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Der Melusine Huss Preis ging in diesem Jahr an den AvivA Verlag für die Publikation des Buches „Mädchenhimmel!“ von Lily Grün. Dieses Buch war übrigens das einzige Buch, das Lyrik enthielt und die Vorjury trotzdem passierte. Dabei ist Grüns Lyrik darin nicht einmal versteckt, sondern macht einen großen Teil des Buches aus.
Es handelt sich um sehr direkte Gedichte, um ein unmittelbares Ansprechen. Gedichte im Stil der Neuen Sachlichkeit. Bemerkenswert erscheint mir das vor allem, da ich kaum einen deutschen Dichter oder deutsche Dichterin kenne, die offensiv an eine solche Tradition anknüpft, eine Tradition, die hier, und vor allem im Berlin der Zwanzigerjahre lebte und deren Protagonisten von den Nazis vertrieben oder ermordet wurden. Autorinnen und Autoren, die eng mit dem Kabarett und den Kleinkunstbühnen verbunden waren. Nach der Niederlage des deutschen Nationalsozialismus schienen sich Kunst und Kleinkunst in Deutschland nicht wieder zusammenzufinden. Wobei mir schon das Wort Kleinkunst schwer aus der Tastatur geht. Und sicher gibt es auch heute eine Kabarettszene, aber eben isoliert, ohne Kontakt gewissermaßen zur Außerkabarettkultur. Wenn dieser Kontakt einmal zustande kommt, dann doch immer im Rückgriff auf Mehring, Holländer oder andere in den dreißiger Jahren Vertriebene.
Vielleicht eröffneten mir selbst die Begegnungen mit Ernst Busch in den Schulferien vor einem schnarrenden kratzenden Kofferplattenspieler in Magdeburg überhaupt erst einen Weg in die Dichtung, aber auch in die zeitgenössische Musik. Denn von Eisler las und hörte ich später alles, was ich bekommen konnte. Dann kamen eben auch bald Schönberg und die anderen Komponisten der Neuen Wiener Schule dazu, mit ihren Links bis hin zu Nono, Cage und zeitgenössischer neuer Musik.
Im Zuge der Tätigkeit für die Hotlistjury landete auch dieser Band mit Texten der Autorin Lily Grün auf meinem Schreibtisch. Und hier spricht eine selbstbewusste Frau in ähnlicher Stimmlage wie Mehring und Tucholsky.
Die in Wien geborene und in verschiedenen Kinderheimen aufgewachsene Grün fand in den Zwanzigerjahren als Texterin und Schauspielerin Anschluss an die linke und kommunistische Berliner Brettllszene. Sie trat unter anderem im „Brücke Programm“ auf, und zum „Brücke Kollektiv“ gehörten auch Ernst Busch und Hanns Eisler.
In einem der Gedichte heißt es:
Zum Schluß meinst du, ich soll dir Antwort schreiben,
Natürlich nur in dein Geschäft,
Denn deine junge Frau, sie könnte drunter leiden,
Und wenn sie meinen Brief erwischt,
Dann ging`s Dir schlecht.Geliebter Freund, ich hab` dir nichts zu sagen;
Denn du bist fremd und fern und alles ist vorbei.
Ich hab` dich sehr geliebt…Es ist vorüber,
Ich sprech` nicht gern davon…Kurz:
Schwamm darüber!
Interessant ist allemal, wie direkt und unverblümt Grüns Texte sind. Der Inhalt macht sich der Form Untertan, das muss ihr heutzutage das Kopfschütteln der literarischen Feinsinnigen einbringen und hat es sicher in den Zwanzigern des letzten Jahrhunderts auch schon getan. Doch hat Grüns mit Ironie unterlegte Direktheit auch etwas Befreiendes in doppelter Hinsicht. Befreiend einerseits in der Möglichkeit das Unbehagen an der Gesellschaft unmittelbar auszudrücken (viel scheint sich seit den Zwanzigern nicht verändert zu haben). Und auch darin, dass sich Hochkultur und Brettl aus ihrem jeweiligen Käfig befreien können.
Auch ihre Kurzprosa, die im Band versammelt ist, bedient sich jener Direktheit.
Nach der Wahl Hitlers zum Reichskanzler ging Lily Grün nach Wien zurück. Am 27. Mai 1942 wurde sie aus Wien deportiert und sofort nach ihrer Ankunft im weißrussischen Vernichtungslager Maly Trostinec am 1. Juni 1942 ermordet.
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