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Kritik

Das Recht auf Lächerlichkeit

Hamburg

»Der erste fiese Typ« handelt weniger von ersten fiesen Typen als von einer lächerlichen Frau. Mit der zwangsneurotischen Cheryl Glickmann zeichnet Miranda July eine Figur, die ihre Mangelerfahrungen mit abstrusen Phantasmen kompensiert.

Es klingt zuerst wie das Drehbuch zu einem langweiligen Fernsehfilm, der in irgendeinem dritten Programm unter der Woche abends anläuft und sofort wieder in den Archiven verschwindet: Cheryl Glickmann – Anfang Vierzig, unglücklich verliebt und zwangsneurotisch – nimmt die Tochter ihres Chefehepaars auf, eine launische Zwanzigjährige namens Clee. Plötzlich wird alles ein bisschen anders und Cheryl noch mehr. Allerdings schreibt Miranda July mit Der erste fiese Typ keinen Schablonenroman mit emanzipatorischer Message und versöhnlichem Ende, sondern die ebenso brachiale wie merkwürdige Geschichte einer Frau, die sich ihr Recht auf Lächerlichkeit verdient.

Es braucht nicht Clee, um zu erkennen, wie lächerlich Cheryl samt ihrer Zwangsneurosen, sozialer Stockigkeit und absurden Fantasie ist. Am Anfang nämlich steht der Besuch beim Chromotherapeuten, der sie von dem Kloß in ihrem Hals heilen soll, den die Schulmedizin einfach nicht anerkennen will und den sie doch genau spürt. Seit 30 Jahren, seit 40 – sie weiß das nicht einmal mehr. Den Farbtherapeuten hat ihr Phillip empfohlen, über 60 und Vorstandsmitglied in der Firma, die mit Selbstverteidigungskursen für Frauen begann und die ursprünglich feministische Programmatik nun als Fitnessprogramm verkauft.

Cheryl ist in Phillip verliebt und sich sicher: Die beiden haben schon frühere Leben miteinander verbracht. Er denkt ähnlich, hält sie sogar für sein weibliches Ich und macht sie deswegen zu seiner Vertrauten. Cheryl und niemand sonst darf bestimmen, ob und wann Phillip und seine 16jährige Freundin miteinander Sex haben dürfen. Sie spielt das mit, mal aus Verzweiflung und mal aus der Überzeugung heraus, dass er schon zu der Erkenntnis kommen würde, dass sie die Richtige für ihn ist. Lange bevor er aber in ihrem Bett landen wird, zieht Clee samt Stinkfüßen und Fertignudeln bei ihr ein und bringt Cheryls System durcheinander. So nennt diese das Geflecht aus Zwangsneurosen, mit dem sie ihr Leben zu bestimmen meint, obwohl das Gegenteil der Fall ist.

Ob die farbige Tinktur, die Cheryl von Dr. Jens Broyard verschrieben bekommt, überhaupt wirkt, darüber wird im Verlauf von Der erste fiese Typ kaum ein Wort verloren. Der Kloß im Hals, der Cheryl seit Kindheitstagen verfolgt, er ist mit dem Einzug von Clee verschwunden. In Broyards Praxis erscheint sie trotzdem regelmäßig, um sich mit Ruth-Anne zu treffen – drei Mal im Jahr Broyards Empfangshilfe, den Rest der Zeit als Psychotherapeutin Besitzerin der Praxis und gleichzeitig vertraglich in ein absonderliches Abhängigkeitsverhältnis zu ihrem Untermieter eingespannt.

In Ruth-Anne findet Cheryl eine Art Spiegelung ihrer selbst; eine Frau, die ebenfalls von ihrem Geliebten angezogen und dennoch hingehalten wird. Ihr gegenüber kann sie sich öffnen, ihr von den Kämpfen mit Clee erzählen. Es sind keine Wortgefechte, sondern Handgreiflichkeiten. Zuerst zumindest, dann verschiebt sich die Beziehung der Beiden erneut. Und dann noch mal. Am Ende dann hat Cheryl zwar nicht das, was sie anfangs wollte, dafür aber umso mehr. Gerade weil sich für sie viel im Sande verläuft.

Miranda July gelingt mit Der erste fiese Typ, dessen Titel und Rahmenhandlung schon so irreführend sind, ein verwirrendes psychologisches Meisterstück. Cheryl mag zwar lächerlich wirken, es auch tatsächlich sein, jedoch drängt sich im Laufe des Romans immer mehr die Frage auf, warum dem wohl so ist. Ob von Clees Eltern, die ihre Tochter verstoßen, oder von Seiten Phillips: Die Menschen in ihrem Umfeld scheinen alle erdenklichen Schwierigkeiten auf der Frau mit dem Kloß im Hals abzuladen. Während die ihre tiefgründigen Mangelerfahrungen – die Sehnsucht nach Liebe etwa oder das sich in wiederkehrenden Fantasien eines aus Kindestagen bekannten Babys – nicht anders kompensieren darf, als sich abstrusen Phantasmen hinzugeben.

July lässt Cheryl viele Rollen und situationelle Veränderungen durchlaufen, ehe sie am Ende ein beinahe versöhnliches Ende erleben darf, das sich wortwörtlich gesprochen wie aus dem Drehbuch zu einem zweitklassigen, langweiligen Fernsehfilm liest. Im letzten Satz nämlich erklingt Applaus, so wie es sich Cheryl immer ausgemalt hat und wie sie sich es vielleicht auch ganz zu Schluss nur einbildet.

Das macht Der erste fiese Typ nur umso empathischer und damit eindrücklich und damit letztlich so stark: Das Versprechen für ein authentisches, akzeptiertes Ich und damit eine Emanzipation vom Verlangen und seinen Fallstricken, wird eingelöst. Es wird nicht einmal abgegeben. Was zugleich heißt, dass sich Cheryl, die alles Fremde mit ähnlich argwöhnischen Augen betrachtet wie ihr Publikum wohl auf sie blickt, sich das Recht auf Lächerlichkeit verdient, ohne gegen etwas anzukämpfen, das sie nicht besiegen könnte. Es liegt eine ungemeine Stärke in dieser scheinbar resignativen Geste Julys. Was von diesem Roman überbleibt, ist ein absonderliches Glücksgefühl, so merkwürdig wie Cheryls Geschichte.

 

 

Miranda July
Der erste fiese Typ
Aus dem amerikanischen Englisch von Stefanie Jacobs
Kiepenheuer & Witsch
2015 · 336 Seiten · 19,99 Euro
ISBN:
978-3-462-04770-7

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