In der Kunst der Folter sehr fortgeschritten
Als die Sandelholzstrafe 2009 in der deutschen Übersetzung erschien, war Mo Yan noch ein ganz normaler chinesischer Schriftsteller. Nachdem er 2012 den Nobelpreis für Literatur erhalten hat und monatelang darum gestritten wurde, welchen politischen Stellenwert diese Vergabe hat, fällt es schwer, sich wirklich auf das Buch zu konzentrieren und all die Diskussionen um Zensur, Anpassung und mögliche Auflehnung außen vor zu lassen.
Dennoch sollten Rezensionen das leisten; einen Unterschied zu machen, zwischen Literatur und der Person, die sie hervorbringt. In der Wochenzeitung Nanfangzhoumo sagte Mo Yan selbst: „Im Alltagsleben bin ich ein Feigling. Nur beim Schreiben bin ich tapfer, mutig und lüstern.“
Beim Schreiben ist Mo Yan außerdem jemand, der die chinesische Geschichte verarbeitet, mit all ihren grausamen Momenten und den Bedingungen, die es den Chinesen so gut wie unmöglich machen, anständige Menschen zu bleiben.
Immer ist dabei das Dorf Gaomi in der Provinz Shandong der Schauplatz, an dem sich die Geschichten abspielen. In Gaomi wurde Guan Moye 1955 geboren, dort wuchs er auf und saugte sich mit den Geschichten der Bauern und einfachen Leute voll. Mo Yan ist ein Pseudonym, das übersetzt so viel wie „nicht sprechen“ bedeutet.
Auch die Sandelholzstrafe, die, wie der Autor selbst im Nachwort verrät, auf der gleichnamigen Oper beruht, spielt in Gaomi.
Erzählt wird die Geschichte einer großen Katastrophe, die sich in der kleinen Tragödie einer Familie spiegelt, mit vielen Stimmen. Den Stimmen der Hauptakteure, der Stimme eines neutralen Erzählers und laut Mo Yan hauptsächlich durch die Stimmen der Oper und der Eisenbahn.
Das Buch beginnt mit Monologen der Hauptakteure, nachdem das Urteil der „Sandelholzstrafe“ bereits verhängt worden ist.
Im zweiten Teil erfährt der Leser, wie es zum Urteil gekommen ist und schließlich geht es um die Ausführung der Sandelholzstrafe.
Nachdem Sun Bing den ersten Schlag, den Verlust seines prächtigen Bartes, verwunden hat, beginnt er mit „Kleiner Pfirsich“ ein neues Leben, als ehrlicher, friedlicher Mann und liebevoller Vater von Zwillingen. Dann jedoch erschlägt er einen deutschen Soldaten, der seine Frau belästigt hat, woraufhin deutsche Soldaten seine Frau und die Kinder tötet, sein Haus niederbrennt und Dutzende unbeteiligter Dorfbewohner meuchelt. Sun Bing schließt sich daraufhin den Boxern an, einer Bewegung, die sich ursprünglich gegen die westlichen Missionare zur Wehr setzte, aber zwischen 1896 und 1902 zu Rebellen gegen die Ausländer wurden, seit 1900 attackierten die Boxer auch die von den Ausländern errichteten Eisenbahnlinien. Mit mythisch angereichertem Kampftaktiken ausgerüstet, kehrt Sun Bing nach Gaomi zurück und versammelt eine Armee hinter sich, mit der er die Deutschen und ihr geplantes Schienennetz bekämpfen will. Damit beginnt sein Untergang, vor dem ihn auch seine Tochter Mejniang, die ein Verhältnis mit dem Präfekten hat, nicht retten kann.
Die Sandelholzstrafe wird schließlich nicht allein über den Delinquenten Sun Bing, sondern über dessen gesamte (verbliebene) Familie verhängt. Alle Fäden laufen hier zusammen und während der Sandelholzstab, der quer durch Sun Bings Körper getrieben wurde, ihn langsam tötet, finden auch die übrigen Familienmitglieder zum Ende ihre Tragödie: Sun Bings Tochter Mejang, der Schwiegersohn Xiaoja, der seinem Vater dem Henker, bei dieser Folter assistieren muss, und auch Quian Ding, der Liebhaber Mejangs.
Mo Yan, der zu den Vertretern des magischen Realismus gezählt wird, erzählt anschaulich, bildreich und, insbesondere was die Folterszenen angeht, sehr detailliert. Die Sandelholzstrafe ist voller fantastischer Geschichten, Xiaoja, der Schwiegersohn des Verurteilten und Sohn des Henkers, sieht Tiere in seinen Mitmenschen, die von den Deutschen verlegten Eisenbahnschienen funktionieren durch unter die Gleise gelegte Zöpfe, die den Chinesen abgeschnitten wurden. An einer Stelle des Buches bemerkt der deutsche Generalgouverneur, „daß China zwar ein rückständiges Land sei, aber in der Kunst der Folter sehr fortgeschritten.“
So bewegt sich auch Mo Yans Roman zwischen der Tradition der Katzenoper und der dörflichen Geschichten, und der Fortschrittlichkeit und dem Ideenreichtum grausamer Foltermethoden.
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