Eine weitere Variation zu den Variationen in Prosa
Es wird etwas sichtbar werden,
und der, der es zu verhüllen glaubt,
wird von ihm umhüllt werden.
Leonardo da Vinci
Wann hat man ein Gedicht wirklich gelesen? Wenn man nicht mehr weiß, wie oft man es gelesen hat? Wenn man es auswendig kann? Oder, wenn man es nach einiger Zeit wiederliest und dabei neu entdeckt, zwischen Distanz aus Zeit und Erinnerung?
Variationen in Prosa von Michael Donhauser ist ein Gedichtband, den man gerne wieder zur Hand nimmt, um ihn für sich erneut neu zu entdecken. Auch scheint es durchaus gerechtfertigt über Variationen in Prosa weiterzuschreiben, nachdem man schon einmal darüber geschrieben hatte – den Variationen also mit Variationen zu antworten.
[...] da zogen wie Vögel die Schatten [...]
Michael Donhauser schrieb fünf Jahre an den Variationen in Prosa, schrieb und variierte sie immer wieder um und weiter. Infolge dessen wirkt der Band sehr rund und in sich geschlossen. Es kommt zu keinerlei Brüchen und durch das immer wieder Aufgreifen einzelner Worte und Bilder gibt es auch zwischen den einzelnen Gedichten eine große Nähe.
Der Titel Variationen in Prosa verbindet einen vorwiegend musikalischen Begriff – die Variation – mit einer literarischen Gattung – Prosa. „in Prosa“ hat zudem einen französischen Anklang, da man leicht „en prose“ mithören kann. Es finden sich also schon im Titel drei ganz wichtige Hinweise zu den Gedichten. Die Musikalität der Gedichte lässt sich im Lautlesen besonders eindrücklich erleben. Festmachen lässt sie sich wohl am ehesten am Rhythmus, der Sprachmelodie und dem Wortklang – im folgenden Ausschnitt wäre das die auffallende Häufung der w-Laute:
[…] wo wankend sich wand, was ahnte oder suchte wie Wicken das Licht, […]
Die Musikalität der Gedichte fordert richtiggehend, dass man sie laut liest, denn gerade im Hören entfalten sie ihren Klang, Rhythmus und Fluss. Auch ziehen sie einen immer weiter, da die Worte immer weiterführen, nur von Beistrichen unterteilt, bis man fast atemlos beim einzigen und abschließenden Punkt angelangt.
„Prosa“ im Titel täuscht vielleicht etwas, denn Prosa ist nicht gleich Prosa. Im Deutschen denkt man wahrscheinlich bei Prosa zunächst eher an freie Erzählungen, doch wird damit vielmehr ein Bezug zu der langen Tradition des französischen Prosagedichts angedeutet. Die Prosagedichte von Michael Donhauser sind immens lyrisch und keinesfalls ungebunden. Dies fällt allein schon beim ersten Blick auf die Gedichte ins Auge, da die Gedichte im Blocksatz sehr einheitlich wirken und alle gleich lang sind. Im ersten Teil, „Variationen in Prosa“, sind die Gedichte jeweils elf Zeilen lang, im zweiten Teil, „Variationen im März“, umfassen sie zwölf Zeilen. Dadurch, dass die Gedichte alle die gleiche Länge haben, ist die untere leere Hälfte der Seite auch wirklich weiß, da keine Buchstaben der nächsten Seite durchscheinen.
Bevor er zu schreiben begonnen hatte, wollte Michael Donhauser Maler werden und bis heute zeichnet er. Die Faszination an der Malerei zeigt sich auch an einem Gedichtband wie Die Elster. Nach Claude Monets „La Pie“, in dem Michael Donhauser Gedichte ausgehend vom und rund um das Bild schreibt. Der Blick des Malers offenbart sich auch in den Gedichten in Variationen in Prosa, ganz besonders in der genauen Beobachtung von Farben. Tage sind
[...] golden blauend nah dem See, wo Pappeln silbern sich bald reihten mit den Birken, deren Blätter gelb schon fielen, [...]
oder es taucht in einem Gedicht ein schwebendes Blau auf
[...] während umspielt von einem Wehen herbstlicher schien und schwebend das Blau.
Sehr genau beobachtet Michael Donhauser auch das Licht:
[...] da schattig mischte sich ins milde Licht ein kühler Hauch von innigem Verzagen.
Visuelle Sinneseindrücke überwiegen in den Gedichten, doch wird auch Klang..
Da wie für sich, doch hell die Amsel sang, als gälte uns ihr Ruf, […]
..und gelegentlich auch Duft beschrieben, wie hier, wo es um herabgefallene Blütenblätter geht:
[…] die flüchtig streifte oder hob auch sanft, was wehte wie verhangen und wogend dann als Hauch von einem abendlich verirrten Duft.
Häufig lässt sich eine besondere Vorliebe für das Dazwischen an den Gedichten beobachten, beispielsweise ausgedrückt im Zwielicht, im Zögern oder Wanken. Die Möglichkeit einer Unentschlossenheit, eines Dazwischen, setzt Gegensätze oder unterschiedliche Richtungen voraus. Und davon gibt es sehr viele in den Gedichten, beispielsweise Weite – die Geschlossenheit eines Zimmers, aufblühen – verblühen, Asphalt – Himmel, herabsinken – aufwärtswirbeln, etc. Sehr oft findet sich in den Gedichten auch eine Zusammenführung von Gegensätzen, im folgenden Zitat wäre das die gleichzeitige Fremdheit und Vertrautheit:
Da heiter sich nun reihten und milder wieder die Tage, war fremd wie vertraut uns in einem ein Wegstück im Schatten, […]
Gelegentlich werden Gegensätze auch scheinbar aufgehoben, wenn beispielsweise Bewegung in verschiedene Richtungen beschrieben wird
[…] was wich oder nahte wie auch blieb, […]
Doch bewegt sich Natur selbstverständlich nie nur in eine Richtung. Alleine wenn man einen einzelnen Moment, während dem ein Windhauch durch einen Garten streicht, beschreiben möchte, werden dabei eine Vielzahl von auf den ersten Blick widersprüchliche Bewegungsrichtungen zusammen kommen. Michael Donhauser ist ein äußerst genauer Beobachter und seine Prosagedichte fangen Momente ein und vor allem auch die Stimmung eines Augenblicks – mit wenigen Strichen, doch so präzise, dass man fast meint ein Bild vor sich zu sehen, den Windhauch zu spüren, die Blätter rauschen zu hören oder den Duft des Weißdorns zu riechen.
Die Gedichte von Michael Donhauser sind voller Bewegung, doch keine Bewegung von einem Ort zum anderen, sondern ein Wanken, Wiegen und Weichen, ein Hinabfallen und Aufwärtsstreben
[…] oder wogend auch blühte als Weißdorn, der wankte, der suchte zu weichen und hob seine Zweige hellauf entgegen dem Wind, wenn er fuhr in die Hecken, […]
Die Gedichte flüstern und rauschen leise zwischen Zeitlosigkeit und Vergänglichkeit. Der Eindruck von Zeitlosigkeit kommt dadurch auf, dass einzelne Augenblicke sehr genau festgehalten werden – es also gewissermaßen kurzzeitig zu einem Stillstand voll Bewegung kommt, zu einem Moment des Innehaltens. Zeitlosigkeit entsteht aber auch durch Vorausahnungen und häufiges Rückerinnern:
[…] zu atmen die Vergeblichkeit mit jedem Wehen wie erinnert auch die Zeit, da Früchte fielen reif ins Gras, das grünte nun und wankte zart.
Die Beschreibung der Jahreszeiten hat zugleich etwas Zeitloses, da sie immer wieder kehren, andererseits stehen gerade der Herbst und der nahende Winter für Vergänglichkeit. Ebenso wie den Herbst könnte man auch das häufige Einfangen von Abendstimmungen als Metapher für Vergänglichkeit lesen.
[…] während sinkend der Abend sich legte und silbern sich als Mond verfing, […]
Der Zauber der Vergänglichkeit ist auch in „Variationen im März“, dem zweiten und wesentlich kürzeren Teil des Gedichtbandes, spürbar und taucht gleich ganz zu Beginn auf:
Etwas verwahrlost schien der Dorfplatz, da nach dem Fest die Konfettis bedeckten das Pflaster, wenn auch der Zauber der Vergänglichkeit blieb, der uns erfasste, dass wir hörten wieder die Rufe einer Amsel, eines Abends, da schöner sich wölbte der Himmel, […]
Auch dieser Teil ist voller Bewegung ohne konkretes Ziel, allerdings rücken in diesem Teil das Gehen selbst und die Wege durch die Landschaft stärker ins Blickfeld. Schon im ersten Teil kamen Straßen und Wege vor, im zweiten nehmen sie aber wesentlich mehr Raum ein. Fast in allen Gedichten in „Variationen im März“ tauchen Wege und Straßen auf. Dabei geht es mehr um das Unterwegssein, als um das Aufbrechen oder Ankommen.
[…] so umgeben von Tagen wie von Wegen zu sein, die kaum führten, da sie sich schmiegten den Hügeln entlang.
Bei den Wegen handelt es sich aber nicht alleine um tatsächlich gegangene Wege, sondern auch um mögliche Wege..
Und wären wir im Schatten gegangen unter Bäumen, die Wege, sie hätten uns zu einer Terrasse geführt, wo wir eine Weile an der Balustrade zögerten, […]
..oder um einen gesuchten Weg zurück in die Zeit
Voll stand der Mond im frühmorgendlichen Blau, das blass wie verschleiert lag auf den Hügeln, während wir suchten den Weg zurück in die Nacht, wo klar und dunkel in ein Plätschern uns hüllte ein Brunnen […]
Variationen in Prosa entziehen sich dem Verstehen und verlangen vielmehr eine Hingabe an den Klang der Worte und den Fluss der Sprache. Für die Gedichte von Michael Donhauser muss man lassen können – die Gedichte sein lassen, wie sie sind und selbst loslassen und sich vom Wind treiben lassen, mit einem Blätterwirbel in das herbstliche Blau aufwirbeln oder sacht einem fast lautlosen Moment der Stille lauschen.
Da wie Silberlinge das rieselnde Laub sich streute über den Asphalt, war licht wie vergänglich, was aufgewirbelt uns betörte oder hinsank und weilte, als gingen wir so umweht von diesem Trödeln wie gehüllt in ein Lächeln, das wir tauschten, […]
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