Deutschland als Plattform im H0 Format
H0, das ist eine sogenannte Nenngröße für Modelleisenbahnen. So eine H0 Eisenbahn, die passt gut in ein Wohnzimmer und ist im Maßstab 1:87. Der Reiz einer Eisenbahn liegt im Wechselspiel von Fiktion und Realitätsgehalt, Verfremdung und Authentizität. Sie macht die Welt bezähmbar und überschaubar zugleich, damit also das perfekte Spießeridyll und ein Betätigungsfeld für alle, die einen Keller haben, sich dort verkriechen wollen und dabei ein Bierchen trinken. H0 ist irgendwie sehr deutsch.
Gut, da hab ich jetzt aus dem Katalog der Klischees einiges gefischt und in den Beginn dieser Rezension gepackt, aber jede Kritik soll den Leser ja auch ein bisschen was von der Stimmung des rezensierten Textes mit auf den Weg geben.
Bei H-Null, dem Deutschlandmärchen, gibt es viele Klischees. Es ist eine Novelle, also mussten die Klischees ebenso wie die Eisenbahn, um die es in H-Null geht, auf einen kleineren Maßstab reduziert werden - oder zumindest scheint Marcus Hammerschmitt das für notwendig zu erachten. Die Klischees wiederum sind so 1:87 wie die Figuren, allen voran Tanja Kressbach, die Hauptfigur, leidige Ein-Personen-Agentur mit so spannenden Werbekunden wie Metzgerei-Zubehörkatalogen und einem gezähmten Gewissen, das noch von der Zeit als linksradikale Aktivistin zehrt.
Diese Tanja, sie kann’s selbst kaum glauben, wird von einem gewissen Herrn Ahrendt dazu aufgefordert die PR-Frontfrau eines waghalsigen Unternehmens zu werden. Ganz Deutschland soll auf einer Plattform im Format H0 wieder gebaut werden. Die Rhetorik, mit der dieses Projekt beworben wird, ist so flach, wie die Plattform, auf der es am Ende stehen soll - und so wackelig, wie die Pfeiler, auf der diese Plattform steht.
H-Null ist kein an der Realität interessierter Text. Es gibt Bundeskanzler, BND-Agenten, Privat-Detektive, linksradikale Ex-Freunde und eine beste Freundin. Es gibt eine Lebensgeschichte von Tanja mit Ex-Freunden, einer Freundin, die noch zu Schulzeiten selbst ein Entschlüsselungsprogramm für den Freundeskreis programmierte und natürlich einen Lover. Der Lover ist so ein Wilder mit tätowiertem Arm, der ist allerdings das einzige, was an diesem Mann bleibt, denn sein Charakter ist ambivalent, seine Position ändert sich so oft, dass er doch nur enttäuschen kann.
Diese Geschichte, mit all ihren Elementen und all ihrer Ironie, dieses Mär von einem Deutschland, das sich tatsächlich auf eine Plattform mit Deutschland-Replik H0-Größe freut, versucht sich an einer Kritik. Will man in so einem Land leben? Wäre das, was Tanja da verkaufen soll, möglich? In der Novelle gibt es Zweifel, die spät aufkommen.
Hammerschmitt, der vor allem durch Science-Fiction-Romane literarisch auftrat, erlaubt sich in seinem Märchen eine Fingerübung mit der satirischen Seite von Wissenschaftsfiktion. Er zeichnet eine satirisch verzerrte Parallelmöglichkeit von Deutschland, dem nichts lieber ist, als neo-liberal verbrämter Faschismus. Dann wird dieses H0-Deutschland nämlich über allem, über allem in der Welt stehen (wortwörtlich, denn es soll auf Stützen stehen, mitten im Münsterland - ausgerechnet.) Das wiederum bringt Arbeitsplätze und kurbelt den Tourismus an und bringt den Bausektor zum Boomen und wird ein Weltwunder der Weltwunder, Superlative reichen hier nicht mehr aus.
Die Kritik, die hier, nun ja, weniger leise, denn in Übergröße mitschwingt, wird leider nicht von den Figuren getragen. Der Text bleibt eine Fingerübung da, wo Nebenfiguren im Sande verlaufen, Handlungsstränge gar nicht auserzählt werden oder manche Episoden schlicht keinen Sinn machen. Die Ebene, die den Roman tragen sollte, die die Möglichkeit erzeugt, doch in diesem Deutschland zu leben, die fehlt leider und es bleibt bei einer Erzählung, die rasant und schnell nach vorne prescht, aber ob ihrer handwerklichen Mankos hin und wieder entgleist. Die Mankos fallen auf, weil an anderen Stellen durchaus Details wichtig werden: die erwähnte Freundin von Tanja, die einen Crypto-Code entwarf, um Freundeskreisinterna zu verschlüsseln, taucht indirekt durch eine Botschafterin wieder auf, die am Ende des Romans ein Rätsel löst, vor das der Text uns in der Hochphase stellt. Die rasanten Wechsel in der Handlung machen dann Sinn, werden dann spannend, sind dann literarisch amüsant, wenn Details aus Tanjas Leben mit der chaotischen Phase, in der sie als PR-Größenwahnsinn-Beraterin und Presssprecherin des kapitalistischen Teufels steckt, verschränkt werden und ihnen so Bedeutung gegeben wird.
Verzeiht man H-Null diese Schnitzer, dann bleibt eine Novelle übrig, die lustig ist, weil sie nach links tendiert, aber auch bei den Aktivisten und ehemaligen Terroristen noch nicht Halt machen und auch sie durch den 1:87-Kakao zieht. Weniger Verkleinerung, mehr Tiefe hätte den Figuren vielleicht gut getan, aber dennoch folgt man Tanja bei ihrem Abenteuer gerne. Der Kapitalismus ist, so die Lehre dieses Märchens, mit seiner Innovationskraft ans Ende gekommen und bringt nichts Besseres als eine übergroße Verkleinerung hervor. Die Kinder des Kapitalismus werden von einer Revolution gefressen, die sie niemals anstoßen wollten und am Ende erschießen sie sich notgedrungen selbst. Nur Tanja bleibt zurück, wieder im selbstgewählten Prekariat, aber leider ohne den Kater Satoshi, der im Laufe des Romans irgendwann weglief. Schade. Er war die authentischste Figur von allen.
Fixpoetry 2014
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Neuen Kommentar schreiben