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Kritik

Wer erstickt letztendlich am Gesetz?

Jack Black bleibt aktuell

„Language is a virus“ – William Seward Burroughs wußte wovon er sprach, als er diesen Satz formulierte. Als Dreizehnjähriger wurde er infiziert, während er die Lebensgeschichte des Outlaws Jack Black verschlang und sich fasziniert Gestalten gegenüber sah, die völlig aus der amerikanischen Gesellschaft herausgelöst agierten und dabei einen eigenen Ehrenkodex lebten. Gesetzlose mit eigenen Gesetzen. Teile des “Good Red Book”, wie er Jack Blacks Erinnerungen “You can’t win” nannte, wuchsen später in sein eigenes Werk hinein, die Hehlerin Pökelfleisch-Marie und die Ganovenbruderschaft der Johnson Family und vieles mehr. “Ein halbes Jahrhundert später sollte ich Figuren und Szenen aus dem Good Red Book verwenden, die Prosa von Jack Black aus dem Gedächtnis zitieren, manchmal Wort für Wort, und wenn man sich noch fünfzig Jahre später an eine Textstelle erinnert, dann muß sie wohl gut sein”, schrieb Burroughs.

Durch diese Geschichten bei Burroughs begegnete Jack Black –  der Virus – auch Axel Monte, der sich ebenfalls infiziert und sich in den 90er Jahren über einen Import-Buchladen “You can’t win” besorgt, nachdem er, zunächst irritiert, feststellen mußte, daß das Buch in deutscher Übersetzung gar nicht vorlag. Zusammen mit Thomas Stemmer geht er die Übersetzung an, die schließlich 1998 beim anarchistischen Karin Kramer Verlag in Berlin unter dem Titel “Du kommst nicht durch” erscheint. Axel Monte besorgt sich weitere verschollene Schriften von Jack Black. Eine Serie aus dem San Francisco Bulletin, in dem Jack Black über seine Gefängnisaufenthalte berichtet, läßt er sich als Kopien aus kalifornischen Spezialbibliotheken liefern – sie bilden zusammengefasst das Buch über den legendären “Großen Ausbruch aus Folsom Prison”, den Jack Black als Zeuge selbst miterlebte. Die deutsche Übersetzung erarbeitet Axel Monte zusammen mit Jerk Götterwind und das Buch erscheint 2008 bei Michael Schönauers killroy media in Asperg.

Daß wir Jack Black auf Deutsch lesen können, verdanken wir also der Tatsache, daß sich Axel Monte beim Lesen von Burroughs  mit einem viel älteren Virus infiziert hatte. Monte forscht weiter und findet im renommierten amerikanischen Harper’s Monthly Magazine auch zwei vergessene Essays, die Jack Black in den Jahren 1929 und 1930 schrieb. Längst dem Ganoventum entlebt, berichtet er in “A Burglar looks at Laws and Codes” in seiner typisch unakademischen und bemerkenswert direkten Sprache dennoch wieder Geschichten aus dem Leben des Outlaws, der sich freiwillig dem Ehrenkodex der Gangster unterwirft und konstatiert anhand sehr konkreter Beispiele eine Veränderung des Verbrechens hin zu einer völlig entregelten und ehrlosen Niedrigkeit – eine Feststellung, die heute mehr denn je gilt: kriminelle Energien werden in einem Dunkel ausgelebt, das nichts kennt außer sich selbst. “Eine neue Art von Gesetzlosen , die im Gewand ehrbarer Geschäftsleute auftreten, scheint ihm eine größere Bedrohung für die etablierte Gesellschaftsordnung darzustellen, als die Einbrecher und Straßenräuber alter Schule, die mit ihren großkalibrigen Knarren durch die Gegend ziehen.”, schreibt Monte.

Während meines Sozialarbeit-Studiums sollten wir einer Gerichtsverhandlung gegen einen jungen Menschen beiwohnen, der einem anderen eins auf die Schnauze gegeben hatte, da dieser unschöne Dinge über die Freundin losgelästert hatte. Der angekündigte Termin war um eine Stunde verschoben und durch Zufall rutschten wir in die Verhandlung gegen einen Kassenwart, der über viele Jahre hinweg Gelder vom Konto eines gemeinnützigen Vereins veruntreut und privat verbraucht hatte. Es ging um eine sechstellige Summe. Und es ging tatsächlich nur um diese Summe  - als der Täter zusammen mit seinem Rechtsanwalt einen Plan vorlegen konnte, wie er diese Summe zurückzuzahlen gedenke, war schnell ein Agreement gefunden, das den über Jahre kriminell Agierenden in die Freiheit zurückkehren ließ. Der junge Mann, eine Verhandlung später, der seine Emotionen nicht im Griff gehabt hatte, durfte, da er wegen mehrmaligem Schwarzfahren schon angezählt war, in den Bau.

Nur ein Beispiel aus dem Alltag unserer Rechtssprechung. Die meisten Bandidten heute sind noch nicht einmal belangbar – sie stürzen mit ihrer Gier nach Geld ganze Staaten in den Ruin, leben von Lügen in Lücken, die allzu detailliert ausformulierte Gesetzeswelten erst ermöglichen, von Ehre kann man lang schon nicht mehr sprechen. Es gibt raffinierte Codes, mit denen man jede Moral unterlaufen kann, ohne bestraft zu werden. Die Raffinesse ist Teil einer Moral der Raffgier. Black hat das alles kommen gesehen – weil er außerhalb des Gesetzes zu leben fähig war (zu einem Leben in einem ganz eigenen Ehrencodex fähig war), konnte er das Innere betrachten und seine Schlußfolgerungen lesen sich atemberaubend einfach, und menschlich. Vielen wird es zu einfach sein – aber der Mann hat recht. Die Welt erstickt an der Regelwut, weil sie damit vor den Schwierigkeiten kapitulieren kann, die das Leben einfacher mitmenschlicher Kodizes mit sich bringt, und meint sich aber damit zu retten. Wer Jack Black liest, kommt nicht umhin, sich auf eine simple und stimmige Art und Weise mit diesen Themen auseinanderzusetzen, die wir leichtfertig delegiert haben an das, was wir Gemeinwesen nennen und nur eine Regelungsanstalt ist.

Zusammen mit Florian Vetsch hat Axel Monte nun die Übersetzung des Burglar- Essays erarbeitet, die unter dem Titel “Gesetzbuch und Ganovenehre” in der kleinen aber feinen Schriftenreihe Edition Occidente erscheint. “… dieser Essay hat mir eigentlich immer am besten von allen Sachen von Jack Black gefallen, sozusagen als Essenz seines ganzen Werkes”, bekennt Monte. Es ist ein wunderbares Stück aufrechter Literatur.

Sprache ist ein Virus, das unsichtbare Rhizome spinnt, Gedanken zu grenzenlos auftretenden Fruchtkörpern macht. “Sprache ist ein Virus” ist auch der Titel eines Buches, das Axel Monte zusammen mit Jürgen Ploog gemacht hat, „ein messerscharfes, ironisch bis sarkastisches Stück Literatur über die Literatur und den Kultur- und Kunstbetrieb“ (Thomas Schweissthal), und das ich bei dieser Gelegenheit allen empfehlen möchte, die beschlossen haben, sich für Jack Black und den in seinem Schreiben verborgenen Virus zu interessieren. Man bekommt es bei der poempress und die website featured das Buch mit folgendem Zitat von Jürgen Ploog:

"Ein Wort ist keineswegs der Gegenstand, für den es steht. Gebrauch bestimmt, was Wörter bezeichnen, & das ist der Faktor, mit dem sie beladen sind, ein Faktor, auf den weder Schreiber noch Leser einen Einfluss haben. Es ist also nicht falsch, Wörter als Organismen zu betrachten, & Burroughs hat sie zu Viren deklariert. Ein Virus ist kein Lebewesen im üblichen Sinn, es ist eher eine Botschaft. Es lebt, um diese Botschaft auf einen anderen Organismus zu übertragen. Wer das weiss, muss sich darauf einstellen, dass er es im Umgang mit Worten mit Fremdkörpern zu tun hat."
Jack Blacks Worte sind Fremdkörper, die ich gerne entdecke. Und während ich sie entdecke, bin ich schon Teil des Rhizoms.

Jack Black
Gesetzbuch und Ganovenehre
Übersetzung:
Axel Monte und Florian Vetsch
Nachwort: Jürgen Ploog
BOOKS EX ORIENTE
2011 · 48 Seiten · 9,50 Euro
ISBN:
978-3-981313079

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