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Kritik

… „gerade als glaubender Christ die Exkommunikation im Glauben ertragen”…

Hamburg

Der […] freie Geist Gottes ist nicht ein Geist der Willkür, der Scheinfreiheit, der enthusiatischen Schwärmerei, sondern der wahren Freiheit; ist nicht ein Geist des Chaos, sondern der Ordnung” (Hans Küng) …

Ein Riß geht durch alle Theologie: Ist sie Wissenschaft, muß sie methodisch Klarheit schaffen – dann kann sie pastoraltheologisch das leisten, was Sozialwissenschaften oder Psychologen leisten, nämlich unter anderem logotherapeutisch einen Gott nutzen, der ungeachtet seiner Existenz einem Leidenden hilft, in dessen Bedürfnisstruktur etwas ist, das Gott ausfüllen kann; dann kann sie historisch beschreiben, welche Tradition zu Monotheismen und dergleichen führte, samt Herleitung ihrer Rhetorik aus Vasallenverträgen; dann kann sie philologisch die Aussage eines Textkorpus beackern und dessen Relevanz aus der Ästhetik und dergleichen erklären; dann kann sie darlegen, welche Konzepte von Religion zu welchen Möglichkeiten des Denkens führen oder auch verführen; dann kann sie soziologisch skizzieren, daß warum Katholiken im deutschsprachigen statistisch weniger gebildet als evangelische Christen sind, …

Bloß fällt all diesen Methoden immer die Theologie irgendwie zum Opfer, die all das unter dem Dogma eint, es gebe etwas Numinoses. Das dann religionssoziologisch eben die Erklärung dafür wäre, daß die, die an es glauben, ungebildeter als Atheisten sind, keine gute Voraussetzung für die Theologie, nebenbei bemerkt. Theologie ist also irgendwie das, was all das in sich eint, wovon man aber im Rahmen der theologischen Indienstnahme je nicht mehr viel sagen kann.

Das ist das Problem von einerseits Joseph Ratzinger, dem Papst a.D., und andererseits Hans Küng. Ratzinger will eine vernünftige Theologie verwirklichen oder wenigstens behaupten, wie man schon frühen Texten entnehmen kann, die ihm sogar Rügen konservativerer (!) Theologen einbrachten. Das Resultat: Theologie, gelehrsam, von methodischer Raffinesse, etwas, worin dann aber dennoch der Heilige Geist quasi herumspukt, als Überzeugung, die konstituiert, worin sie nur Zweifel sein könnte, wenn Theologie mit dem logos ernstmacht.

Kann man sagen, daß sich das Papstamt logisch aus den Heiligen Schriften herleitet? Natürlich, wobei es auch für Gegenmeinungen Argumente gibt. Aber das spielt philologisch nur für den Text eine Rolle, es ist ein Text, der ein Konzept skizziert, das dann Jahwe, Gott, elohim und dergleichen heißt, doch literaturtheoretisch spricht nichts dafür, daraus abzuleiten, diese Fiktion in ihrer Schlüssigkeit könne – müsse – dürfe relevant sein, wenn das Buch ausgelesen ist. Ja, manche literarischen Konstellationen „leben, wenn sie vom Glück begünstigt sind, auch außerhalb ihrer ursprünglichen Texte weiter”, wie Umberto Eco einmal bemerkte, aber ob Jesus oder Gott darum schon nicht mehr philologisch und ganz anders zu handhaben sind? Und warum dann nicht auch: Pinocchio, Batman oder Faust?

„Der Mythos redet zwar in objektivierender Begrifflichkeit, aber ihm geht es dabei um die Erhellung des menschlichen Daseins”, schreibt Ratzinger, aber selbst wenn man die Formulierung von der objektivierenden Begrifflichkeit akzeptiert – gilt das nicht eben genauso für vieles aus der Literatur, wovon aber inzwischen nicht mehr alte Männer (mit Hüten) Dogmen herleiten? Woher diese Verstockung wider jedes Reframing – bis hin zur Behauptung, just dieser Text sei, weil er heilig ist, sowieso ungerahmt? Bezeichnend ist ein – absichtsvoller? – Zitierfehler Ratzingers, der hier am Rande erwähnt sei:

„Das Chr(istentum) ist zuletzt weder Kultur- und Zivilisationsgut, auch keine Ideologie, noch auch die Lösung der Probleme der Menschheit, in seinem »Wesen« auch nicht eigentlich »Religion«, sondern Krisis aller Religion in Christus”,

so schreibt Ernst Wolf in einem Lexikonartikel des mehrbändigen Lexikons Die Religion in Geschichte und Gegenwart – wonach also das Christentum wesentlich dekonstruktiv sei, und zwar auch sich selbst betreffend: Vorläufer mithin der Aufklärung, die umgekehrt das diversifizierte Streben des Christentums wäre, Fetische und Dogmen abzubauen. Das Buch gibt es hernach nicht mehr, allenfalls einen (Inter-)Text, worin als Impuls die Bibel auch präsent wäre. Ratzinger greift in Die christliche Brüderlichkeit den Artikel auf, doch zitiert er, es sei das Christentum „Krisis aller Religionen in Christus”… Das Katholische wird zum Unerschütterlichen, wo Religionen eben nicht die Religion sind, vielleicht schon im Plural etwas, das das Christentum jedenfalls nicht ist.

So bleiben Dogmen bestehen; oder blieben: wenn man Ratzinger folgte. Und es geht darum; nicht aber um die inverse Behauptung, die Philosophie ziehe „die Grenzen dessen, was sein kann, und dessen, was nicht sein kann, viel zu eng” – was ja eine gewagte These angesichts dessen ist, neben dem das Narrativ der lektorierten Wüstenreligion Ratzingers sich bei all seiner Schönheit doch sehr menschelnd ausnimmt, allzu anschaulich, gerade nicht so grenzenlos. „Intellektuell werden Elektriker […] über den Apostel Paulus gestellt”, so heißt es bei Ratzinger an anderer Stelle. Ist die insinuierte Umkehrung aber besser, der Elektriker an sich einem begabten Schriftsteller der Antike intellektuell nachzuordnen? Und übrigens: Wann rief zuletzt eine Elektriker-Innung einen Heiligen Krieg aus..?

„Wissenschaftliche Erkenntnis entsteht nur, wo der Mensch nicht fertig zu sein glaubt, sondern sich immer neu von der Größe der Wirklichkeit überraschen und weiterführen lässt.”

So sei auch Glaube „Offenheit” – eine, die aber natürlich gegen Gedankenspiele wie die Parallelwelten Giordano Brunos mit der Todesstrafe vorging, wie die Größe der Wirklichkeit von jener Paßform ist, die beispielsweise der Glaubenskongregation einleuchtet oder vielleicht auch nur dienlich ist. Man sieht Dogmen und Tautologien, etwa:

„Die Bibel hat deswegen eine so schlechthin einmalige normative Bedeutung, weil sie allein und als Einzige wirklich Buch der Kirche als Kirche ist.”

Denken ist für Ratzinger eben „Mitgehen und Mitbeten” – aber ist das ein Denken?

Hans Küng sieht das Problem, aber will es lösen, ohne den Rahmen zu verlassen. Theologie, die wissenschaftlich nachweist, daß sie keine Wissenschaft sei. Das führt zunächst zum Problem, daß Gott – eben noch ernsthaft behauptet – disponibel wird, damit aber womöglich um beim Eingangsexempel zu bleiben, pastoraltheologisch kaum mehr einen Gott logotherapeutisch nutzen, kann, der eben nur unbezweifelt in der Bedürfnisstruktur des Patienten/Sünders etwas ausfüllt. Der Priester muß an das Placebo nicht glauben (und zugleich um dessen Wirksamkeit wissen), für den Sünder wäre es aber womöglich ganz günstig, wie auch der Arzt beim Placebo weiß, was es ist, und daß es wirkt, obwohl es unwirksam ist. Dem Patienten wird er das nicht genau erläutern, und zwar ohne die alte Geschichte vom „Betrug […], welchen die ungläubigen Priester an der gläubigen Gemeinde vollführen.” (Th. W. Adorno) – Sogar, wenn jüngere Untersuchungen nahelegen, daß die Aufklärung dessen Patienten über das ihm verabreichte Placebo dieses seiner rituellen Wirksamkeit nicht vollends beraubt…

In der Theorie aber ist es wie angedeutet eine Wissenschaft um den Preis der Unwissenschaftlichkeit all ihrer Aussagen – also keine mehr. Nicht erst in der Exegese, von der Küng spricht, wenn er der „päpstlichen »Irrtumsfreiheit« (wie man statt »Unfehlbarkeit« genauer, besser sagen würde)” bescheiden will, sie sei ein Irrtum, sondern in dem Konstrukt, aus dem diese vielleicht sogar sich ableiten ließe, wenn denn der Bibel das zukäme, was an Unfehlbarkeit aus ihr gelesen wird – insbesondere von jenen, die die Unfehlbarkeit dieser ihrer Interpretation in eben jener Unfehlbarkeit begründen, die sie unfehlbar der Bibel entnehmen… – hierin ist der Widerspruch verortet. Das unfehlbare Buch möge die Fehlbarkeit derer indizieren, die das Buch in seiner Unfehlbarkeit zum Richtmaß einer Religion erklärten, nicht aber möge es zur Frage führen, was dieses Buch selbst auszeichne, daß es – sozusagen ohne jene absolute, unfehlbare Begründung außer seiner selbst – undogmatischer, reiner Philologie als etwas sich erschlösse, das von Gott sei: ohne, daß Gott dabei der prekäre Begriff für ein Schriftstellerkollektiv würde, das wie immer inspiriert doch nicht mehr würde, als zum Beispiel inspirierend. Das Buch also als undogmatisches Dogma. Oder als Immanenz seiner Autorität. Oder als Wissenschaft ohne Fragestellung oder Methode. Ein einziges nicht nur, wie George Steiner formuliert, die „Schrankenlosigkeit des Denkens” ausdrückendes „»sei«”, sondern göttlicher Imperativ, kaum mehr verwandt allem hypothetischen Menschenwerk. Nun, viel Glück…

Küng schreibt vom „im protestantischen Raum oft beklagte(n) »Lehrchaos«”, vom dagegen doch anzustrebenden Ganzen – und schreibt sich so in die Vormoderne ein, an der ihn einzelne Momente stören; scientific community? – zu unübersichtlich. Doch ein Unbehagen ist eine Diagnose, die mitunter mehr oder nur etwas über den aussagt, der es empfindet. Noch die Kritik gerät Küng eigenwillig zum Sündenregister: Zinsfrage, Kirchenstaat, Galilei – was wir die Kirche böse, während Gott und sein Buch sie besser unterwiesen hatten. Und dennoch will Küng den „Modernismus” rehabilitieren…

Am Ende stehen zwei Kontrahenten einander gegenüber, die einander ähneln. Ratzinger will die Theologie davor bewahren, daß ihre Dogmatik unvernünftig werde, wobei Vernunft indes die Chiffre dafür ist, daß die Bibel garantiert, was die Hermeneutik aus ihr liest – samt dem Vorrecht einer bestimmten Hermeneutik. Küng will die Kirche davor retten, was Konsequenz dieses Zirkels ist, aber in der Ersetzung „einer anachronistischen Theologie” die Frage vermeiden, ob die Zentralperspektive der Theologie (auch Weltethos verheißt nicht unbedingt ein Sensorium für Alterität, Diversifikation oder – Transzendenz…) selbst nicht der Anachronismus sei, der Glaube an das eine Buch des einen Gottes, woraus sich alles speist, was nicht längst sich von der Theologie emanzipierte und Wissenschaft damit jedenfalls eher wurde:

„Es ist Auffassung der klassischen Theologie und Kanonistik, dass selbst eine drohende Exkommunikation einen Christen nicht davon abhalten darf, der Weisung seines Gewissens zu folgen. Sähe sich ein Christ oder Theologe in einen solchen tragischen Konflikt gestellt, müsste er gerade als glaubender Christ die Exkommunikation im Glauben ertragen”,

so Küng. Das wurde fast sein Weg. Freilich zog er nicht den Schluß, daß die Dynamik der Vernunft auch zum gewissenhaften Verwerfen eben jener Zentripetalkraft, in der Bibel zu sehen, was die Kirche in ihr doch zu sehen geneigt ist: göttliche Offenbarung, führen kann – und die aus dieser Option resultierende Exkommunikation die Taufe der Wissenschaft (oder des freien Geistes) wäre, überspitzt gesagt. Stattdessen bleiben Sünde und Hölle die Koordinaten.

Welchen Eindruck hinterlassen die beiden Bücher? Sie bilden eine Kontroverse ab, aber dies vor allem je in sich. Einen Loslösungsprozeß, der so umgedeutet wird, daß das „dynamische Ereignis”, um das es geht, erhalten bleiben möge, und zwar als lesbares, als etwas, woraus Erlösung verheißen sein könnte. Der „Satz »Gott existiert« ist ein geschichtlicher Satz”, wie Küng schreibt, aber ungeschichtlich bliebe 1. daß, 2. in etwa was und 3. vielleicht sogar noch wie („nicht biblizistisch-fundamentalistisch”, außer: daß die Bibel durch die Bibel die Bibel ist) gelesen werden müsse – „ein grundlegendes Bleiben in der Wahrheit trotz aller […] Irrtümer”, deren aber keiner sein darf, daß das Bleiben angemessen wäre. Immerhin schreibt Küng zuletzt: „Die Fragen bleiben!” So allgemein würde man es akzeptieren…

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PS: Aber ich bin nur ein Laie.

Joseph Ratzinger
Glaube in Schrift und Tradition
Zur Theologischen Prinzipienlehre. Zweiter Teilband
Herder
2016 · 480 Seiten · 50,00 Euro
ISBN:
978-3-451-34982-9
Hans Küng · Stephan Schlensog (Hg.)
Unfehlbarkeit
Herder
2016 · 784 Seiten · 80,00 Euro
ISBN:
978-3-451-35205-8

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