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Kritik

Ein demokratischer Dichter

Die Gedichte von Jeffrey McDaniel aus zwanzig Jahren lassen sich als Chronik eines jungen Wilden lesen, der erwachsen wird.
Hamburg

Im hochroth Verlag ist unter dem Titel „Heimatland Neurose“ eine chronologisch angeordnete Auswahl aus fünf Gedichtbänden von Jeffrey McDaniel erschienen. Für die Übersetzung ist Ron Winkler, der schon seit einer Dekade Jeffrey McDaniels Gedichte ins Deutsche überträgt, zu danken.

In den USA, wo McDaniel 1967 geboren wurde, ist er seit den 80er Jahren eine Größe in der Performance Poetry Szene und auch in Deutschland hat die erste Übersetzung seiner Gedichte im Lautsprecherverlag, durchaus Wellen geschlagen. Immerhin bescheinigte der Rolling Stone, nicht in erster Linie für seine Lyrikbesprechungen bekannt, Jeffrey McDaniels Gedichten eine Sensation zu sein. „Ein Worthülsen zerballender Hingucker, in dessen Brüchen und Breaks man sich verhakt.“ So Matthias Penzel.

Jetzt liegen 24 ausgewählte Gedichte vor, leider nur in der deutschen Übersetzung, ohne das englische Original, anhand derer der Leser das Urteil Penzels prüfen kann.

Sofort fallen die ungewöhnlichen, durchaus mit gewalttätigen Metaphern gesättigten Liebesgedichte auf. Die unmögliche, unerwiderte Liebe wird zu einem Land, in das der Liebende niemals zurückkehren kann. Die Gefühle, die die vergebliche Liebe auslöst, werden beschrieben als „Handgranate, die niemals aufhört zu explodieren“.

Das mag zunächst befremdlich erscheinen. Aber denkt man einmal nach, oder zurück, sind es tatsächlich extreme Empfindungen, denen der unglücklich Verliebte, gerade in jungen Jahren, ausgesetzt ist. Ein Erleben, das nichts mit Vernunft und erst Recht nichts mit Verhältnismäßigkeit zu tun hat. Das weder brav, noch gezähmt, daherkommt, sondern den Erleidenden wild und zerstörerisch überwältigt.

Spuren der Gewalt finden sich auch in Gedichten, die sich mit der Herkunft beschäftigen, mit einem Stammbaum, der bis ins Jahr 1313 zurückzureichen scheint.

Selbst die Natur bekommt zerstörerische, unheilvolle Züge, wenn McDaniel dem Himmel den Teint von Ertrunkenen andichtet.

Im Gedicht „Gegensätze greifen an“ heißt es:

   Leg deine Visitenkarten auf den Tisch.
   Lies die Zukunft aus den Palmen und heule.
    
   Roms Orgien wurden nicht an einem Tag erbaut.
   Ich wette die Stimmbänder einer Soubrette,

    dass meine Apokalypse deine Apokalypse
    überbieten kann – selbst in einer verkorksten Nacht.

Diese Wette scheint symptomatisch für die Gedichte der ersten Jahre zu sein.

Bei den späteren Gedichten findet eine Verlagerung ins Surreale statt. Aber auch hier klingt die Sehnsucht bedrohlich. Da ist zu wenig Zurückhaltung, zu viel Gewalt, und all überall Selbstzerstörung.

Woher diese Wut und Gewalttätigkeit kommt, woraus dieses „Heimatland Neurose“ sich zusammensetzt, wo es seinen Ursprung hat, das wird zart und zurückhaltend erzählt, anhand von klaren, schmerzhaften Kindheitserinnerungen.

Und nach diesem Bekenntnis wird auf einmal auch die Liebe, dreizehn Jahre später, friedlicher. Keine Handgranaten mehr, nur ein Virus und „das, was nicht sagbar ist.“

„Archipel der Küsse“, ein Gedicht aus einem Gedichtband von 2002, beschreibt schließlich echte Leidenschaft, völlig selbst- und gewaltlos.

Liest man McDaniels Gedichte, scheint es als würde die Fähigkeit zu lieben, Stadien durchlaufen, von der ungestümen Leidenschaft, die den Einzelnen überwältigt, reifen zu einer erfüllenden, tiefen Sache.

Aber bei McDaniels Gedichten geht es nicht nur um das Selbst und um die Liebe. Seine Gedichte behandeln auch politische Themen. So übt das Gedicht „Wann noch mal endete im Himmel die Apartheid?“ Kritik am immer noch herrschenden Rassismus in den Staaten. Wobei die Verantwortung der Zeitgenossen in der Zeile mündet:

    [...] das Leben ist ein langer Song und wir sind der Refrain.
    Metro fahren ist ein Refrain. Auf dem Freeway
    fahren: ein Refrain. Halt dich bereit, denn du weißt nie,
    wann die anderen Instrumente ausfallen,
    und Tataa – plötzlich ist es dein großer Auftritt, das Barometer
    deiner Menschlichkeit, und du hörst ein Schweigen
    schreiten und das Auditorium weiten, wenn du die hohen Noten angehst
    mit den Pfeilen und dem Bogen deiner Stimme.

Eine Besonderheit von McDaniels Gedichten ist, dass er das ganz Kleine, Alltägliche und Banale, mit den großen Themen (Tod, Liebe, Gerechtigkeit) verknüpft, dass er sie nicht strategisch zusammenführt, sondern wahrhaft demokratisch schreibt, weil er jedem Ding, und jedem Gefühl, das gleiche Recht auf Ausdruck zugesteht. So scheut er sich auch nicht, über die Bigotterie in Amerika zu schreiben, und wie er zu seinem eigenen, sehr persönlichen Glauben gefunden hat.

Der schmale Band „Heimatland Neurose“ endet nahezu demütig, friedlich. Als hätten die Gedichte einen Spannungsbogen über die Biografie gespannt, der zum Ende hin auslaufen, abflachen darf.

Die zwischen 1995 und 2013 in den USA veröffentlichten Gedichte zeigen eine Entwicklung der Themen, aber auch der Art mit der Thematik an sich umzugehen. Es ist beeindruckend nachzulesen, wie sich die ungebändigte, jugendliche Gewalt der ersten Gedichte mehr und mehr transformiert und zu einer gelenkten Energie wird.

 

 

 

Jeffrey McDaniel
Heimatland Neurose
Gedichte Englisch / Deutsch
Übersetzung:
Ron Winkler
Titelgrafik: Ivonne Dippmann, Stars (Tusche und Marker auf Papier, Unikat)
hochroth
2016 · 42 Seiten · 8,00 Euro
ISBN:
978-3-902871-65-7

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