Psychogramm eines ungelebten Lebens
Hotels sind Orte, die die Phantasie beflügeln – wenn man nicht darin wohnen muss. Muss man das, schafft man sich mit wenigen Handgriffen das eigene Reich, die Zahnbürste im Bad, das Kleid am Schrank, das Buch auf dem Nachttisch. Viele Bücher und Filme handeln von „Menschen im Hotel“, wie Vicki Baums Besteller hieß. Von ihrer Verlorenheit, dem Wunsch ausgerechnet jetzt das zu finden, was man schon immer gesucht hat. Vom Nebeneinander der unterschiedlichsten Menschen und von ihren sich kreuzenden Wegen. Der Film „Lost in translation“ ist so ein fabelhaftes Beispiel für Entwurzelung, Selbstentfremdung und die Abneigung, das Fremde wirklich kennenzulernen. Seltener geht es um das Personal der Hotels. Eines der berühmtesten Beispiele mag Thomas Manns „Felix Krull“ sein.
Das Debüt „Das Zeichen für Regen“ der in Wien lebenden Deutschen Jana Volkmann befasst sich mit einem Zimmermädchen. Das Wagnis dieses kleinen Romans ist, kein Hochstapler, keine bizarre Liebesaffäre bringt Adrenalin zwischen die Zeilen. Irene ist aus Berlin nach Kyoto gekommen und arbeitet in einem großen Hotel als Zimmermädchen. Das Gel, auf dem der Roman fließt, ist das täglich Gleiche, Staubsaugen, Betten beziehen, Spiegel putzen und die kleine Bestätigung, es richtig gemacht zu haben, weggegangen zu sein. Irene bleibt bewundernswert stetig, gleich, fast blass. Erst nach einem halben Jahr findet sich ein Buch auf ihrem Nachtschrank, sie bemüht sich nicht auffällig um die Sprache. Einzig das Zeichen für Regen malt sie an das beschlagene Fenster eines Taxis. In einem Quadrat finden sich schräge Striche.
Natürlich hat sie ein Vorleben in Berlin als Studentin. Dort gab es Timo, der sich japanisch aus Büchern beibrachte, der ihr die Adresse des Hotels gegeben hatte. Timo, der schon in Berlin eher neben ihr lebte, als mit ihr. Timo, dem sie aus Kyoto schreibt, doch der Brief kommt zurück: Adressat unbekannt. Irene findet Halt in den sich täglich wiederholenden Handlungen. Ihr Körper weiß, was er zu tun hat, und das rettet sie vor Grübeleien, vor dem Tun, vor dem Suchen nach Veränderungen.
Die durchnummerierten Kapitel heißen: Kyoto. Heute. Oder: Berlin. Früher. Obwohl sich das Zimmermädchen nicht (wie wir Leser) für die Menschen interessiert, deren temporäre Behausung sie täglich wieder herrichtet, bleiben Begegnungen doch nicht aus. Gleich zu Beginn des Romans trifft sie in einem Zimmer, das sie leer glaubt, auf einen Mann, einen Deutschen, der namenslos bleibt. Es ist das Bekannte, das sie anzieht, die eigene Sprache, und sie gleichzeitig wieder abstößt. Doch den Mann gibt es nicht im Verzeichnis des Hotels, das Zimmer 1009 war unbewohnt zu der Zeit, als Irene dort beim Reinigen des Zimmers den Mann traf. Auch die folgenden Begegnungen sind unwirklich: Der Mann kennt nicht nur ihr Verhältnis zu Timo, sondern auch dessen neue Freundin. Der Mann scheint nur in Irenes Kopf zu existieren, er ist ihre Vergangenheit, ihr Gewissen. In der Mitte des Romans ist es eine japanische Kollegin, die die vom Hotelmanagement geforderte Diskretion, bei Irene zum demonstrativen Desinteresse an den Gästen erstarrt, unterwandert. Sie zeigt ihr eine Schildkröte, die eine Hotelbewohnerin unter ihrem Bett verbotenerweise aufbewahrt. Damit scheint die gleichförmige, gefühllose Welt der Aussteigerin aufzubrechen. Wer von beiden die Schildkröte an sich nimmt, bleibt unklar, wie so manches in diesem Roman. Aber Irene beginnt sich zu bewegen. Sie verlässt das Hotel, dann Kyoto, um an einen Strand zu fahren, ins Wasser zu gehen und darin zu verschwinden.
Es ist erstaunlich, wie lange Jana Volkmann den Leser fesseln kann, mit dem Festhalten an den immer gleichen Tätigkeiten des Zimmerreinemachens. Mal ist es ein Blick aus dem Fenster, der Sehnsucht verrät, der Kauf eines besonders schönen Regenmantels. Es fällt nicht schwer zu begreifen, dass sie einen Schmerz verdrängt. Auch, dass sie sich kaum für das fremde Land interessiert, scheint konsequent. Die kurzen Rückblicke nach Berlin in ihre Studentenzeit sind wie Puzzlestücke ihres Lebens, vor dem sie flieht. Ohne es direkt auszusprechen, handelt es sich um das Psychogramm eines ungelebten Lebens ohne Leidenschaften, ohne Höhepunkte. Ein respektabler Ansatz und möglicherweise für die Generation der Anfang 30er, zu der Jana Volkmann gehört, symptomatisch. Kurz: die Welt sehen und nichts damit anfangen können. Sich von einer Liebe verletzt fühlen und es sich nicht eingestehen können. Einzige kleine Hoffnung: vielleicht eine Schildkröte vor dem ewigen Leben unter Hotelbetten gerettet zu haben.
Jana Volkmann promoviert zu Hotels in der Gegenwartsliteratur und ist der Versuchung nicht erlegen, bekannte Motive zu assoziieren. Sie geht in „Das Zeichen für Regen“ einen eigenen konsequenten Weg. Für den Leser ist es nicht immer einfach, ihr zu folgen, vieles bleibt scheinbar zusammenhanglos. Im Epilog taucht sogar eine neue Figur auf, die Besitzerin der Schildkröte mit ihrer eigenen seltsamen, kühlen Geschichte. Sie holt zum großen Krach über die verschwundene Schildkröte aus - die erste große Emotion auf diesen 200 Seiten.
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