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Kritik

Applaudierende Brüste

"Der aufblasbare Kaiser" ist ein amüsantes, an Zwischentönen reiches Buch
Hamburg

Ein sehr amüsantes, an Zwischentönen reiches Buch ist Michael Ziegelwagner mit "Der aufblasbare Kaiser" gelungen. Mit Handlung wird man dabei kaum behelligt, das Erzählen überläßt der Autor in guter österreichischer Tradition der bundesdeutschen Nachbarschaft, während ihm eine Fußverstauchung, ein kakanischer Geheimclub – legitimistisch, nämlich der "Legitimität des Erzhauses Habsburg" zuarbeitend – und eine Wanderung fast schon ausreichen, recht heiter die Absurdität der menschlichen Existenz zu skizzieren, deren abstruses Essenz schließlich den eigenwilligen Habsburger-Club fast schon wie eine angemessene Antwort auf fast alle Fragen erscheinen läßt. Auch Vera, der Protagonistin, die eigentlich politisch links steht und außerdem jung ist.

Schnörkelig, aber stimmig wird hier beschrieben, wie das Leben einem über den Kopf wächst. Halt gibt es ja nicht. Ist es auch ratsam, "sich festzuhalten", wie in der Straßenbahn auf einem Schild zu lesen ist - das "Woran" fehlt. Wäre es da, alles wäre zu glatt und verlogen, wie auch Ziegelwagners Protagonistin findet. Aber es fehlt. Der Roman kreist um diese Absenz, darum, dass sich nichts tut, dass man etwa, mit dem Zeigefinger in der Bierflasche Ploppgeräusche machend, mit der eigenen Existenz selbst einen "Kunstfilmregisseur" überforderte. Da man aber gerade hierin sich und alles stört, berührt man, es übertrumpfend, das, was das Leben ausmacht.

Vera – sonst nie dysfunktional, sondern die allen Erwartungen stets entsprechende Tochter, Schwester, Angestellte und auch Liebhaberin – findet sich im Plopp und dem Popanz eines Kaisers wieder. In der Selbstbeobachtung über ihre "applaudierenden Brüste(n)" (die beim Sex nämlich klatschen, weshalb ihr das nächste Mal ein BH angemessen schiene, dazu die Dekonstruktion des Spontanen im Sex) geht es darum; um die Intensität des Suboptimalen und um Rituale als das, was einen Sinn überflüssig zu machen scheint, den es aber ohnehin nicht gibt … Monarchistin, why not?

Was wäre denn die Seele, wenn nicht dieses Feld der Widersprüche und der tragikomischen Schlüsse aus diesen Paradoxien? – "Teile der Seele wandern ständig", so heißt es, sie ist Reflex dessen, dass der Weltgeist seit Hegel nimmer weht. Wenn schon Metaphysik, dann wohl jene, die Adorno Wien nachsagte: im Zeichen einer "Moira der Lässigkeit"… Dem entspricht die gezauste Seele. So eine Seele "wächst, nimmt Schaden, wird schlaff, dehnt sich, schrumpft ein…" Sie kann auch zer- oder stückweise abfallen: "Seelenreste", die vielleicht erklären, warum wir Gegenstände von geliebten Menschen anrührend finden.

Aber nein, das wäre schon wieder melancholisch, hier sind es Seelenreste, 98 Jahre - die Otto von Habsburgs - die ein Hund "aufzuschlecken" unternimmt, sie transformierend: in 686 Hundejahre. Statt Verzweiflung liefert Ziegelwagner etwas, das so tragisch wie Monty Python ist, also vielleicht, ja, tragisch, aber nur dann, wenn man die Widersprüche so lesen will, wie es hier nicht naheliegt. Genauer müßte man sagen, dass die Tragik nicht bagatellisiert oder gar getilgt wird, sie ist als Möglichkeit da. Keineswegs nimmt, wie Daniel Lucas für literaturkritik.de über das Buch notierte, "der geschmeidige Erzählstil […] dem Ganzen die Brisanz"; bloß ist die Tragik keine, die sich ins Metaphysische überhöhen ließe. Sie bleibt optional: eine Sichtweise, nicht die, die alleine bestünde. Das reicht aus, dass statt Melancholie Heiterkeit die Beschreibung durchströmt, wie dem Sinn die Luft ausgeht, während anderes wenigstens aufblasbar ist. Das ist befreiend. Die postkakanischen Ironien dieser Monarchie sind demokratischer als manche gegenwärtige Demokratie.

Ziegelwagner hat kurzum einen lesenswerten Versuch unternommen, sich von dem, was ist – und sinnlos ist –, zu emanzipieren, dem in die Augen sehend sich freizuschreiben, Ironie als Suspension des Kruden betreibend, das in einer kalauergleichen Realität ist, das zynisch zu rechtfertigen scheint, man dürfe auch einen nicht vorhandenen Sinn der Welt exekutieren. Dieses Buch ist ironisch, aber nie zynisch; eine Gratwanderung, die Größe hat. Frei nach Tertullian könnte man die Intention des Buches also so fassen: scribo quia absurdum.

Michael Ziegelwagner
Der aufblasbare Kaiser
Rowohlt
2015 · 256 Seiten · 9,99 Euro
ISBN:
978-3-499-23034-9

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