Was vorhanden ist, muss reichen
„Was vorhanden ist, muss reichen“, sagt sich Ruth Amsel, wenn sie in den Spiegel sieht und Isabella Straub muss etwas ähnliches gedacht haben, als sie sich vorgenommen hat, diesen Roman zu schreiben.
Isabella Straub, die als Journalistin arbeitet, bezeichnet sich selbst als Spätberufene, was literarisches Schreiben angeht. Literarisch schreibt die gebürtige Wienerin, die in Klagenfurt eine eigene Werbeagentur betreibt, eigenen Angaben zufolge erst seit 2008, seit ihrer Teilnahme an der Leondinger Akademie für Literatur.
Im Gegensatz zu ihrer Autorin, fühlt sich Ruth Amsel, die Protagonistin des Romans Südbalkon, zu gar nichts berufen. Mit Raoul, ihrem Freund, spielt sie „Wo ich niemals leben möchte“, wenn er gut gelaunt ist, und „Wo ich niemals sterben möchte“, wenn seine Laune schlecht ist. Im übrigen plätschert ihr Liebesleben vor sich hin, nur phasenweise durch ein eigenartiges Rollenspiel „das siebte Flittchen“ belebt. Wie sie in die „Gesellschaft für Wiedereingliederung“, eine Art privat organisiertes Arbeitsamt, das kinderlose Frauen über 35 Jahren unterstüzt, Frauen also, die laut Roman „ihren gesellschaftlichen Auftrag in dreierlei Hinsicht verfehlt haben“, geraten ist, versteht Ruth selbst nicht recht, denn außer einem abgebrochenen Medizinstudium und einem Langzeitpraktikum in der Aufnahme für Todesanzeigen, hat sie niemals versucht einen Platz in der Gesellschaft zu finden. Immerhin kommen die Geldleistungen von dieser Gesellschaft und so versucht sich Ruth standhaft gegen die Vorschläge ihres Arbeitsvermittlers zu wehren.
Lieber als ihr eigenes Leben in die Hand zu nehmen, beoabachtet Ruth sich selbst und andere Menschen. Dabei stößt sie auf abseitig originelle Einsichten: „Der Mund ist ein überschätzter Körperteil. Solange die Lippen geschlossen sind, hält sich das Elend in Grenzen, der Blick in den Schlund aber offenbart die ganze Entsetzlichkeit der Kreatur. Nichts anderes als ein Verdauungsschlauch, aufgepeppt mit ein paar Deko-Elementen.“
Wenn die eigene Hochhauswohnung kein Beobachtungsmaterial mehr bietet, spaziert Ruth immer wieder in den Kaminsky Park der Magenbruch-Klinik, einem Gebäude, von dem Ruth verwundert feststellt: „Man sieht es einem Gebäude nicht an, wenn darin ausführlich gelitten wird.“
In der übrigen Zeit, trifft sie sich mit Freundin Maja, bevorzugt in der Küchenabteilung von Möbelhäusern, weil das Geld knapp ist, erinnert sich an die guten Anfangszeiten der Beziehung zu Raoul, während sich die Anzeichen seiner Untreue immer weniger übersehen lassen.
Bis Raoul im Krankenhaus landet und Pawel auftaucht. Auf einer Autofahrt zu Ruths Eltern, spielen Ruth und Pawel das Spiel, das Ruth immer mit Raoul gespielt hat, und ausgerechnet auf einem Südbalkon in der „Neuen Welt“, dem Ort, an dem Ruth weder leben noch sterben möchte, laufen alle Fäden zusammen.
Was in diesem Roman vorhanden ist, ist eine bissige und komische Gegenwartsanalyse, genau beobachtet und geschickt kombiniert; Todesanzeigen mit dem Anfang einer Beziehung, Existenzgründungen mit Esoterik, Kinderzimmer mit Raiffeisendirektoren.
Das Personal ihres Romans hat Straub mit witzigen Macken und Marotten ausgestattet, es gibt Trennungen und Eifersucht, Enttäuschungen und neue Anfänge, aber alles bleibt an der Oberfläche. Keiner ist richtig böse, keiner ist wirklich verzweifelt.
Der Roman ist witzig geschrieben und somit richtig gute Unterhaltung. Nicht mehr. Das muss reichen.
Fixpoetry 2013
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Neuen Kommentar schreiben