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Kritik

Stillehre, Spannung und Sein

Was wäre, wenn das Sein angemessen gedacht würde.
Hamburg

Jean-Luc Nancy schreibt vom Sinn der Welt; und das, obwohl er nicht ihn zu kennen vorgibt, vielmehr zeigt er, daß es ihn nicht gibt, man aber Sinn ins Sein hineinlegen könne. Eine gewisse Sorglosigkeit ist die Folge, man lese M. Probsts Schilderung seiner Begegnung mit Nancy – jener habe sich „auf einen mit Decken drapierten Sessel“ gesetzt: „Und als er die Beine übereinanderschlägt, zeigt sich ein Gewirr von Fäden an seinen Strümpfen, weil deren Strickmuster nach innen weist.“ Nancys Rat ist keiner des Sich-Zurechtfindens, sondern des Sich-Erfindens, allenfalls, mit einem Sinn für Relevante, das strikt subjektiv ist, und zwar deutlich, gerade, wo es objektiv sei. Vielleicht ist das der Wert der Objektivierung – zu sehen, wie bald man von sich selbst denkt, wenn man vom Sein spricht, und eben von dessen Sinn. „Das Leben steckte voller Widrigkeiten, nähme man sie ernst“, sagt Nancy zu Probst.

Als Pendant dessen aber zeichnet sich aber eben doch auch eine skrupulösere Denkart ab – wenn Sinn nicht ist, man ihn vielmehr aktualisiert, ist das eine Verunsicherung, die nicht zwingend in Beliebigkeit mündet. Wie man ihr entgeht? Indem man die Gewordenheit des Sinns liest, sein Subjektives objektiviert, das also offenhält, was sich allzu leicht zur Meinung und dann zur Ideologie verfestigt: zu einem Sein, das das Sein substituiert.

Was ist, ist dem Sinn nämlich voraus, der sich als Sein figurieren will: prae-sent… Dagegen stellt Nancy einen Sinn, der gerade als „Offenheit“ „das Offene […] eng und streng formuliert“, einen Sinn, der Stil hat, aber Stil im Sinne einer Spannung, die Sinn zwischen sich und seinen Potentialen erhalte. So wird mit Borges die Linie zum Labyrinth: das, was vereinfacht das Mäandern vergessen macht, aber auch das, was methodisch verfehlt wird, wo die Linie stimmte. Sinn wird so zum Raum der logoi und ihres Polylogs – nicht nur das, was kommuniziert wird, ist der Sinn eines wie immer gearteten Lesbaren, sondern auch, „dass es kommuniziert“, und zwar: was auch immer das sei.

Existieren ist also als Begriff schon Autodekonstruktion und eine „Unendlichkeit von Rhythmen“, denen Nancy ablauscht, was vielleicht ist, wenn das Sein als Kopula nicht fahrlässig gebraucht wird – oder: was wäre, wenn das Sein angemessen gedacht würde. Das zu lesen und zu leben ist … der Leser möge es herausfinden.

Jean-Luc Nancy
Der Sinn der Welt
Aus dem Französischen von Esther von der Osten
diaphanes
2014 · 240 Seiten · 26,95 Euro
ISBN:
978-3-03734-745-4

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