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Kritik

Schere, Stopp und neue Räume

Hamburg

In Vater telefoniert mit den Fliegen spricht Deutschlands Literaturnobelpreisträgerin des Jahres 2009 nun schon zum vierten Mal als Lyrikerin,  nach Der Wächter nimmt seinen Kamm (1993), Im Haarknoten wohnt eine Dame (2000) sowie Die blassen Herren mit den Mokkatassen (2005).

Das vom Hanser-Verlag sehr massiv ausgeführte Buch (harter Umschlagskarton, dickes Seitenpapier) steht in bemerkenswertem Gegensatz zu der Sprachleichtigkeit des Inhaltlichen. Fünf Abteilungen von Gedichten werden jeweils mit einer dann gleich im ersten Text folgenden Gedichtzeile überschrieben: Eine Nachricht, die klar wie ein Wetter war; Ein spielloser Fall ist der Schnee; Das Wort unbedingt ist müd vom Wort unbedingt; Wer weiss, wem ich das Leben stehl. Pro Seite erhält der Leser einen abgeschlossenen Klang- und Augenschmaus: Einer kleinen Bildcollage (der Verlag nennt im Buch die Internetadresse, über die Reproduktionen der Collagen bezogen werden können), manchmal nach Art des Magritte, folgt das skurrile Gedicht, das uns schlaglichtartig vorführt, wie elendig selten noch wir in der deutschen Literatur dem Phantastischen, dem Surrealen, dem Wortleichten, dem Spielerischen zugeführt werden. Wer, handelt es sich um eine Herta Müller, die Schere zur Hand nimmt und einem in Zeitung oder Zeitschrift vorbeihüpfenden Wort die Ehre erweist, wer es mit anderen paart, jedem aber Typenart, Größe und Farbe belässt, hat die Magie des Spiels um Sprache erfasst: der (scheinbaren) Beliebigkeit im Land und Fluss der Wörter ein Stopp hinzusagen; Wortpartner zu erküren; zu vertrauen, zu wissen, dass gerade dieser Moment ein Faible hat für neuen, für größeren Raum.

Natürlich erscheint auch eine solche Dichterin immer und stets mit ihrer Biographie an der Hand:

„Der Mann vom Geheimamt folgt Herrn Frank und meldet AM gleichen Tag unter Aktenzeichen 005/2011: 4.Mai punkt 15 Uhr geht Element Frank mit dem rothaarigen Hund ELSE in eine Kirche hinein Ich. verstecke mich in der Ecke Sie glauben sich allein Element Frank bellt hastig Hund Else zündet eine Kerze AN mir wird es mulmig dann Verschwinde ich“

Mit ihrem neuen, wertvollen Lyrikbuch bereichert Herta Müller ihr Werk. Aber auch die Stellung des Wortes überhaupt. Da „die Wörter nicht den Mund kennen, der spricht“ (Herta Müller in ihrer Nobelpreisrede) hat eben die Dichterin die Aufgabe der Anfreundung zu übernehmen, was hier gelungen ist. Nun ist eine größere Prosaarbeit zu erwarten!

Herta Müllers Buch Vater telefoniert mit den Fliegen, verstehen wir aber nicht zuletzt, nach Inhalt und Ton wieder als eine Hommage an ihren Leidensgefährten, den ebenso wunderbaren Dichter Oskar Pastior.

Herta Müller
Vater telefoniert mit den Fliegen
Hanser
2012 · 192 Seiten · 19,90 Euro
ISBN:
978-3-446238572

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