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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Ungebrochener Wille, unzerbrechlicher Stift

Jürgen Kaumkötter zeigt Holocaust-Kunst von den 1930ern bis heute
Hamburg

Stolz, Würde und eine Spur Trotz liegen im Blick von Jadwiga Saduś, und in dem ihrer Enkelin Honorata Moroń. So viel Seele in diesen eher schlichten Bleistiftzeichnungen einzufangen, das erfordert Talent und Empathie. Nichts deutet aber daraufhin, unter welchen Umständen die Portraits der beiden Polinnen entstanden sind, die Jürgen Kaumkötter in seinen reich bebilderten Band „Der Tod hat nicht das letzte Wort. Kunst in der Katastrophe 1933 – 1945“ aufgenommen hat. Ein kurzer Begleittext liefert Aufschluss: Ein anonymer Auschwitz-Häftling hatte ihnen diese Zeichnungen aus Dankbarkeit für ihre Hilfeleistungen geschenkt.

Die wenigsten Kunstwerke in Kaumkötters Buch stammen von unbekannt. 15 Jahre lang hat der Kunsthistoriker und Historiker akribische Recherche betrieben und Künstlernamen, biografische Details, voluminöse Gemälde und unscheinbare Zeichnungen ans Tageslicht gebracht. Der schwammige Begriff Holocaust-Kunst meint nicht nur dokumentarische Bilder, sondern auch Exil-Kunst oder Zeitgenössisches. Wie fatal die Beschränkung auf die Täterperspektive für den kunsthistorischen Diskurs ist – vor allem darum geht es Kaumkötter in seinem Buch. Erschienen ist es Anfang dieses Jahres bei Galiani Berlin im Vorfeld der dazugehörigen Ausstellung im Deutschen Bundestag.

Die Künstler, denen in den Dreißigern von den Nazis ein Arbeitsverbot erteilt wurde, wie dem Rheinländer Otto Pankok; hochtalentierte Menschen wie der polnische Jude Jan Markiel, der sich erst im Lager das Malen und Zeichnen beibrachte; und schließlich diejenigen, die sich wie die Israelin Sigalit Landau aus größerer zeitlicher Distanz mit der Shoah beschäftigen: In seinem Band versammelt Jürgen Kaumkötter sie alle.  Dass die „Kunst der Katastrophe“ also weit mehr als nur den Zeitraum von 1933 – 1945 umfasst, wird schnell klar. Der Kunsthistoriker spannt den Bogen von der „entarteten Kunst“ der Vorkriegsjahre bis hin zu hochaktuellen künstlerischen Umsetzungen des Themas.  Trotzdem liegt der Schwerpunkt ganz klar auf den Arbeiten, die in den Konzentrationslagern entstanden sind.

Dort wird gemalt, um zu vergessen – und um nicht in Vergessenheit zu geraten. Die Situation der Kunst schaffenden Häftlinge im Lager war bisweilen fast schizophren. Glücklich, wem es gelang, seine heimlich angefertigten Kunstwerke über verstecke Depots, den Postweg oder zwischen Stapeln von Schmutzwäsche aus dem Lager zu schaffen. Subversiv konnten aber auch einige der Auftragsarbeiten für die SS sein, die gleichzeitig im Lagermuseum Auschwitz entstanden. Jene Kunsterzeugnisse waren oft die Möglichkeit, sich ein winziges Stück Leben zu erkaufen; gleichzeitig war manche private Zeichnung „eine künstlich geschaffene Gegenwelt zu der grausamen Lagerwirklichkeit.“  Nach 1945 rangen die Künstler lange um den passenden Ausdruck für die erlebten Gräuel. Erst eine Generation später fand man zu einer Formensprache, die Anleihen an schräge, oft christliche Metaphern hinter sich gelassen hatte.

Völlig zu Recht werden längere Kapitel Marian Ruzamski und seiner Auschwitz-Mappe gewidmet, sowie dem bildenden Künstler und Literaten Peter Kien, dessen recht unbeschwerte Gemälde in krassem Gegensatz stehen zu seiner düsteren Dichtung. Immer wieder trifft der Leser aber auf das Thema, das Jürgen Kaumkötter keine Ruhe lässt: Er sieht sich und die Forschung in der Verantwortung, anders mit der sogenannten „Kunst der Katastrophe“ umzugehen, als dies bisher der Fall war. Ohne ihnen den Wert als historisches Zeugnis  abzusprechen, müssen die Werke nicht länger allein als „Opferkunst“ behandelt werden, sondern als eigenständige Kunst. Im Klartext heißt das: eine sensiblere Herangehensweise, aber ohne den Samthandschuh. Das Problem der rückwärtsgewandten Prophetie diskutiert er vor allem am „Fall“ Felix Nussbaum – jener Künstler, der ihn darauf gebracht hatte, sich überhaupt mit Kunst aus Auschwitz zu befassen, und dessen Familienschicksal sogar mit der Vergangenheit von  Kaumkötters eigener Verwandtschaft verwoben ist. Nussbaums enigmatische Werke, darunter das weltberühmte „Selbstbildnis mit Judenpass“, können nicht nur, sie sollen sogar mehr als nur „Produkte der Verfolgung“ sein, fordert der Kunsthistoriker.

Besonders gut wurde das Buch nicht lektoriert, auch das muss gesagt werden. Neben einigen Tippfehlern stören die bisweilen ungereimte Kapitelanordnung und falsche Bildzuordnungen. Auch die Dramaturgie des Buchs leidet; so wird beispielsweise der Fließtext oft unvermittelt von Bildbeschreibungen unterbrochen. Was diese Mängel vielleicht nicht unbedingt wettmacht, dem Kunstband aber als wertvolle Publikation auszeichnet, das ist der persönliche Ton, die Leidenschaft für das Sujet. Der kunsthistorische Zugang hält Kaumkötter nicht davon ab, die Künstler auch von einer sehr privaten Seite zu zeigen, durch Abdruck ihrer Briefe oder Gedichtzeilen. Fast ebenso anrührend sind die Berichte über seine Begegnungen mit Künstlern wie Yehuda Bacon und der Zeitzeugin Greta Klingsberg, die er beide in Jerusalem traf.

Mit Menschen wie Bacon in Kontakt stehen zu können, ist ein großes Glück. Wenige jüdische Künstler haben die Lager überlebt, und wenige „Kunstwerke der Katastrophe“ haben ihren Weg aus den Archiven und Gedenkstätten in die Kunstmuseen geschafft. Max Beckmann und Peter Weiss haben in Kaumkötters Band natürlich ihren Platz; der Autor lässt seine Leser aber vor allem auch mit weniger großen Namen Bekanntschaft schließen. Wem würde der Name Dinah Gottliebova noch etwas sagen, hätten drei renommierte amerikanische Comiczeichner nicht zusammen eine Graphic Novel über ihre Lebensgeschichte herausgebracht? Gottliebova war die Frau, die für Kinder im Lager Disneyfiguren an die Wände malte, dann für Mengele Auftragsarbeiten anfertigen musste und statt pseudowissenschaftlicher Studien berückende, charismatische Porträts von Sinti und Roma schuf.

Dass Kaumkötter auch zur reflektierten Beschäftigung mit solch gewöhnungsbedürftiger Shoah-Kunst anregt, verwundert nicht weiter, widmet er doch dem Comickünstler Michel Kichka ein ganzes Kapitel. Der Israeli mit belgischen Wurzeln hat in seiner Graphic Novel „Zweite Generation“ wie kein Zweiter die Zerrissenheit der Kinder von Überlebenden auf den Punkt gebracht. Spiegelmans „Maus“ hat einen langen Schatten. Dass mit der neunten Kunst aber auch wieder die zur reinen Depotware degradierten Schöpfungen als eigenständige Kunstwerke gewürdigt und erforscht werden, bleibt zu hoffen. Kaumkötter zeigt mit seiner hervorragend recherchierten Arbeit, dass zu dem Thema noch lange nicht das letzte Wort gesprochen ist.

Jürgen Kaumkötter
Der Tod hat nicht das letzte Wort.
Kunst in der Katastrophe 1933-1945
großes Format, durchgehend vierfarbig, 250 Abbildungen
Galiani
384 Seiten · 39,99 Euro
ISBN:
978-3-86971-103-4

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