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Kritik

Haselhühner im Fichtendickicht

Späte Gedichte des finnlandschwedischen Lyrikers Lars Hulden
Hamburg

Mit Erscheinen von "Der trauernde Uhu im Norden" im Februar 2015 ist die Anzahl von Übersetzungen aus dem Werk des finnlandschwedischen Dichters Lars Hulden bei Stadtlichter Presse auf fünf gestiegen. Das Buch ist, was nichts Ehrenrühriges oder den Texten Abträgliches darstellt, ein Anachronismus.

"Der trauende Uhu im Norden" ist ein Band mit späten Gedichten eines 1926 Geborenen. Als solcher beinhaltet das Buch manches, das zwischen den Zeiten, Sprachen, Schreibweisen und Landschaften als Exotismus wirken muss. Wann hatten wir das etwa in ernstzunehmender deutschsprachiger Lyrik zuletzt - Aphorismen über die Bedeutung der Dichter für das Vaterland? Bruchloser Übernahme gerade des Archaischen der eigenen Traditionen? Gedichte, deren Gegenstand dörfliches Leben wäre, wie es sich über die Jahrzehnte nicht und nicht verändert - hier die menschliche Enklave, da drüben der alte, weite Wald? Gedichte, die sich Gegenständen der Moral oder Ethik nähren, als wäre christlicher Gottglauben noch immer unproblematisch, Teil der Inneneinrichtung der Welt neben Föhren und Trambahnen?

Als Sammlung von Gedichten, auf die alle die Erwartungen und Normen anzuwenden sind, die wir jüngeren und deutschsprachigen Literaturabhängigen gewohnt sind, funktioniert "Der trauernde Uhu im Norden" jedenfalls überhaupt nicht. Als innerer Monolog eines klugen, sprachgewandten alten Mannes mit einem guten Ohr für Zwischentöne, dessen Lebensumstände uns profund fremd erscheinen müssen, und die wir uns über die von ihm aufgespannten stilistischen und inhaltlichen Referenzrahmen erst erschließen müssen, funktioniert er dagegen durchaus.

Für mich persönlich waren jene Texte des Buches die interessantesten, in denen es um Namen und Geschichte von bestimmten Orten, oder sagen wir landmarks, geht. Einige von ihnen sind Prosaminiaturen, einige in Versform gesetzt. Wie mir der Wikipedia-Artikel über die Finnlandschweden - der Volksgruppe und Sprachminderheit, der Hulden angehört – erklärt, ist die linguistische Erforschung von Ortsnamen ein bedeutender Schauplatz des gesellschaftspolitischen Diskurses in Finnland, wenn es um das Verhältnis der Volksgruppen zueinander und zu sich selbst geht. Vor diesem Hintergrund (ohne, dass diese Dimension in den Texten selber zu finden wäre - es handelt sich um eine reine Kontextfrage) lässt sich erahnen, dass Gedichte wie das folgende eben nur scheinbar naiv sind – was nicht bedeutet, dass wir von den erwähnten "exotischen" Schauwerten absehen müssten:

So lange ich mich erinnere, hat es eine Grube im Boden am Weg gegenüber von Radd ledet gegeben, ihr wißt schon. Ich dachte immer, daß jemand dort irgendwann zu irgendeinem Zweck Sand geholt hat, obwohl ich weiß, daß der Sand dort rot und ziemlich unrein ist. Aber dann las ich einen alten Brief, den ich auf dem Boden fand, darin war von einer Wolfsgrube bei Raddon die Rede. Das erklärt alles. Meine Vorfahren hatten Wölfe gefangen. Die Grube war viel tiefer gewesen, war aber allmählich eingefallen. Auf dem Grund hatten spitze Stäbe aus hartem Holz gestanden. Über der Grube lag ein Deckel, der bei Berührung zur Seite fiel. Unter dem Deckel wartete ein unwiderstehlicher Köder, vielleicht ein verendetes Ferkel oder eine versengte Katze. Der Wolf wittert den Geruch, kommt, scharrt den Schnee beiseite, die Grube öffnet sich, der Wolf fällt, wird aufgespießt und stirbt. Alte Briefe können großen Nutzen und Freude bereiten.

Schwieriger als bei solchen Texten fällt mir der Umgang mit der wahrgenommenen Archaik bzw. eben Naivität dort, wo das, was in der Übersetzung von Ingrid Schellbach-Koprad aus dem Originaltext wird, archaischen oder "Volkskultur-" Tendenzen meiner eigenen Heimat, meines eigenen Umfelds zu ähneln beginnt (ich hebe den Umstand der Übersetzung hier hervor, da man fairerweise auch annehmen kann, es gebe in jenen Texten Huldens unübersetzbare Sprachspiele, die über solches Volkstümliche hinausweisen), sprich z.B.: Wenn das Thema "Weihnachten" lautet. Da liegt dann Archaik vor, die nicht mehr vorsätzlich als exotisch mißverstanden werden kann:

"Der Weihnachtsmann kann unmöglich / alle Wohnungen auf der Welt besuchen, / nicht einmal zu all denen, die an ihn glauben, / kann er kommen. / Das ist eine bedauerliche Geschichte mit Weihnachten. /// (...) /// Traurig ist es, / wenn Kinder, die an den Weihnachtsmann glauben, / nicht bekommen, was sie sich gewünscht haben, / obwohl sie ihm einen Brief geschrieben haben. /// Am aller-, aller-, aller- / traurigsten ist es, / wenn arme Kinder / gar keine Geschenke kriegen. / Aber das kommt vor. /// Vielleicht sollten wir versuchen / dem Weihnachtsmann zu helfen?"

Derlei ist von der Intention her natürlich löblich, und ein Buch, das Texte dieser Art neben solchen enthält, in denen das lyrische Ich Zwiesprache mit Lärchen hält, die es im Jahre 1940 gepflanzt hat, sowie neben zwei bis drei längeren Gedichten, die an modernere Folkballaden erinnern, wird seine Leserschaft finden, aber: Man muß kein besonders verbohrter Lyriksnob sein, um sich bei so etwas zu langweilen.

Gibt es noch etwas zu sagen über "Der trauernde Uhu im Norden"? – Ja: Ich mochte das Gedicht mit den Scheinwerfern im Ullevi-Stadion. Und: Es gibt diesen einen Text, der ganz anders funktioniert als die anderen (sprich, der dann eben doch nach Maßgabe dessen funktioniert, was man hierzulande, heutzutage über Lyrik zu wissen vermutet): "Die Lord Greystoke Universität". Er ragt wie ein Fremdkörper in die restliche Textauswahl, und er ist dafür verantwortlich, dass ich mir die anderen vier Hulden-Bücher bei Stadtlichter Presse vielleicht doch noch mal näher ansehen werde.

Lars Huldén
Der trauernde Uhu im Norden
Zweisprachig, aus dem Schwedischen von Ingrid Schellbach-Kopra.
Stadtlichter Presse
2015 · 183 Seiten · 16,00 Euro
ISBN:
978-3-936271-76-8

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