Von Pferden, Füchsen und flüsternden Eschen
Nichts schmeckt so gut wie ein frisch gezapftes Bier. Ein harmloser Satz eigentlich, den man schnell überliest, aber auf den zweiten Blick sagt er viel aus über die innere Logik dieses Romans, als Edda, die Hauptfigur von Blitzbirke, ihn ausspricht.
Es ist eine seltsame Zwischenrolle, die diese Figur einnimmt, nicht ganz erwachsen und nicht mehr ganz Kind, mit einem naiven Blick auf die Welt, der auch die ernsten Seiten wahrnimmt. Das Dorf, in das sie zum Hochzeitstag ihrer Eltern zurückkehrt, ist nicht mehr dasselbe. Die Mutter hat gerade eine schwere Erkrankung überwunden, der Vater liegt nach einem Reitunfall im Krankenhaus. Edda hat ihren neuen Freund mitgebracht, einen ungestümen Künstler, der gleichzeitig aber auch als bäriger Beschützer auftritt, und den nichts aus der Ruhe zu bringen scheint. Eine Schwester und eine Großmutter treten noch hinzu – sie stellen das Ensemble, eine Aufstellung für eine Familienfeier der anderen Art.
Mit ihrer einfachen Sprache, die die Aufmerksamkeit auf die Oberfläche der Dinge lenkt, macht Kreißler so wie im eingangs gebrachten Beispiel auch im gesamten Verlauf von Blitzbirke das widersprüchliche Empfinden zwischen Kind- und Erwachsenenwelt deutlich. Der Leser wird auf geradezu schmerzhafte Weise der Tatsache gewahr, dass die Harmonie am Abendbrottisch nur scheinbar, das dörfliche Glück längst nicht mehr das ist, was es einmal war.
Lisa Kreißler, die übrigens im Jahr 2011 Finalistin des 19. Open Mike in Berlin war und bereits an ihrem zweiten Roman schreibt, hat Nordische Philologie studiert und längere Zeit in Stockholm gelebt. Einflüsse aus der skandinavischen Sagenwelt haben sich deutlich auf ihr Schreiben niedergeschlagen: Das gilt nicht nur für Namen von Edda und ihrer Schwester Skadi, auch die Natur, die das Dorf mit dem sprechenden Namen Odinsgrund umgibt, ist von mythischer Belebtheit. So kann ein Baum auf einmal sprechen, und Hans, der Geliebte von Edda, bekommt es mit Spinnenkindern zu tun. Motivisch ist diese Entscheidung gerechtfertig, reichert sie die märchenhafte Kindheitswelt doch mit einer Art kargem, nordischen Charme an. Für das Genre der Familiengeschichte, immerhin ein Lieblingsthema der jüngeren deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, ist es sogar eine kleine Rettung in der Gestalt einer Flucht vor der Tristheit in die Originalität. So wird Blitzbirke an vielen Stellen zu einer unterhaltsamen Lektüre, die ein klassisches Thema unter Zuhilfenahme von unerhört verspielten, im Wortsinn fantastischen Mitteln aufwertet und dabei einer Hauptgefahr entkommt: Es wird nie langweilig in Odinsgrund, mit Edda, Hans, ihrem Hund Füchschen und der Abenteuer, die sie auf dieser Reise in die Vergangenheit erleben.
Allerdings – und das muss noch einmal festgehalten werden – läuft Blitzbirke in seiner Mischung aus Kindheitsperspektive, Erwachsenenblick und Märchenebene doch auch leider immer wieder Gefahr, aus dem Gleichgewicht zu kommen. Mal beobachtet Edda aus der Perspektive eines Kindes das Dorfleben, dann hat sie leidenschaftlichen Sex mit Hans; das passt nicht immer ganz reibungslos zusammen. Ebenfalls ein mehr die Konzeption des Romans aus der Ruhe bringendes als bereicherndes Element muss auch die Idee genannt werden, kurze Episoden in Dialogform inklusive Regieanweisungen zu erzählen. Dass Edda Regisseurin an einem Theater in Berlin ist, hätte Kreißler durch diesen Kunstgriff nicht extra evident machen müssen, sondern vielleicht eher textimmanent verarbeitet.
Abgesehen von diesen Unausgewogenheiten ist Blitzbirke aber ein durchaus lesenswertes und bestechend originelles Buch einer neuen literarischen Stimme. Noch dazu – soviel muss an dieser Stelle über die äußere Gestaltung gesagt werden – hat es der mairisch Verlag aus Hamburg verstanden, Kreißlers Geschichte mit einer geradezu unwiderstehlichen Einbandgestaltung zu versehen. In Zeiten des digitalen Lesens ist Blitzbirke damit auch ein klares Statement für das gedruckte Buch, womit vielleicht auch die Großzügigkeit zu erklären ist, dass der Käufer der gedruckten Ausgabe nach Belieben über den eingedruckten Download-Code auf eine digitale Variante für den E-Book-Reader zugreifen kann. Das Digitale ist Option, das Buch allerdings in diesem Fall ein Muss.
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