Anzeige
Heimat verhandeln V&R böhlau
x
Heimat verhandeln V&R böhlau
Kritik

Starre Timeline

Hamburg

Die sozialen Netzwerke folgen zunehmend ihren eigenen Gesetzen. Nicht nur das: Sie prägen auch neue Kommunikationsformen aus. Die 140 Zeichen, die die Microblogging-Plattform Twitter einem User zur Verfügung stellt, lassen keine detaillierten Beschreibungen oder Selbstaussagen zu. Um pointiert etwas mitzuteilen, hilft nur die Flucht in andeutungsreiche Sentenzen.

Das Spezifische als Allgemeines zu formulieren, niemanden direkt zu adressieren und darauf zu vertrauen, dass allein durch den Rahmen der Absender zu identifizieren ist, sind drei der Grundregeln, die der minimalistische Rahmen zulässt.

»Menschen sehen nur selten so aus, wie man es erwartet, selbst wenn man Fotos von ihnen kennt«, ist ein Satz, der nach diesem Prinzip funktioniert. Erst recht im Englischen, wo es statt »man« »you« heißt – gleichzeitig also ein unpersönliches wie ein persönliches Pronomen verwendet wird.

Es ist der erste Tweet, mit dem Jennifer Egan ihren Roman Black Box anfangen lässt. Richtig, Tweet. Der Roman Black Box besteht aus einer Vielzahl von Kurzsentenzen von höchstens 140 Zeichen, gebündelt in 47 Geschichten. Zuerst wurde er über den Twitter-Account der Autorin und erst später in Print gebündelt im New Yorker veröffentlicht. Die deutsche Übersetzung wurde zuerst über den  Twitter-Account des SPIEGELs veröffentlicht und wurde anschließend vom Verlag Schöffling & Co. in Form eines gedruckten Buches herausgegeben. In der deutschen Übersetzung von Brigitte WalItzek geht die schöne Ambivalenz des »Yous« natürlich verloren, sie musste eine Wahl treffen.

»Die ersten dreißig Sekunden einer Begegnung sind die entscheidenden«, heißt es im zweiten Tweed. Danach wird das »Yous« des Originals in ein »du« uminterpretiert: »In diesen Sekunden kommt es darauf an, dir ein Bild von deinem Gegenüber zu machen und dich selbst nach außen hin darzustellen. « Drei zusammenhängende Sentenzen, schon beginnt ein abstrakter Kurzthriller.

Wer genau angesprochen wird, das offenbart sich nur nach und nach, Tweet für Tweet. Sie ist die uneheliche Tochter eines Filmstars, die ihren kenianischen Mann – ein sehr erfolgreicher Ingenieur auf dem Gebiet der nationalen Sicherheit – zurückgelassen hat, um für die Sicherheit ihres Heimatlandes, der USA, einen brisanten Auftrag zu erfüllen. Angetwittert wird sie von einer Organisation, die nie beim Namen genannt wird. CIA? Secret Service? Irgendetwas in der Art.

Die namenlose Protagonistin trägt eine Wanze im Ohr, ihr wurde eine Kamera ins Ohr implantiert und über einen Port zwischen ihren Zehen kann sie die auf dem Handy gespeicherten Daten ihres Zielsubjekts direkt in ihren Körper übertragen. Ihr Körper, das ist die Black Box, die dem Buch ihren Titel geliehen hat. Der Mensch wird zum Datenträger.

Eine Ausbildung für ihre Mission, in deren Verlauf sie erst einen mächtigen Mann umgarnt, um durch ihn an den nächstmächtigeren zu gelangen, hat sie nicht erhalten. Sie ist keine Agentin, sondern eine Zivilperson, die für das Wohl der Nation handelt. »Du bist eine von Hunderten, jede von euch eine potenzielle Heldin«, bestätigen das die gesichtslosen Auftraggeber.

Black Boxist kurz und die Story schnell erzählt – alles läuft reibungslos, bis die Protagonistin ertappt wird und angeschossen die Flucht ergreifen muss. Und obwohl Egan versucht, ihrer Figur durch viele Details Leben einzuhauchen, will das nicht so recht gelingen. Eine logische Konsequenz, wenn mit Sprache hantiert wird, die aus dem Spezifischen das Allgemeine abstrahieren muss. Aus dem Allgemeinen dann wieder das Spezifische abzuleiten, stellt die Leserschaft nämlich vor eine kaum zu bewältigende Aufgabe. Anders als bei Twitter ist die Geschichte der Protagonistin kaum mehr als ein weißer Fleck.

Durch Anspielungen auf verbreitete Thriller-Topoi gibt dieser kurze Roman seiner Leserschaft zwar viel Material zum Ausschmücken der reduzierten Storyline in die Hand, dümpelt aber aller Bemühungen zum Trotz nur auf der Oberfläche, geht es um die Psychologisierung seines Personals. Spannung kommt dabei nicht wirklich auf. Selbst das dramatisch-verklärte Ende wirkt schal und berechenbar.  

Die Pulitzerpreisträgerin Egan hat mit Black Box eigentlich nichts Neues geschaffen. In Japan sind schon seit der Jahrtausendwende die sogenannten Handyromane äußerst beliebt. Das Prinzip ist ähnlich: Kurze, unterkomplexe Stories werden häppchenweise verschickt und später gebündelt veröffentlicht. Anders als bei Egan jedoch kann die Leserschaft sogar mittels Kommentare den Handlungsverlauf beeinflussen.

Dagegen wirkt Egans ambitionierter Versuch altbacken: Er hält sich zwar an die Rahmenbedingungen der Social Media und spiegelt dessen sprachlichen Mechanismen wider, schöpft aber nicht deren volles Potenzial aus. Ein Thriller lässt sich so zumindest nicht über eine dermaßen starre Timeline erzählen. Egans Experiment ist nicht aufgegangen.

Jennifer Egan
Black Box
Übersetzung:
Brigitte Walitzek
Schöffling & Co
2013 · 96 Seiten · 9,95 Euro
ISBN:
978-3-89561-251-0

Fixpoetry 2013
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Letzte Feuilleton-Beiträge