Die Literatur zulassen
Dass Schriftsteller hin und wieder auch mal über das Schreiben schreiben, ist an sich nichts Ungewöhnliches. In Essays, Reden und Aufsätzen äußern vor allem Lyriker nicht selten ihre Vorstellungen von dem, was gute Literatur ausmacht. Dass neben den daraus resultierenden Sammelbänden größere Arbeiten zu poetologischen und literaturtheoretischen Fragestellungen entstehen, ist hingegen selten. Der Dichter ist schließlich für die Literatur, nicht aber für die Literaturwissenschaft zuständig. Doch vor allem die Germanistik scheint sich hierzulande in einer Art Kreislabyrinth manövriert zu haben. Statt sich den Werken der Autoren zu widmen, bleibt man hier allzu oft in den Diskurstiefen der Theoriebildung stecken, betreibt mehr Philosophie als Literaturwissenschaft, die dann allenfalls mit Texten aus dem Kanon etablierter Größen unterfüttert wird. Auch als Student muss man sich zu Recht die Frage gefallen lassen: Was macht ihr da eigentlich?
Symptomatisch scheint es da, dass sich der vor allem als Lyriker bekannte Kurt Drawert in der Pflicht sieht, ein Buch zu schreiben, das über eine private Poetik und selbst über eine Theorie des Schreibens hinausreicht. Das soll nicht heißen, dass Drawert hier den Rang eines Literaturprofessors beansprucht. Er könnte es aber, denn mit Schreiben. Vom Leben der Texte gelingt ihm die Zusammenführung von Poetik und Kulturwissenschaft, deren Ergebnis so etwas wie eine Einführung in die angewandte Literaturtheorie geworden ist. So will der Band dem Leser durchaus einen Grundkurs in Sachen Philologie vermitteln, den zu verstehen es an manchen Stellen aber eines Grundkurses in Philologie bedarf. Denn Drawert setzt in seiner Beschäftigung mit dem Schreiben eine gewisse Bildung voraus. Das sollte den Leser allerdings nicht abschrecken, denn früher oder später wird bei jedem der Groschen fallen, dass vor allem die Psychoanalyse Jacques Lacans als Grundlage für Drawerts Überlegungen dienen.
Der daraus resultierende Hang zur Mystifikation der Sprache gibt dem Buch seinen spezifischen Charakter, seine grundlegende Ausrichtung. Leser und Schreiber müssen verstehen, dass es ein endgültiges Verständnis literarischer Texte nicht geben kann. „Nicht, es zu erwerben, ist das Problem, sondern es zuzulassen.“ Spätestens jetzt ist klar, dass das vom Verlag C.H. Beck als Handbuch angekündigte Werk keinesfalls eine Anleitung zum kreativen Schreiben sein kann. Gleichwohl finden sich darin neben den Bedingungen und Bildungen von Literatur auch Überlegungen zu deren Techniken. Hier scheut sich Drawert keineswegs vor Lehrsätzen, die aber niemals den Anstrich des Oberlehrers erhalten. „Die ‚richtige‘ Perspektive des Erzählens zu finden, ist Intuition. Wie müssen imaginieren, was wir erzählen, mit dem inneren Auge sehen, wer wo steht und erlebt – dann kann fast nichts mehr falsch sein. Wer nicht sieht, was er schreibt, nicht erlebt, was erlebt wird, nicht hört, was geredet wurde, der kann beim besten Willen einfach nicht schreiben, jedenfalls nicht gut, und da nützen dann auch keine Fachkurse etwas. Erzählen heißt immer reden in Bildern – und wäre es anders, könnte es jeder.“
Schreiben. Vom Leben der Texte dient also weniger als Handbuch; seine Lehrsätze sind Lehrsätze des Ungefähren. Sie verdeutlichen, dass das Schreiben und das Lesen immer nur Annäherungen sein können. Ob man sich bei seiner Annäherung auf dem richtigen Weg befindet, kann man als unsicherer Autor bei Drawert abgleichen. Damit stellt sich die Frage nach der Zielgruppe des Textes, denn Schriftsteller mit der Schreiberfahrung und dem Bildungsweg des Autors werden in diesem Buch kaum etwas finden, das ihnen nicht vertraut ist. Um Literaturwissenschaft zu sein, ist es zu unkritisch, und der Gartenlaubendichter erfährt hier nicht, wie er einen verdammt guten Roman schreibt. Vielmehr stellt sich nach dem Lesen die Frage, ob das literarische Schreiben literaturwissenschaftliche Grundkenntnisse zwingend voraussetzt; und wenn dem so ist, ob die Literaturwissenschaft zumindest einen Teil des literarischen Handwerks ausmacht. Sollte das der Fall sein, müsste jeder Literaturwissenschaftler – natürlich nur theoretisch – ein Schriftsteller sein. Damit scheint der Adressat von Drawerts Essay gefunden: es ist derjenige, der sich mit den Bedingungen, Bildungen und Techniken des literarischen Schreibens ernsthaft auseinandersetzen will.
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