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Kritik

Der Krieg als Ta-ta-Spiel

Martin Kordić sieht den Bosnienkrieg mit Kinderaugen
Hamburg

Was aber noch viel schlimmer ist, ist dass du nie eine andere Zeit erlebt hast. Du weißt nicht, wie das Leben hier einst war. Wie es sein kann. Ein fruchtbares Land voller Berge, Schluchten, Seen und Feigenbäume. Wie im Paradies.

Es gab einmal einen Vielvölkerstaat namens Jugoslawien. Im Norden erstreckten sich entlang von Donau und Save Paprikaplantagen, Mais-, Zuckerrüben- und Sonnenblumenfelder. In der Mitte schmiegten sich alte Klosteranlagen zwischen Felsenklüften, die Südwestflanke wurde vom warmen Mittelmeer umspült. Ein kulturell und wirtschaftlich prosperierender Garten, der katholische und orthodoxe Christen, Muslime, Juden und zahllose autochthone Minderheiten beherbergte. Dann brach Anfang der 90er Jahre mit der Unabhängigkeitserklärung Sloweniens der Bürgerkrieg aus und dieses multiethnische Paradies und dem Westen und seinen Werten zugewandte Land am Rande des Eisernen Vorhangs zerfiel in seine Einzelteile. Mit einem Schlag spielten die Frage nach der Religionszugehörigkeit und die Endungen der Nachnamen eine gewichtige Rolle, spalteten nicht selten ganze Familien.

Jetzt, gut zwanzig Jahre später, melden sich die Kinder der Jugoslawienkriegsgeneration literarisch zu Wort. Saša Stanišić, Marica Bodrožić, oder Teá Obreht, um nur einige zu nennen und nun auch der 1983 in Celle geborene Martin Kordić. Wie zuvor Günter Grass in der Blechtrommel, oder Imre Kertész im Roman eines Schicksalslosen hat er sich entschieden die Kriegsgräuel, die in Form von erzählten Geschichten zu ihm gekommen sind, aus der Kinderperspektive zu schildern: staunend, unvoreingenommen und nichtverstehend. Betroffen, aber zugleich auch ein Stück weit außen vor.

Viktor, der Romanheld, ist schon von Geburt an prädestiniert für die Rolle des Beobachters und Erzählers. Schief und steif kommt er auf die Welt und muss sein Leben lang ein Korsett tragen und auch in seinem Kopf scheint etwas nicht ganz in Ordnung zu sein. Körperlich versehrt und aufgrund seiner Absonderlichkeit ausgeschlossen, ist er der verkörperte Blick des Anderen. In beeindruckender Konsequenz schildert er in seiner Kindersprache, die grammatisch nur das Präsens und keine andere Zeit kennt, die Vertreibung und Eliminierung der Menschen aus dem einstigen Garten Eden. Naiv und ohne zu werten reiht er die Geschehnisse aneinander, erzählt seine Geschichte in kurzen schnörkellosen Sätzen. Den Reiz dieser Erzählweise bietet die Doppelbödigkeit, die diese naiven und unschuldigen Beobachtungen in sich bergen. Die Verniedlichungen von Gewalt, Krieg, Sex, die umso mehr das bedrohliche und nicht in Worte fassbare reale Geschehen der Leserphantasie überlassen. Der Nachhall, der durch die Auslassungen entsteht.

Ein paar Krieger trinken Kaffee und rauchen Zigaretten. Das Mädchen hinter dem Tresen ist bestimmt nicht viel älter als ich. Sie ist schon eine richtige Frau. Ein goldenes Jesuskreuz liegt auf ihrem Busen. Der Busen ist sehr groß und auf ihrem T-Shirt ist Arielle die Meerjungfrau.

Was Viktor dem Leser erzählt, was er in sein kleines Heft mit einem Stift notiert, ist ein dunkles Märchen. Ein parabelhafte Dystopie à la Orwells Farm der Tiere. Der Junge lebt mit seiner großen Familie, die er nicht aufmalen kann, ohne immer mindestens einen zu vergessen, in der Stadt der Brücken. Unschwer als die bosnische Stadt Mostar zu erkennen. Dann bricht der Krieg aus und plötzlich spielt es eine Rolle, ob man Mudschi, Kreutzer, oder Bergmensch ist, (Viktors sprachliche Maskierung für Muslime, kroatische Christen und Serben). Es spielt von nun an ebenfalls eine Rolle, auf welcher Seite des Flusses man lebt. Man muss wissen, bei welchem Bäcker man Brot sagen kann, bei welchem man stattdessen Laibe bestellen muss, wenn man kein vergiftetes Backwerk erhalten will. Viktors Vater verbietet der Mutter sich weiterhin mit der Nachbarin, einer Mudschi-Frau zu treffen und wenn Viktor sie auf dem Balkon stehen sieht, formt er mit der Hand eine Pistole und ruft Ta-ta. Er versteht nicht, warum er dafür von seiner Mutter Hausarrest bekommt. Spiel und Ernst liegen hier derart schmerzlich nah beieinander, dass dadurch erst die ganze Absurdität dieses Bruderkrieges verständlich wird. So wird am Ende des Buches auch Viktors kindliche Unschuld fragwürdig. Wo hört das Ta-ta-Spiel auf, wo beginnt das Morden? Und wie soll man das in einer derart aus den Fugen geratenen Welt, in der das Morden ein Spiel geworden ist, auch noch unterscheiden können?

In den Wirren dieses todernsten Ta-ta-Spiels verliert Viktor seine Familie und wird von Schwestern aus der Gebetsgemeinschaft der Söhne Marias aufgenommen. Zu schwach für die Arbeit, erhält er die Aufgabe den Alltag der Waisenkinder zu protokollieren. In dieser den Kriegswirren so diametral entgegensetzten heilen Ora-et-labora-Welt bemühen sich die Schwestern die Kinder auf die Mutter Maria einzuschwören. Maria, o Maria ist der Refrain, der den gesamten Roman durchzieht. Denn in Zeiten des Krieges suchen die Menschen umso dringlicher ihr Heil in der Königin des Friedens und Viktor sammelt auf dem Erscheinungsberg in seinem Beutel die Münzen ein, die diese Angst den Pilgern aus der Tasche springen lässt.

Die böse Ironie dabei ist, dass es gerade die unterschiedlichen Konfessionen, eben der Glaube ist, der in den Balkankriegen als Spaltkeil zum Tragen kommt. So nimmt es auch nicht Wunder, dass sich ausgerechnet in dieser Gemeinschaft zwei rätselhafte Tode ereignen.

Religiöse Allusionen sind ein Mittel, mit dem der Roman arbeitet. Der Ausbruch des Krieges, wird mit der Vertreibung Adam und Evas aus dem Paradies gleichgesetzt. Unter dem Feigenbaum lauert die Schlange. Sie tötet zwei Ziegen in den Ställen der Gebetsgemeinschaft und auch Viktors Freund den dicken Dim verführt sie zum Selbstmord. Mostar selbst wird in einer fantastischen Szene zum Berg Golgatha. Als Viktor sich mit einem Hochzeitspaar, aus dem paradiesischen Umland der Stadt nähert, sieht er einen Berg.

Auf dem Gipfel steht ein großes Kreuz. Das ist das Kreuz von Jesus Christus. Wir fahren auf den Berg zu.

Gemeinsam mit einem ebenfalls körperlich versehrten Einbeinigen, einer rothaarigen Prostituierten und einem Hund mit eiterndem Auge bildet Viktor eine Gemeinschaft der bereits Gekreuzigten. Der Geopferten, an denen sich das Kriegstrauma in somatischer Form zeigt. Durch das präsentische Erzählen verstärkt, wird das Geschehen zu einem traumatischen Dauerzustand in einem Niemals- und Niemandsland. So kann das Ende dieser Geschichte auch nur mit der Auflösung ihres Erzählers einhergehen. Das Kapitel Wie ich mir das Glück vorstelle bleibt eine zuckerwattige Utopie in Form einer Tierfabel. Auf sie folgt, da nicht einlösbar, der Tod des Erzählers.

Martin Kordic
Wie ich mir das Glück vorstelle
Hanser
2014 · 176 Seiten · 16,90 Euro
ISBN:
978-3-446-24529-7

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