Kritik

Keine Katzen in Kopenhagen

James Joyce einmal anders
Hamburg

Die Katzen von Kopenhagen von James Joyce, illustriert von Wolf Erlbruch und übersetzt von Harry Rowohlt ist in vielerlei Hinsicht ein wirklich ungewöhnliches Buch. Es ist ein Buch für echte Joyce-Fans. Ein Buch für zukünftige Joyce-Fans. Und auch ein Buch für all jene, die sich bisher noch nicht an die großen Werke von Joyce herangewagt haben oder beim Versuch darin steckengeblieben sind. Denn mit Die Katzen von Kopenhagen hält man einen James Joyce in Händen, den man ganz leicht ohne Unterbrechung in einem Zug auslesen kann.

Auf dem Cover sieht man sehr prominent James Joyce. Damit wird schon bevor das Buch überhaupt aufgeschlagen wurde ersichtlich, dass sich hinter dem einfach klingenden Titel Die Katzen von Kopenhagen wohl doch mehr verbirgt. Das Cover macht klar, dass man es hier eben gerade nicht mit einem gewöhnlichen Bilderbuch über Stadtkatzen zu tun hat.

Steht das Buch in einer Auslage, an der man gerade vorbeigehen möchte, bleibt man unwillkürlich am leicht fragenden Blick von Joyce hängen. Das Cover zeigt nur Joyce, der Titel darunter jedoch lautet Die Katzen von Kopenhagen. Aber wo sind nun diese Katzen? Geht es vielleicht gar nicht um Katzen, sondern vielmehr um Joyce selbst? Sucht man nun auf dem Cover die im Titel versprochenen Katzen, so wird man erst auf der Rückseite des Buches fündig. Hier läuft nämlich eine kleine Katze mit einem Fisch vom Betrachter weg, also gewissermaßen in das Buch hinein. Erweckt also schon das Cover den dringenden Verdacht, dass mit diesen Kopenhagener Katzen irgendetwas nicht stimmt, so wird dieser Verdacht rasch zur Gewissheit, wenn man gleich zu Beginn lesen kann:

Leider!
kann ich Dir keine Kopenhagener Katze schicken,
weil es in Kopenhagen keine Katzen gibt.

Die Katzen von Kopenhagen, James Joyce, illustriert von Wolf Erlbruch, Hanser München 2013

Nach diesem Ausruf geht es um all das, was Kopenhagen anstelle von Katzen zu bieten hat: jede Menge Fisch und Fahrräder und rotgekleidete junge Jungens auf Fahrrädern und freundliche Polizisten, die immer nur zu Hause im Bett liegen, Zigarre rauchen und Buttermilch trinken. Den Polizisten in ihren Betten werden fleißig Briefe geschrieben, von  alten Damen, die sicher über die Fahrbahn gelangen möchten, Jungens, die mehr Süßigkeiten wollen und Mädchen, die etwas über den Mond erfahren wollen.

Aber gerade dadurch, dass es in Kopenhagen gar keine Katzen gibt, sind sie für das Buch zentral. Denn die Katzen in Die Katzen von Kopenhagen müssen sich nicht an Tatsachen halten. Da sie nur in der Phantasie existieren sind sie absolut autonom und müssen sich nicht darum kümmern, was Katzen für gewöhnlich tun oder lassen.

Dem Buch liegt ein Brief von James Joyce zugrunde, ein Brief den er an seinen damals vierjährigen Enkel Stephen richtete. Der Text wurde bereits 2012 in einem Dubliner Verlag veröffentlicht. Für Hanser wurde er nun von Harry Rowohlt ins Deutsche übersetzt und von Wolf Erlbruch illustriert. Die „Jungens, die nach Hause schreiben, weil sie mehr Süßigkeiten wollen“ sind schon ein Hinweis darauf, was sich eigentlich hinter den Katzen von Kopenhagen verbirgt – denn zur Zeit von Joyce waren in Irland mit Süßigkeiten gefüllte Katzen gerngesehene Geschenke. Doch aus Kopenhagen konnte Joyce seinem Enkel Stephen keine Katzen dieser Art mitbringen. Stattdessen entwirft er für seinen Enkel eine verquere Phantasiewelt voller Fische und auf Fahrrädern herum flitzenden rotgekleideten Jungens.

Die Erzählung beginnt mit den nicht vorhandenen Katzen, dann geht es um all das, was es tatsächlich in Kopenhagen gibt, insbesondere buttermilchtrinkende Polizisten, und gegen Ende rücken wieder die Katzen in den Vordergrund. Denn statt eine Katze aus Kopenhagen mitzubringen beschließt Joyce beim nächsten Mal eine Katze nach Kopenhagen mitzubringen. Denn dann würde sich einiges in Dänemark ändern und die Katzen würden die Rolle der Polizisten einnehmen:

WENN ICH WIEDER NACH KOPENHAGEN KOMME,
WERDE ICH EINE KATZE MITBRINGEN
UND DEN DÄNEN ZEIGEN,
WIE SIE OHNE DIE ANWEISUNGEN EINES
POLIZISTEN
DIE FAHRBAHN ÜBERQUEREN KÖNNEN.

Dies wäre zudem viel billiger und wer hätte schon eine zigarrenrauchende und buttermilchtrinkende Katze gesehen? Eben!

UND ERST DIE BUTTERMILCH!
KEINE KATZE
WÜRDE DIE JE TRINKEN.

.. und für ausreichend Fisch wäre ja auch gesorgt.

Die Erzählung ist in eine Mini-Rahmenhandlung eingebettet. Am Anfang und am Ende sieht man James Joyce, wie er gerade dabei ist, einen Brief zu verfassen. Am Schluss blickt er aus dem Buch heraus und die Leser direkt an, wie auch der Text die Leser direkt anspricht:

WAS
MEINST
DENN
DU
DAZU
?

Während James Joyce zu Beginn noch leicht sorgenvoll dreinblickt, da er ja die schlechte Nachricht überbringen muss, dass es in Kopenhagen gar keine Katzen gibt, wirkt er am Ende als würde er äußerst verschmitzt lächeln. Wie schon zu Beginn erwähnt, sieht man James Joyce auch am Cover, er taucht also insgesamt dreimal im Buch auf. Diesmal aber mit Hut und Schal und leicht distanziert mit fragendem Blick, als begegne er einem unbekannterweise an einem kalten Tag auf der Straße.

Der Text ist unheimlich verrückt und verdreht. Selbst wenn man weiß, dass eigentlich dahinter nur mit Süßigkeiten gefüllte Katzen stehen, lässt einen diese bizarr verkehrte Welt kaum aus ihrem Bann.

Die Briefauszüge wurden von Wolf Erlbruch illustriert, mit sehr markanten und bunten Kreidezeichnungen. Die Illustrationen entsprechen dem Text von James Joyce ganz wunderbar mit ihrer Schlichtheit und Reduziertheit und gleichzeitigen phantasiereichen Buntheit. Wolf Erlbruch gelingt es auch ganz hervorragend Bewegung in seinen Illustrationen festzuhalten. Dadurch, dass sie noch etwas Skizzenhaftes bewahrt haben, wirken die Zeichnungen überaus bewegt, offen und lebendig. Besonders die Katzen flitzen nur so durch den Band, ob sie nun quer über eine Fahrbahn laufen oder mit einem frisch erbeuteten Fisch flüchten. Sehr ausdrucksstark sind auch die aus ihren Betten heraus Befehle erteilenden Polizisten – man meint richtiggehend ihre durchdringenden Schreie zu vernehmen.

Die Katzen von Kopenhagen ist auch ein Buch insbesondere für Katzenliebhaber. Vor allem die Gesichtsausdrücke der Katzen sind ganz großartig. Wollte man immer schon einmal wissen, wie eine Katze aussieht, der gerade im Bett liegend von aufsteigendem Zigarettenrauch schlecht wird oder wie eine Katze dreinblickt, der ein Glas Buttermilch vorgesetzt wird, sollte man unbedingt einen Blick in Die Katzen von Kopenhagen werfen.

Die Katzen von Kopenhagen zeigen uns einen ganz anderen Joyce – James Joyce als liebevollen Großvater. Ein Großvater, der seinen vierjährigen Enkel und dessen Wunsch nach Süßigkeiten so ernst nimmt, dass er ihm als Trost eine ganz eigene schillernde Phantasiewelt entwirft. Der Joyce in Die Katzen von Kopenhagen ist ein ganz wunderbarer Flunkermärchenerfinder mit einem so verschmitzten Lächeln, dass man am Ende nicht mehr weiß, was man ihm überhaupt noch glauben darf.

Mit Die Katzen von Kopenhagen kommt man Joyce also sehr nahe, da er nicht als der große Autor von „Finnegans Wake“ oder „Ulysses“ zu sehen ist, sondern als briefeschreibender und überaus liebenswürdiger Großvater. Diese Nähe wird auch schon mit dem Cover vermittelt – alleine mit dem kleinen Detail, dass die Oberkante des von Joyce weit zurückgeschobenen Hutes abgeschnitten ist, entsteht der Eindruck ihm nahe zu sein.

Joyce einmal anders kann man auch auf den Ort der Handlung beziehen. Denn bei der Stadt die in Die Katzen von Kopenhagen im Zentrum steht handelt es sich einmal nicht um Dublin, sondern selbstverständlich um Kopenhagen. Obwohl, so selbstverständlich ist das vielleicht gar nicht – da es ja auch die Katzen aus dem Titel nicht gibt wird möglicherweise auch Kopenhagen fragwürdig..

James Joyce
Die Katzen von Kopenhagen
Übersetzung:
Harry Rowohlt
Illustrationen: Wolf Erlbruch
Hanser
2013 · 32 Seiten · 14,90 Euro
ISBN:
978-3-446-24159-6

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