Von der Eigenwilligkeit und Einsamkeit des Schreibens
Ich hatte immer schon und habe nach wie vor eine Schwäche für Bücher, in denen über das Schreiben berichtet wird. Das zweifellos Größte und für mich nicht zu überbietende Buch in dieser Richtung ist und bleibt „Schreiben“ von Marguerite Duras. Gerade weil es ein vollkommen persönliches Buch ist, weil nichts davon auch nur den Eindruck erweckt, man könnte es verallgemeinern. Ich weiß nicht so genau, was ich suche in Büchern mit dieser Thematik, und ebenso wenig weiß ich, was andere darin suchen könnten. Es ist sicher zum Teil der Wunsch, etwas über den Menschen hinter den Büchern zu erfahren und die Hoffnung, etwas Allgemeingültiges über den Prozess des Schreibens vermittelt zu bekommen.
Beide Bedürfnisse werden von Jean-Philippe Toussaint in seinem schmalen Buch „Die Dringlichkeit und die Geduld“, das verschiedene Essays über das Lesen und das Schreiben versammelt, erfüllt.
Toussaint ist ein belgischer Schriftsteller und Regisseur, der in Frankreich sehr bekannt und beliebt ist, während er in Deutschland noch weitgehend unbekannt ist. Der Übersetzer von „Die Dringlichkeit und die Geduld“ ist zugleich der deutsche Verleger Toussaints. 1985 erschien sein erster Roman „Das Badezimmer“, 1989 der erste Film, für den er das Drehbuch geschrieben hatte.
In „Die Dringlichkeit und die Geduld“ berichtet Toussaint, dass zwei Leseerlebnisse für den Beginn seines Schreibens ausschlaggebend gewesen seien. Truffots „Die Filme meines Lebens“, nicht zuletzt wegen des Ratschlages, Drehbücher in Bücher umzuschreiben, weil im Gegensatz zum Film die Beschäftigung mit der Literatur „harmlos und ohne Folgen sei.“ Und Dostojewskis „Verbrechen und Strafe“, das ihm die immense Kraft verdeutlicht habe, die in der Literatur steckt.
Für jeden Autor scheint es einen zentralen Begriff zu geben, wenn er von seinem Schreiben spricht, bei Marguerite Duras ist es die Einsamkeit, bei Toussaint das Zusammenwirken von Dringlichkeit und Geduld.
Die Dringlichkeit hat er bei Dostojewski gefunden, die Geduld bei Flaubert, eine untrennbare Synthese von beidem bei Proust. Dennoch war sein literarisches Vorbild ein anderes, kein geringerer als Beckett, den er auch persönlich kennen lernte. Die Hommage an Beckett gehört zu den schönsten Stellen im Buch, und spielt keine geringe Rolle für ein Verständnis dessen, wie einer zum Schriftsteller wird, weil Toussaint deutlich macht, dass Vorbilder eine Zeitlang durchaus notwendig sind, aber der Punkt kommen muss, da man sich von ihnen löst und sich einen eigenen Stil zutraut.
Marguerite Duras schrieb dazu: „Und wenn ich Kritiken las, konnte ich meistens etwas damit anfangen, wenn da stand: Es ist mit nichts zu vergleichen. Das heißt, es fand zur ursprünglichen Einsamkeit des Autors zurück.“
Vielleicht fragt sich der eine oder andere Leser von Büchern, die vom Schreiben handeln, wie der Einzelne überhaupt zum Schreiben kommt, warum man damit anfängt. Nicht nur das beantwortet Toussaint. Er hat darüber hinaus eine Definition vom Schriftsteller, die er der Hypothese eines polnischen Professors verdankt: Die Unterschiede zwischen Biologie und Mathematik, postulierte dieser, seien dieselben wie die zwischen Literatur und Film.
„Wir haben es also in dem einen Fall mit ausgesprochen ausgeglichenen, verantwortungsvollen und besonnenen Menschen zu tun (Biologen und Filmemacher), in dem anderen Fall, leider, mit verantwortungslosen und verängstigten onanistischen Träumern, die jeden Kontakt zur Realität verloren haben.“
Dieses Zitat spiegelt den Stil dieses Buches, unterhaltsam, ironisch, persönlich, aber nicht selbstverliebt.
Zum Schluss noch einmal zu den zentralen Begriffen, wenn es um das Schreiben geht; Dringlichkeit und Geduld. Unter Dringlichkeit versteht Toussaint den Antrieb, überhaupt mit dem Schreiben zu beginnen. Allerdings ist dieser Zustand der Dringlichkeit nur „mit unendlicher Geduld“ zu erreichen. Erst nach ausführlicher Recherche und dem Bestehen langer Durststrecken, stellt sich der Zustand ein, in dem die Worte wie von selbst auf das Papier fließen. Toussaint schließt: „Das Schreiben eines Buches sollte aus nichts anderem bestehen, als aus diesen abwechselnden Phasen von Funkensprühen und Durchhaltevermögen.“ Wer also unbedingt nach einer Gebrauchsanweisung sucht, hier hat er sie. Genau genug, um sich etwas darunter vorstellen zu können und doch offen genug, damit jeder sie ein Stück weit an die eigenen Bedürfnisse anpassen kann.
Neben diesem Lehrsatz, stehen viele andere wahre Sätze über das Schreiben und über das Lesen in diesem Buch.
Letztendlich ist es aber mit Wahrheiten wie mit Vorbildern. Eine Zeitlang braucht man sie, um sich zu orientieren, aber letztendlich muss jeder seinen eigenen Stil finden. Und den findet der Schreibende nur, indem er seinen eigenen Weg zwischen Einsamkeit, Dringlichkeit und Geduld sucht.
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