Gehen und Kommen und dazwischen die Liebe
"Die Liebe sucht man sich nicht aus, mein Herz", sagte ihre Großmutter immer. "Sie streichelte mir über die Wange. Ich lächelte sie an und sagte: Es muss aufhören." Aber es hört nicht auf. Es geht immer weiter. Und es wiederholt sich. Die Männer wechseln, aber die Liebe hat immer wieder nur ein ähnliches Gesicht, sie tauscht nur die Partner aus.
Jedenfalls bei Monique Schwitters Romanheldin und Ich-Erzählerin. Irgendwann an einem Freitag im Januar sitzt die Schriftstellerin, verheiratet, zwei Kinder, eine Hündin, vor ihrem Computer und denkt: Was ist eigentlich aus meinen Verflossenen geworden? Sie googelt ihre erste Liebe, Petrus, und muss feststellen, dass er sich vor vier Jahren aus einem Fenster gestürzt hat. Natürlich beginnen jetzt die Erinnerungen zu fließen, eine Ansichtskarte mit dem Heiligen Christophorus, die sie aus einer Schublade holt, lösen sie aus: "Ich fahre mit dem Finger über Christophorus' Gewand, greife nach einem braunen Rockzipfel, schließe die Augen und lasse mich forttragen. Jene Tage des Erstenmals. Es ist Winter, unser erster Winter. Petrus und ich zu Besuch bei Marcs Eltern, während der Weihnachtsferien 1992, in ihrem Ferienhaus in den Bergen." Sie erinnert sich, wie sie ihn kennengelernt hat, wie sie mit seinen Brüdern durch den Schnee gestapft ist, sie ohne richtige Schuhe, weil sie eben ein Stadtkind war und nur Pumps mithatte und die geliehenen Stiefel nicht passten. Sie erzählt die Geschichte dieser ungleichen Brüder, ihre kurze Affäre mit Andreas, einem von ihnen, mit dem sie Petrus betrog. Und auch das Ende der Liebe.
Und, da die Ich-Erzählerin Schriftstellerin ist, beginnt sie diese Geschichte aufzuschreiben. Man kennt diese Konstruktion, dass ein Schriftsteller schreibt, dass er eine Geschichte schreibt. Meist ist das langweilig, denn man will ja doch die Geschichte lesen und nicht seine Probleme damit. Schwitter aber gelingt es, mit diesem Teil so zurückhaltend zu bleiben, dass auch das ein Teil der Geschichte wird. Dass man zu überlegen beginnt, was davon alles erfunden ist - sie ist ja Schriftstellerin, die davon lebt, Geschichten zu erfinden. Einmal beschreibt sie diesen Part, als sie bei einer Lesung etwas vorträgt, als Ich-Erzählerin, und merkt, dass die Zuhörer meinen, etwas Autobiografisches zu hören. Und so stimmt auch das mit den zwölf Liebhabern nicht: "Zwölf ... Ich denke nach und überschlage kurz. Wenn ich Kurs halte und chronologisch fortfahre, ist mein Mann voraussichtlich gerade einmal Nummer fünf. Aber kann es denn nicht sein, dass sich unterwegs, beim Schreiben, eine Lösung findet?"
Die Geschichte jedenfalls ihrer zwölf Liebhaber, der Reigen ihrer Männer, die wie die 12 Apostel heißen, geht unterhaltsam und anrührend weiter, manches analysiert sie, manches lässt sie unverbunden und geheimnisvoll stehen wie die seltsame Undine-Erzählung von la Motte-Fouqué, die Johannes mit den blauen Husky-Augen von sich gibt, den sie in Berlin trifft, als sie zu ihrer Freundin Regine flüchten will, der sie auf einen Friedhof schleppt und in eine Bar, wo sich herausstellt, dass er Regine auch kennt.
Manches andere ist genauso skurril. Wie ihr Spaziergang mit Nathanael durch einen Wald bei Buxtehude, wo sie zusammen das zukünftige Grab seiner Eltern unter einem Baum suchen und nicht finden. Wo er ihr erzählt, dass sein Vater neben der demenzkranken Frau auch eine Geliebte hat und sie beschlossen haben, sich dort nach ihrem Tod zu viert niederzulassen: eine ganz pragmatische Sache, diese Liebe.
Klug und erfindungsreich streift Schwitter alle möglichen Spielarten der Liebe: Der kurze Sex auf einer öffentlichen Toilette, die quälerische Liebe mit Jakob, der Schauspieler ist und sie Regisseurin und deren Liebes- in eine Fernbeziehung übergeht, die sich mal auflöst, dann wieder enger wird. Da ist der überaus sanfte Thomas, der sie tröstet und auch für ihre beiden Kinder da sein will, oder der etwas eklige Regisseur Tadeusz, der perverse Sexspiele liebt. Oder der schöne Mathieu, 17 Jahre alt, den sie in Hamburg unterrichtet, mit dem sie flirtet, sich aber nicht küssen lassen will. Und natürlich Philipp, ihr jetziger Mann und Vater der beiden Kinder, "der große Kleine" und der "kleine Kleine", ein Bühnentechniker, in den sie sich heftig verliebte. Leider ist er, wie schon sein Vater, spielsüchtig und ruiniert die Familie gründlich, verspielt sogar das Sparbuch des Kindes.
Schwitter verpackt all das in einen Roman, der leicht geschrieben und leichtfüßig erscheint, der seine Abgründe manchmal versteckt, manchmal andeutet, manchmal ausführt. Ihr Reigen ist ein Kommen und Gehen, wie in Becketts gleichnamigem Stück, das die Ich-Erzählerin einmal inszeniert: Drei Personen sitzen auf einer Bank, und wenn eine davon geht, erzählen sich die anderen flüsternd Geheimnisse über die Abwesende. In Schwitters Roman sitzen die Ich-Erzählerin, ihr jetziger Liebhaber Petrus und ihr nächster, Jakob, nebeneinander. Und während sie zuschauen, nehmen Jakob und die Ich-Erzählerin Fußkontakt auf. Und später schreibt sie einmal abtupt von "Jakob, der gerade erfahren hatte, dass er mein Ex-Freund war".
Ziemlich gegen Schluss erzählt sie noch von einer anderen Beziehung, einem anderen Gehen und Kommen: Als sie vor ihrer Familie nach Zürich geflohen ist, erzählt sie vom Sterben ihres Bruders, gequält und wütend ist er gegangen, und sie schreibt: "Ich schreibe, seit Du gegangen bist." Und ihr jüngster Sohn hat die Augen dieses Bruders.
Schwitters Roman changiert zwischen Trauer und Trost, schwingt vom Tod zum Leben. Aber nicht in der platten Art eines Coelho, sondern voller Leben, voller Geschichten, voller hakenschlagender, witziger, lebenspraller und lustvoller Sprünge und Wendungen. Und man verzeiht ihr deswegen sogar ihren letzten, doch etwas kitschig geratenen Satz: "Ich habe gehen gelernt."
Monique Schwitter wurde 1972 in Zürich geboren, war viele Jahre Schauspielerin in Österreich und Deutschland, hat einen Mann, zwei Kinder und eine Hündin, wie im Roman. Im Bachmann-Preislesen blieb sie erfolglos, jetzt ist sie für den Deutschen Buchpreis nominiert.
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