Budes „Gesellschaft der Angst“ hörte, habe ich erwartet mit Hilfe dieses Buches zu erfahren, wie Angst strategisch als Machtinstrument sowohl im wirtschaftlichen als auch im politischen Bereich genutzt wird.

Die erhofften Hintergründe dazu, wie Wirtschaft und Politik sich die Existenzangst des Einzelnen zunutze machen, um Arbeitnehmer und Bürger unmündig in ihrer Ohnmacht zu halten, ist mir das Buch schuldig geblieben. Bude liefert stattdessen eine gründliche Analyse vom Umgang mit der Angst in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen. Das Prinzip Angst ist kein Machtinstrument bestimmter Klassen mehr, es ist längst zu einem gesamtgesellschaftlichen Problem geworden.

Heinz Bude
Gesellschaft der Angst
Hamburger Edition/Institut für Sozialforschung
2014 · 168 Seiten · 16,00 Euro
ISBN:
978-3-86854-284-4

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