Ein zukünftiger Großer unter den Malern Deutschlands.
Um den großen Maler James Ensor beim Maskenball zu beeindrucken, der für seine Gemälde mit Masken berühmt war, musste man sich schon was einfallen lassen. Felix Nussbaum ist es gelungen. Er hat sich einen quadratischen Zeichenkarton vor das Gesicht gehängt, darauf zu sehen ist ein Paar auf einer Straße: "Alles auf der Zeichnung vermittelt den Anschein von Ferien. Mann und Frau gehen Arm in Arm, und dennoch ist er mit seinen Gedanken nicht bei ihr, sondern bei einer Zuschauerin am offenen Fenster, ein gutes Stück über ihnen. Sein Hals folgt seinen treulosen Gedanken, der Zeichner hat ihn bis knapp vor die begehrte Schöne dort oben verlängert - man könnte es eine Halserektion nennen." Ensor, der in der Preisjury für die Masken beim Ostender Faschingsball saß, notierte sich seine Nummer, und tatsächlich bekam er einen "kleinen Preis" dafür.
Ein halbes Jahr später stellte Ensor seinem jungen Künstlerkollegen ein hervorragendes Zeugnis aus: "Ich, der Unterzeichner Baron James Ensor, Ordentliches Mitglied der Königlichen Akademie von Belgien, erkläre hiermit, die Gemälde und Zeichnungen, die mir von Herrn Félix NUSSBAUM zur Beurteilung vorgelegt wurden, sehr gewissenhaft geprüft zu haben. Meiner Meinung nach besitzen die Werke Félix Nussbaums große künstlerische Qualitäten, die ihm einen ehrenvollen Platz unter den belgischen und ausländischen Künstlern sichern."
Da war Nussbaum schon ein Star in Deutschland gewesen, ein zukünftiger Großer unter den Malern, Stipendiat in der Villa Massimo. Aber zwei Jahre vor dem großen Lob Ensors musste Nussbaum fliehen - die Nazis hatten die Macht übernommen, als Jude und kritischer Maler mit oft skurrilen Werken war er gleich doppelt gefährdet, noch dazu weil er bekannt war wie Beckmann oder Nolde.
Heute wird er wiederentdeckt, vor allem als "Maler des Holocaust". Sein berühmtestes Bild ist immer noch das "Selbstbildnis mit Judenpass". Viel mehr noch aber ist zu entdecken, Nussbaum war ein höchst produktiver Maler, viele seiner Werke hängen inzwischen in der wunderbaren Architektur des Felix Nussbaum-Hauses (von Daniel Libeskind) in seiner Heimatstadt Osnabrück. Wer nicht dorthin fahren kann (es lohnt sich), kann in der neuen Biographie des belgischen Journalisten Mark Schaevers stöbern. Viele Jahre hat er das Leben dieses einstigen Stars recherchiert, der nach dem Krieg zunächst völlig vergessen war und von Osnabrücker Forschern wieder ans Tageslicht gebracht wurde.
Nussbaum wuchs in wohlhabenden Verhältnissen auf, sein Vater war der gebildete Kaufmann Philipp Nussbaum (1872–1944), seine Mutter hieß Rahel, geb. van Dijk (1873–1944). Sein Vater unterhielt freundschaftliche Beziehungen zu Künstlern und war selbst Hobbymaler. Felix studierte ab 1922 Kunst in Hamburg, dann in Berlin, wo er ab 1928 Meisterschüler bei Hans Meid war. In Berlin lernte er auch seine Lebensgefährtin und spätere Ehefrau, die in Warschau geborene Malerin Faijga Platek, zärtlich Felka genannt, kennen. Schon bald hatte er Erfolg mit seinen Bildern in Berlin: Von 1927 bis 1933 lassen sich zwanzig Ausstellungen nachweisen.
Überregional berühmt machte ihn 1931 sein Bild "Der tolle Pariser Platz", mit dem er die alte Malergarde und besonders den Präsidenten der Preußischen Akademie der Künste, Max Liebermann, ironisch zeichnete: "Er macht aus dem Pariser Platz - dem Empfangssalon der Stadt (...) - das Schlachtfeld, auf dem eine Gruppe junger Künstler die 'betagte' Akademie belagert". Und die Victoria-Figur, die eigentlich auf der Siegessäule vor dem Reichstag stand, hängt wie ein Lorbeerkranz um Liebermanns Schultern. Ihm werden die Worte zugesprochen: "Der (Nussbaum) wird mal beinah so jut wie ick selber."
Obwohl Nussbaum 1933 flüchten musste, bleibt er produktiv. Er lebte mit Felka in Italien, Frankreich und Belgien, wo sie auch heirateten, der Papiere wegen - ein verheiratetes Paar bekam eher welche als Junggesellen. Am 10. Mai 1940, zwei Tage nach dem Einmarsch deutscher Truppen, wurde er verhaftet, kam in ein Lager in Südfrankreich und konnte noch einmal fliehen. Mit Felka zusammen tauchte er bei einem befreundeten Kunsthändler in Belgien unter, sie wurden denunziert und mit einem der letzten Züge nach Auschwitz verschleppt. Sie wurde sofort ermordet, er starb später, die genauen Umstände und das Datum sind nicht bekannt.
Schaevers beschreibt das Leben und die Kunst Nussbaums nicht chronologisch, sondern etwas unsystematisch. Vor allem beschreibt er auch ausführlich, wie seine Recherche vonstatten ging, mit wem er sich unterhielt und korrespondierte. So ist sein Buch ein bunter, mitunter etwas eitler Flickenteppich, in dem er von der Entstehung der Bilder erzählt, die er meist sehr ausführlich beschreibt und analysiert (und vor allem: von denen er sehr viele abbildet!). Sehr viele Details konnte er erforschen, unbekannte Dokumente (wie das Zeugnis von Ensor) aus den Archiven ans Tageslicht befördern. Manche Informationen nimmt er auch aus anderen Lebenszeugnissen, die den täglichen Kampf ums Überleben im von den Nazis besetzten Belgien schildern. Seltsamerweise zitiert er auch recht ausführlich aus den Schriften von Arno Breker, der mit Nussbaum Stipendiat in der Villa Massimo gewesen war - ein arg unpassender Gewährsmann. Zudem schreibt Schaevers manchmal etwas arg naiv über die Lebensgefahr, der Nussbaum wie alle anderen Juden ausgesetzt war: „In den Jahren seit Kriegsbeginn war Nussbaum explizit der Todesgefahr ausgesetzt und hatte genug Zeit gehabt, über die Endlichkeit des menschlichen Lebens zu reflektieren: Wie geht man mit der Absurdität des unausweichlichen Todes um?“ Kaum zu glauben, dass Nussbaum "über die Endlichkeit des menschlichen Lebens" reflektiert haben könnte: Todesangst wird er gehabt haben, um sich und seine Familie. Trotz dieser und einiger anderer kleiner Mängel ist Schaevers' Buch als Einstieg in dieses interessante Leben, in diesen immer noch zu entdeckenden Künstler dennoch gut geeignet.
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