... auch nicht Nichtjude
Ich lese Katharina Hackers Buch "Skip" als einen magisch-realistischen Roman, der die israelisch-deutsch-französischen Beziehungen, Akulturierungsphänomene und Historien auf ähnliche Weise in den Blick zu nehmen versucht, wie Salman Rushdie dies in jedem seiner Bücher ausser "Grimus" mit den indisch-britisch-amerikanischen tut. Kann sein, ich liege mit dieser Leseweise völlig daneben und geheimnisse allzuviel in das "realistische" Setting hinein, über welches Hacker dann "das Unwirkliche" hereinbrechen lässt (oder: in welchem ein unzuverlässiger Erzähler mit passgenau-unauffälligen Wahnvorstellungen sein Leben lebt) ... kann sein, ist aber unwahrscheinlich: Der Roman spielt zwischen Israel und Deutschland, und der Protagonist ist ein unschuldig-schuldhaft "Überlebender", zu dieser Rolle auch noch "schicksalhaft" berufen (oder, nochmal: im Sinne einer solchen "Schicksalhaftigkeit" lebenslang halluzinierend). Das fügt sich zu passgenau, um nicht mit "Aussage" befrachtet zu sein; sagt uns aber noch nicht, worin diese "Aussage" bestehen soll.
Der Protagonist Jonathan "Skip" Landau - und in diesem Spitznamen ist eigentlich schon alles weitere angelegt - wird immer wieder im Lauf seines Lebens "von höheren Mächten" berufen, alles stehen und liegen zu lassen und Orte aufzusuchen, an denen bald ein gewaltsames Unglück geschehen wird; er wird dann, bis es sich schließlich ereignet, von Visionen geplagt, die ihm detailliert zeigen, wen es zu retten gäbe - doch stets mangelt es an Möglichkeiten oder Informationen, um auch tatsächlich zu helfen, zu retten. Parallel dazu, dass Skip also auf magische Weise berufen, aber zugleich praktisch ohnmächtig ist, ist er auch: Jude und Nichtjude (Sohn eines jüdischen Vaters, nicht aber einer jüdischen Mutter), Vater und Nichtvater ("seine" beiden Söhne hat seine erste Frau, um der Familiengründung willen, mit jemand anderem gezeugt, der dem zeugungsunfähigen Skip ähnlich sieht); Ehemann und Nicht-Ehemann (die erste Frau ist tot, die zweite hat er nicht geheiratet); Architekt und kein Architekt (zumindest nach seiner eigenen Definition: er baut Häuser nicht, er baut sie nur aus) ... Alles in Allem höchst bedeutungsschwanger, diese Prämisse, keine Frage. Aber: Worin besteht sie nun, die Bedeutung?
Wenn es der Autorin darum gegangen wäre, eine Figur zu zeigen, deren Leben sich ganz und gar im Medium Ambivalenz abspielt - "the medium" wäre in diesem Fall "the message" - hätte es das magische Element und die sorgfältige Parallelisierung der Subplots nicht gebraucht. Statt dessen nötig wäre aber in diesem Fall gewesen, Skips inneren Monolog tatsächlich mal ambivalent, dunkel und monologisch sein zu lassen, statt der einfacheren Verdaulichkeit halber wohlgefügte Absätze "realistischer" Erzählprosa in der ersten Person hinzustellen.
Wenn die Figur Skip dagegen so etwas sein soll wie die Verkörperung "des Judentums" (ob bloß-metaphorisch oder innerhalb der Story "übernatürlich" begründet), dann müssten alle die Anspielungen, die Symbole, die mittelbaren und unmittelbaren Zitate, die in großer Dichte durch den Roman geistern, sozusagen fester in der Handlung verzurrt und/oder deutlicher "beschildert" sein, um ihre Wirkung zu entfalten.
Die dritte halbwegs plausible Lesart des Romans wäre, in "Skip" eine romangewordene Meditation über die Ermordung von Jitzchak Rabin und ihre Folgen bis heute zu sehen - Rabins Tod bildet eine Hauptachse, um die herum die Plots und Parabeln des Buches angeordnet sind. Diese Lesart erscheint jedoch nicht nur ein wenig frivol (was so schlimm nicht sein muss - es gibt inzwischen sogar schon unterhaltsame Romane über 9/11), sondern würde auch den Titelhelden zu einer Nebenfigur in seinem eigenen Buch degradieren.
So, wie es also steht, scheint der Roman "Skip" seinem Protagonisten zu ähneln: Er ist nicht so recht dies, nicht so recht das. Dennoch zahlt es sich aus, ihn zu lesen, ihm beim Mäandern (des Texts, der Protagonistenbiographie, des Einflusses höherer Mächte) zuzusehen. Leidlich spannend, gut recherchiert und identifikationstauglich erzählt ist das alles ja...
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