Common People
Manchmal darf man sich nicht abschrecken lassen. Cocker ist kein guter Name für einen Autor, schon als Joe schwierig, für einen Nicht-Joe ist er eine Katastrophe. Dann der Marketing-Gag, ein Buch Mother, Brother, Lover zu nennen, vielleicht weil die englische Ausgabe so hieß, das ist keine gute Idee für ein Lyrics-Buch. Der Titel des Buches ist am Ende des Buches genauso dämlich wie am Anfang, er ist nur einem Reim geschuldet, der sich in den frühen Liedern öfter findet. Noch dazu hatte ich übersehen, dass mir ein 340 Seiten Ziegelstein geliefert wird, für Lyrikverhältnisse wäre da schon die Warnung ‚Lieferung Bordsteinkante‘ angebracht.
Andererseits waren Name und Titel so britisch schräg, dass ich neugierig war, eine Art Anti-Lyrik erwartete, zu allem Überfluss war mir nicht mal klar, dass sich hinter Jarvis Cocker eine Berühmtheit verbirgt, zumindest in britischen Augen, der Sänger der Gruppe Pulp. Ich habe noch keinen getroffen, der Pulp-Fan ist, obwohl ihnen z.B. auf der Loreley 1998 schon mächtig viele Deutsche freundlich wippend zugehört haben. Höhepunkt der Bekanntheit von Pulp war in den 90ern und 00ern, das letzte Album erschien 2001, 2011 gab es zwar noch ein großes Wiedervereinigungs-Konzert in Reading, das scheint aber singulär zu bleiben, Cocker ist inzwischen 50 und seit langem mit eigenen Projekten unterwegs.
Der Berlin Verlag hat Cockers Lyrics größtenteils aus seiner Pulp-Zeit herausgegeben, zweisprachig, ausgewählte Songtexte aus der Zeit von 1983 bis 2009, die zugehörigen Lieder sind alle auf Youtube ergänzbar, wenn man sie braucht. Ich wollte Lyrics als Liedtexte lesen, Neugierde halber, ich war froh, nicht die Lieder im Ohr zu haben, in gewisser Weise ist das ein Glücksfall, ungestütztes Lesen, was klingt bei Liedern anders als bei maßgeschneiderter Lyrik?
Um das Gemeckere abzuschließen: die Übersetzung ist manchmal etwas lustlos, technisch, eine Erleichterung der Lektüre des englischen Originals und auch so gedacht – ohne sie wäre das Buch in Deutschland sicher nicht vermarktbar gewesen. Da steht zum Beispiel: Ich schlug die Augen auf.
Bei Cocker heißt die Stelle: ‚My face cracked open.‘
Das sind Liedtexte, Gebrauchstexte, Underlyings für Melodien, oder besser gesagt musikalische Ideen. Cocker legt im Vorwort Wert darauf, dass es keine Lyrik ist, warum auch immer, diese Ausführungen habe ich überschlagen, nicht aber die ausführlichen Hintergründe zu den Liedern, die Cocker im langen Anhang beisteuert. Er berichtet, dass das eben seine Aufgabe als Sänger war, er hat sie anfangs erledigt wie Hausaufgaben, sie waren in der frühen Zeit als Band zu schlecht, um gut zu covern und brauchten deswegen einen eigenen Sound und eigene Texte, wer soll das machen, wenn nicht der Sänger. Es sind Erzähltexte, die Assonanzen sind da, Reime oft auch, satztechnisch gut versteckt, aber weniger als erwartet, kaum einmal aufdringlich. Es blieben gelegentlich mal Ah und Oh stehen, oder ein Refrain taucht zweimal auf – wo es dem Lektor sinnvoll schien, das erinnert wieder daran, dass es Lieder sind, und die Häufung von buzz-Wörtern würde man einem Lyrikband vermutlich nicht durchgehen lassen. Aber bei vielen Texten wäre ich nicht im Traum auf die Idee gekommen, dass man sowas singen/in Musik verwandeln kann:
Deep-Fried in Kelvin
Oh, children of the future – conceived in the toilets of
Meadowhall – to be raised on cheap corn snacks and garage
food. Rolling empty cans down the stairwell. Don’t you love
that sound? Like the thoughts of a bad social worker rattling
around his head … Trying to remember what he learned at
training college … ‘Mester said you wasn’t allowed in here -
so why don’t you get lost?’
Cocker kommt aus der Arbeiterstadt Sheffield, rechnet sich zu den ‘common people’ (pulps größter Hit), und besingt die einfachen Dinge des Lebens, Sex, Liebe, verkommene Wohnungen (ihr ‚Miles End‘ ist auf dem Soundtrack zu dem Kultfilm Trainspotting, einem frühen und grausamen Danny Boyle), Flüsse, die sich als Industriekloaken durch die Stadt schlängeln, Sex . Er war lang genug dabei, um bis zu Ende erzählen zu können, wie es weitergeht nach dem ‚little bit of razzmatazz‘, nach den Schlägereien, er erzählt auch von den Anbiederungen von Politikern, als der Erfolg dazukam. Cocker versteht eine ganze Menge von Sex und von Texte schreiben und wie das alles zusammenhängt (im „Fuckingsong“):
I will never get to touch you so I wrote this song instead:
thinking about you lying on my bed
(it’s gonna get inside your head).
And it’s the best that I can do,
this is the closest I could get,
so let it penetrate your -
consciousness,
oh yes.
…
And every time you play it I will perform the best I can.
Press ‘repeat’
and there I am,
and there I am,
always glad to be your man.
And this way there won’t be any mess -
A I assure you that there would be in the flesh.
This is my very, very best.Turn it up,
turn me on,
I’m feeling good but don’t get me wrong:
I know it’s just a song.
So sind die Dichter, pardon, Liederschreiber, die Kopfgebärenden. Cocker erzählt gerne und er weiß, was er tut, er berichtet, dass sein Texte anfingen, gut zu werden, als er sich von der Absicht verabschiedete ‚profound‘ zu sein.
Ich wollte Lieder lesen, aber in dieser Hinsicht war es eine kleine Enttäuschung, es las sich eher wie eine eigene Art von Lyrik. Das Buch ist im Kern eine lange lyrische Erzählung über das Leben in einer rauen Umgebung, darin hüpft ein Flummy sprachlich immer wieder zwei Stockwerke nach unten für Klänge und Anklänge, an sowas kann man sich stören, muss man aber nicht. Inhaltlich liegt es Cocker sehr fern, das zu romantisieren, eine Familie, eine dauerhafte Freundin oder irgendetwas vergleichbares kommt in seinen Erinnerungen kaum vor. Sein Schreiben beginnt erst mit dem Leben in irgendwelchen Baracken zuerst in Sheffield, später in London, seltsamen Gegenden (we don’t look for trouble // but if it comes we don’t run), in all dem Müll findet sich für die meisten eine Möglichkeit, weiterzumachen, selten eine schöne. Es gibt das sauber abgegrenzte Schwarze und das Weiße, das fliegt gerne als Idee durch die Luft, nur damit ist im echten Leben niemandem geholfen, schon gar nicht den common people. Jarvis Cocker, der Liederschreiber, machts mit dem Schwarz-Weißen wie alle guten Dichter, und er sagt es unverblümt (‚Trees‘) -
I took an air rifle,
shot a magpie to the ground,
and it died without a sound.
Fixpoetry 2013
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Kommentare
Cocker macht keine E-Lyrik
Der Meister der Ironie und Camp-Künstler Cocker kommt in dieser Besprechung etwas zu kurz, wie ich finde. Cocker, der die Kunsthochschule von innen gesehen hat, würde sich wohl kaum zu den common people zählen oder emphatisch seine Biografie in den Songs verarbeiten. Seine Texte spielen vielmehr mit Klischees oder sind häufig auch einfach Quatsch. Pop eben!
Neuen Kommentar schreiben