Vom Hybridvogel
Das "text- und hörbuch" mit dem Titel "Das Licht ist weder gerecht noch ungerecht" ist als Dokumentationsband über die Arbeiten des Grenzgängers zwischen den Sprachen, Geschlechterrollen und Textsorten Jayrôme C. Robinet durchaus wert, gelesen und gehört zu werden. In der Natur der Sache liegt, dass die rein "literarische" Rezeption dabei an Grenzen stößt.
Die Person, die sich in den performativ zu denkenden Texten des vorliegenden Bandes - Slam-Texten, Spoken-Word-Texten (und nein, das ist nicht das gleiche, egal, was die Kapiteleinteilung sagt), einigen Kurz- und Kürzestprosen sowie einem Theatermonolog - selbst inszeniert, ist grundsympathisch. Als Trans*mann, als Franzose in Deutschland, als staats- und überhaupt abstraktionsskeptischer Kosmopolit im Angesicht von Sprache und Polizeipraxis der "verwalteten Welt" ist Jayrôme C. Robinet in der so wenig beneidenswerten wie nützlichen Position, das Sitzen zwischen allen Stühlen, das im simplen Wortsinn nicht-Selbstidentische als Grunderfahrung seiner Biographie mit sich zu führen. Ein Absatz, der viele der Themen zusammenführt, um die es in "Das Licht ist weder gerecht noch ungerecht" geht, ist mit "Entwicklung" überschrieben:
"Ich möchte alle Gedächtnisse der Welt miteinander verbinden. Alle Erinnerungen aneinandernähen. /// » Hauptsache, du bringst uns nicht einen deutschen Mann nach Hause! « /// Vor ihrem Tod hätte ich meiner Oma so gerne gesagt: /// » Mamé, der deutsche Mann bin ich selbst geworden. « "
Wie Nora Gomringer in ihrem Vorwort schreibt:
"Der Band (...) enthält das Leben seines Dichters bis zu diesem Punkt."
Gerne und interessiert liest man zum Beispiel den langen Monolog, der dem Buch seinen Titel gibt, über die Zugfahrt zu den Eltern, die ihre (französische?) Tochter erwarten, aber stattdessen einen (deutschen?) Sohn vorfinden werden - ohne, dass dieser eine andere Person wäre als jener. Mit dem Umstand, dass binäre Zuschreibungen, obwohl sie bloß arbiträre Abstraktionen sind, reale Gewalt über das das konkrete Leben, den Umgang miteinander, die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten der Verständigung zwischen Menschen haben, müssen die "lieben Cis-Leute" und weißen Mittelstandsangehörigen sich eben selten auseinandersetzen. Es fällt leicht, eine Ordnung der Dinge "natürlich" zu finden, die einen selbst privilegiert. Wer der arbiträren Norm einer Gesellschaft am besten entspricht, wird sich auch am Schwersten tun, sie als potentiell bedrohlich, im schlimmsten Fall als mörderisch, jedenfalls aber als veränderbar zu erkennen. In diesem Zusammenhang leistet Robinets Buch, wohl durchaus absichtsvoll, Didaktisches.
Dieses Didaktische bedeutet aber auch: Robinets Texte mit den Maßstäben zu messen, die auf andere Lyrik- oder Experimentalprosa-Bände angewendet werden, gleicht dem Unterfangen, einen formal fortschrittlichen Dokumentarfilm mit einem ebensolchen Spielfilm zu vergleichen, selbst, wenn die beiden ähnliche Themen und Motivkonstellationen aufweisen (sagen wir: Glawoggers "Workingman's Death" und Jarmuschs "The Limits of Control"): Entweder der Spielfilm erscheint in der Gegenüberstellung "unehrlich" und obszön verspielt, oder der Dokumentarfilm erscheint seltsam roh und unterkomplex. Das gilt auch hier: Gemessen an den Standards der Formsprachen aktueller ... ich sage "Literaturliteratur" und denke an die meisten Gedichtbände der Saison, die mir gefallen haben ... erscheint vieles an Robinets Buch unreflektiert, tastend, schnell-schnell auf eine Pointe hin aufgeschrieben. Gemessen dagegen an Robinets Buch, erscheinen die meisten jener Gedichtbände eitel, verstiegen, als Verräter ihres jeweiligen Themas. Dass es sich dabei wie angedeutet nicht um ein Problem der Texte, sondern ein Problem der arbiträren Genregrenzen und -normen im derzeitigen Literaturbetrieb handelt, passt wiederum gut zum Gegenstand von Robinets Buch.
Wie eingangs erwähnt, lohnt es sich also, das Buch nicht als "Gedichtband" zu lesen, sondern als Dokumentationsband von performativen Texten: Es ist Robinets Gestus der Selbstentblößung, das Mäandern des um Verständnis und Verständigung bemühten Ich zwischen Referat, Slam-Lyrizismen, Witzeerzählen und kurzen Narrativen, der Modus der stetigen Anrede an ein konkretes Publikum (den man selbst in der Kurzgeschichte "Einreise in Zeitlupe" zu spüren vermag) der bzw. das den Band trägt.
Nun bin ich persönlich ja kein Fan der Slam-Poetry, und das hat vor allem mit einer - meiner Meinung nach - Unsitte zu tun, die so vielen Texten des Genres eigen ist. Wenn nämlich im Textstadium des "milking the premise" diese ganz bestimmte Form "lustiger" reduzierter Sprachkritik angewandt wird, die garantiert keinen Hörer überfordert, und die ungefähr so geht (und ich meine wohlgemerkt nicht das "ö", ich meine das mit der Gleichsetzung von Zeichen und Bezeichnetem) -
"(...) was würden Sie ohnö unserö französischö Wörter machen? (...) Ohne Balkon würden Sie abstürzen, nicht einmal auf der Terrasse landen und weder Parterre noch vis-a-vis hätte es jemand gesehen."
- dann schalte ich beim Hören wie beim Lesen auf Durchzug, fühle mich zugleich gelangweilt und veräppelt. Ich erwähne dieses mein Privatproblem, um weiter sagen zu können: Dass ich in diesem Fall froh darüber bin, über es hinweggesehen zu haben. Robinets Gestus und seine sehr eigene Stimme - was auch bedeutet: seine sehr eigene Vortragsstimme auf der beiliegenden CD - hatten mir schon zu dem frühen Zeitpunkt in dem vorliegenden Buch, da das obige Zitat fiel, genug Gründe gegeben, weiterzulesen.
Langer Rede kurzer Sinn: "Das Licht ist weder gerecht noch ungerecht" ist ein Buch, das mich unter Aufbietung der Mittel der zeitgenössischen sprachlichen Bühnenkünste über ein Thema verständigen will und in diesem Unterfangen höchst erfolgreich - und dabei unterhaltsam - ist.
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