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Kritik

Verstoßene Töchter

Marlene Streeruwitz‘ neuer Roman „Nachkommen“ vereint Literaturbetriebs-Satire und Generationenporträt
Hamburg

Literatur über Literatur – das wolle doch keiner lesen, behauptet die Verlagsbranche. Oder steckt da vielmehr die Angst dahinter, die eigenen Mechanismen allzu brutal vorgeführt zu bekommen? So wie es Marlene Streeruwitz in ihrem neuen Roman „Nachkommen“ tut. Scharfsinnig, schonungslos und beinahe en passant.

Zunächst einmal geht es um die zwanzigjährige Nelia Fehn, deren Großvater gerade verstorben ist. Ein zwiespältiges Verhältnis verband sie mit „dem Opi“: Nachdem ihre Mutter, eine unbequeme Schriftstellerin, früh gestorben war, gab er der 15-Jährigen ein neues Zuhause. Doch war ihm die abtrünnige Tochter stets ein Dorn im Auge. Ebenso Nelia, deren uneheliches Kind.

Gleich nachdem sie ihrem Großvater einen Abschiedskuss auf die kalte Stirn gedrückt hat, steigt Nelia ins Flugzeug nach Frankfurt, um rechtzeitig zur Verleihung des deutschen Buchpreises zu erscheinen. Sie ist die jüngste Autorin, die je auf die Shortlist gelangte. Mit dem Preisgeld möchte sie die Trümmerbrüche der Fußgelenke ihres griechischen Freundes reparieren lassen, der in Athen festsitzt und ihr ab und an per iPhone Fotos ihrer gemeinsam erstandenen Pelargonie sendet.

„So wollte sie leben. In transit“, denkt Nelia, irgendwo zwischen Schalterhallen, Laufbändern und endlosen Gängen. Aber ist das wirklich eine Entscheidung? Seit fünf Jahren hat sie keinen festen Wohnsitz. Ihr Zuhause war die Wortwelt der Mutter, die sie nun, mit dem eigenen Schreiben, neu zu bewohnen versucht.

 „Sie hatte ihr Tagebuch ein bisschen ausgebessert, und der Zufall hatte ihr geholfen, und das war ein Buch geworden“ – so naiv-bescheiden beschreibt sie selbst ihr Romandebüt. Doch was sie selbst denkt, spielt schon bald keine Rolle mehr. In Frankfurt, mitten im größten Literaturzirkus der Welt angekommen, gleiten ihr die Fäden aus der Hand.

Von einer 3sat-Journalistin muss sich Nelia als „Deutschenhasserin“ beschimpfen lassen, von einem angetrunkenen Verlagskonkurrenten als „Jungzicke“. Stets lauern Dynamiken im Hintergrund, die Nelia nicht durchschaut, entspinnen sich in ihrem Rücken mögliche Intrigen. „Alle hatten schon eine Vorstellung von allem, und das wurde dann die Wahrheit.“

Auch ihr Verleger bildet da kein Ausnahme: Er sieht in Nelia „sein bestes Pferd im Stall“. Aus geflüsterten Bemerkungen erfährt sie von seinem Ruf als Schürzenjäger; die Frauen in seiner Umgebung schiebt er gern an den Hüften herum. Kein unsympathischer Mann, eben nur ein ganz gewöhnlicher Sexist.

Ähnlich ihr leiblicher Vater, mit dem sich Nelia – zum ersten Mal in ihrem Leben – abseits des Messerummels trifft. Der Literaturguru hält sich diverse Geliebte, ein Kind habe er eigentlich nicht gewollt. Neugierig auf den neuen Shootingstar am Literaturhimmel, sein „süßes Wiener Mädl“,  ist er trotzdem.

An den brillanten Vorgänger „Die Schmerzmacherin“ reicht „Nachkommen“ nicht ganz heran. Feministischer Impetus, Scharfblick für die Zwischentöne menschlicher Interaktionen und eine direkt ins Hirn hämmernde Syntax zeichnen jedoch auch dieses Streeruwitz-Werk aus und machen es zu einem der lesenswertesten Romane dieses Jahres.

Mit Sezierblick erkundet Streeruwitz die Nebenschauplätze des Messe-Klamauks, das Davor und Danach der offiziellen Zeremonien. Über weite Strecken des Romans beobachten wir Nelia dabei, wie sie ihr Rollköfferchen durch das zugige Frankfurt zieht, verloren in der Wirklichkeit verwinkelter Gassen, sobald sich das Display ihres iPhones verdunkelt. Ohne Mantel, auf der Suche nach vegetarischem Essen und oftmals mit dem einzigen Wunsch, „warm und weich und trocken und gefüttert“ zu sein. Das absurde und zugleich herzzerreißende Bild der gefeierten Shortlist-Autorin, die in ihrem schäbigen Hotel am Fenster sitzt und aus dem Biomüllcontainer gefischte Bananen verspeist, wird lange nachwirken.

Selten hat „Literatur über Literatur“ besser funktioniert. Demnächst gibt es übrigens auch die Literatur in der Literatur nachzulesen – das Debüt der fiktiven Nelia Fehn wird ganz real im Herbst bei Fischer erscheinen.

Marlene Streeruwitz
Nachkommen
S.Fischer
2014 · 19,99 Euro
ISBN:
978-3-10-074445-6

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