Kein blutiges Drama, keine Zerfleischungen.
"Sie wohnten nun seit zwei Jahren in New York, und fast alle Paare, die sie kannten, waren inzwischen geschieden. Es war wie ein Marathonlauf, dachte Caroline, bei dem alle, bis auf die zähesten Teilnehmer, keuchend und kaputt ausschieden." Über zwanzig Jahre leben sie jetzt zusammen, Ivan und Caroline. Kennengelernt haben sie sich auf einer Party in Rom, auf einer überfüllten Dachterrasse, als Cory und Joan heirateten. Sie war eine Freundin der Braut, er ein Freund des Bräutigams. Er starrte sie an, aber es war ihr nicht unangenehm: "Ein elegantes Starren." Dann zwinkerte sie ihm zu, "so leicht, nicht mehr als ein Zucken des Augenlids, dass er es gar nicht bemerken würde." Aber er bemerkte es doch. Und kam quer durch den Raum zu ihr. Und sagte: "Hallo, Sie haben gezwinkert."
Und dann schleppte er sie am nächsten Tag in eine dunkle Ecke. Einen Seitenweg hinein, Schatten, Büsche. Eine Minute später standen sie vor einem kleinen, dunklen Käfig, in den Stein gehauen. Und darin eine Wölfin, um die Römer daran zu erinnern, dass eine Wölfin Romulus und Remus gesäugt und damit die Gründung Roms erst ermöglicht hatte. Das Tier hob den Kopf und stieß einen unheimlichen Laut aus, der an den Felsen widerhallte: "Ivan strahlte voller Stolz, als hätte er das Ganze aus dem Hut gezaubert."
Verzaubernd und verzaubert beginnt Ivans und Carolines Freundschaft, Liebschaft, Ehe. Sie werden alles anders machen. Das schwören sie sich, in Rom, vor der Taverna Romanaccia, vor der ein weißes Pferd seine Runden dreht und ein Akkordeonspieler eine ganz besondere Melodie spielt: "Wir werden nicht so werden wie alle anderen." Aber auch sie werden ein Ehepaar wie fast alle anderen, führen eine Ehe mit all den normalen Höhen und Tiefen. Streitereien, Trennungswünschen, Kinderwünschen, Eifersucht und Affären, aber auch Sehnsüchten und Versöhnungen. Dem Auseinander- und wieder Zueinanderleben, das eine normale Beziehung eben ausmacht.
1980 Jahren erschien dieser Roman (im Original "Rough Strife": grober Streit) von Lynne Schwartz, der ab den sechziger Jahren spielt 1993 erschien er auch auf Deutsch, ihr Debütroman, jetzt wurde er neu übersetzt. Als der Vietnamkrieg tobt, sind die beiden bereits im fortgeschrittenen Alter. Haben endlich die Kinder, Greta und Isabel, die sie wollten, was lange nicht geklappt hatte. Haben ihre Karrieren, vor allem sie als Mathematikerin an der Universität, er am Metropolitan Museum, wo er nach vielen Jahren seine passende Nische findet. Machen auch die ersten feministischen Aufwallungen mit, die ersten Ansätze von Frauenbefreiung. Sie liest die "ständig zunehmende Literatur des sexuellen Aufbegehrens" und schreit Ivan an: „Wieso stehe ich in der Küche und scheuere an einem völlig verdreckten Topf herum, während du Zeitung liest? Kannst du mir das mal verraten?“ Und er schreit zurück: "Ich mache deinen Scheißabwasch, aber ich lasse mich von dir nicht als Unterdrücker hinstellen."
Es gibt kein blutiges Drama, keine Zerfleischungen, keine großen Läuterungen, keine großen Wendungen in dieser Ehe. Es gibt nur ein Auf und Ab, und am Schluss sagt Caroline, aus deren Perspektive der Roman erzählt wird: "Vielleicht würde es nie einen dauerhaften Frieden geben, doch die Verletzungen schienen geringeren Ausmaßes zu sein, und auf alle Fälle waren sie quitt." Quitt sein, das heißt die Verletzungen gegenseitig aufzurechnen, seine Affäre mit einer eigenen zu kontern, die sie sogar einen Moment lang aus der Bahn wirft - dann kehrt sie zu ihm zurück.
In einer sehr langen Rückblende wird der gesamte Roman erzählt, eingeleitet durch eine eigentlich unnötige Erzählung, in der Ivan nach dem Sex mit seiner Frau joggen geht und stundenlang nicht zurückkommt und Caroline beginnt, sich Sorgen zu machen bis hin zur fixen Idee, dass er irgendwo tot liegt, abgestochen, blutend. Die einzige Funktion dieses langen Vorspanns ist, zu zeigen, wie Caroline funktioniert: stets überreflektiert und in ihren Gedanken und Erinnerungen kreisend. Ihren Interpretationen. Lange Passagen von Nachdenken wechseln glücklicherweise mit Passagen von reiner Erzählung ab, in der die Personen vital werden, sich unterhalten, etwas tun. In denen sie häufig schön charakterisiert sind, so wie Ivan, der zärtlich er mit seiner ersten Tochter redet, ihr vorliest, ihr über den Kopf streicht. Auch die intellektuellen Pärchen in New York, ihre Partys, ihre Ehen - das wird auf einem hohen Niveau und sehr lebendig erzählt.
So bleibt die Frage am Schluss: Reicht es, wenn man in einer Beziehung "quitt" ist? Ist das Liebe? Was ist Liebe? Genau davon erzählt auch "Für immer ist ganz schön lange": von den Bemühungen, von der Anziehung und Abstoßung, von dem, was heute "Beziehungsarbeit" heißt. Von zwei seltsamen, normalen, eigenständigen, selbstbewussten Menschen, die sich bemühen und dabei immer wieder an ihre Grenzen stoßen. Aber ihr Bemühen wollen sie auch nicht aufgeben: Sich trennen, das geht einfach nicht. Nicht für Caroline, nicht für Ivan.
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