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ostra-gehege Zeitschrift für Literatur und Kunst
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ostra-gehege Zeitschrift für Literatur und Kunst
Kritik

Kammern

Hamburg

Im letzten Jahr ist ein neuer, ein zweiter Gedichtband von Norbert Lange erschienen. Erst der Zweite meint man, weil man den Dichter unermüdlich arbeiten sieht, als Herausgeber, als Übersetzer und eben auch als Dichter. Wobei, wie ich finde, das eine in das andere übergeht, die Grenzen offen sind für Einflüsse, ganz wie es sich gehört.

Langes Oppenübersetzung haben wir hier bereits ausführlich besprochen, und auch das von ihm betreute Dossier über neuere britische Dichtung gewürdigt. Jetzt steht es an, noch einmal auf den Band Das Schiefe, das Harte und das Gemalene hinzuweisen. Es handelt sich schließlich um einen der konstruktivsten Gedichtbände des letzten Jahres.

Dass er wenig besprochen wurde, ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass er sich einem unmittelbaren begrifflichen Zugriff entzieht. Er ist nicht auf einen Punkt zu bringen.

Aber das weiß er:

heute morgen verschiebt es die Stadt
indem es Anflug nimmt, es schiebt die Zeit
beiseite, legt dort Einkaufszeilen ab

Dieser Text weist schon am Anfang dezent darauf hin, was den Leser erwartet. Eine Art lyrische Tektonik.

Auffällig hier, dass sich Lange als Kondensator erweist. Er ist von Dichtung durchdrungen, und nicht nur von Dichtung.  Mit beiden Händen greift er in die Kunstgeschichte.  Zeit wird dabei zu einer virtuellen Angelegenheit, als seien alle Abläufe Rekonstruktion, im Nachhinein von uns vorgenommene Anordnung.  Wir treffen den Maler Holbein, treffen zeitgenössische Autoren, Nachrichtenmeldungen, Politik, und treffen Antike. Kräftig durchmischt auch mit Höhlenzeichnung.

hier: diese Unterschrift
auf dem Fels bin ich;
diese Lehmhand
das bin ja ich.

So heißt es am Ende des GedichtesANCIENT und der nächste Text trägt den Namen Roots und endet folgendermaßen:

Mein ganzer Körper ist nichts
als Augen. Seht ihn an.
Habt keine Angst!
Ich blicke in alle Richtungen.

Alles, so scheint es, ist Dichtung, und Dichtung ist Welt. Und was man auch anschaut, es schaut zurück.

Kunst als Verfahren heißt ein berühmter Aufsatz des Russischen Formalisten, Schriftstellers und Theoretikers Viktor Schklowski, ein Text, der meiner Meinung nach das literaturtheoretische Zwanzigste Jahrhundert eröffnete, das, auch meiner Meinung nach, noch immer anhält, und ich bin Norbert Lange dankbar, dass er mir durch seinen Gedichtband die Möglichkeit gibt, diesen Aufsatz zu zitieren:

Je tiefer man in eine Epoche eindringt, desto klarer wird einem, dass ein Dichter Bilder, die man für sein geistiges Eigentum gehalten hatte, von anderen übernommen hat, und sie fast unverändert verwendet. Die ganze Arbeit dichterischer Schulen läuft hinaus auf das Anhäufen und Kundtun neuer Verfahren der Anordnung und Bearbeitung von Wortmaterialien, und zwar bei weitem mehr auf die Neuanordnung als auf die Erfindung von Bildern.

Nicht dass die Zeit mir lang geworden wäre, nach Langes Debutband Rauhfasern, der 2005 in der Lyrikedition 2000 erschienen ist, es gab ja hin und wieder etwas über den Autor zu vermelden. Den sehr schönen Essayband beispielsweise, der bei Reinecke und Voss erschien, und der „Das Geschriebene mit der Schreibhand“ hieß, und die bei Luxbooks erschienenen Übersetzungen von Prufer und vor allem Oppen. Nicht zu vergessen  auch das wundervolle Olson-Schreibheft, das er herausgegeben hat. Wann macht der das bloß, könnte man fragen, oder wie macht er das. 

Es muss ein Brodeln gewesen sein unter dem Kopfdeckel, ein Überdruck, der ein Getriebe langsam in Bewegung setzt, es zum Laufen bringt, nicht mehr zu stoppen, wird die Kraft erst einmal auf die riesigen Stahlräder übertragen, die auf Schienen sitzen.

Kunst erzeugt Kunst, und Dichtung bringt Dichtung hervor, und Lange scheint das Diktum Lew Schestows verinnerlicht zu haben, wonach die Kunst ein Anstoß ist, eine Anregung zu eigenem Schöpfertum, denn wenn man bloß genieße, diene man nicht der Sache des Künstlers, sondern würde zum Parasiten.

Norbert Lange ist die Steammachine der deutschen Literatur der Gegenwart, und die deutsche, amerikanische und englische Dichtung, die in papiernen Blöcken lagert, ist sein Treibstoff, seien es Barockdichter, seien es die zeitgenössischen Sprachakrobaten, seien es die sich ewig streitenden Briten. Sie allesamt setzen ihn unter Dampf.

Und Lange ist Techniker, das Verfahren ist ihm wichtig, die Herangehensweise und die Verfertigung des Materials werden somit auch Gegenstand seiner Essays. Pastiches und Überschreibungen. Man wird im Band kaum einen Brocken finden, der, sagen wir, roh ist, unbehauen. Jedes Wort ist Gestalt, Bildung und Umbildung, bis in den Kontext hinein, dem es entnommen. Und auch dieser Kontext wird rückwirkend umgebildet, ob der Text der Betrachtung eines Bildes von Holbein entspringt, ob er sich eines Slangausdrucks bedient, oder eben, wie es  vorkommt, beides mischt. Und ich werde ein Holbeingemälde nie wieder so betrachten können, wie ich es vor der Lektüre der Langeschen Texte tat.

„Das Spielbein / Standbein, dieser Typ
mit Lanze / Sense lässig auf den
Sensentresen lehnt: Der Knochenmann
der den Kiefer lässig kreisen lässt,

Und eben das ist es, Spielbein/Standbein. Die Überlieferung gerät in Bewegung und wird in einen Bezug zur Aktualität gesetzt. So alt das Material auch ist, so von fern hergeholt, nach seiner Bearbeitung erscheint es zeitgemäß und nah. Weil Lange in die Worte hinein hört, eindringt, nahe und auch ferne Konnotationen entdeckt, wahrnimmt, und uns preisgibt, bis hin zu sozialen Konstellationen, die im Sprachgebrauch mitschwingen. Er deckt Geschichte auf und macht sie zum Erlebnis, wie das Wort, sein Klang Erlebnis ist, das die Geschichte birgt.

Norbert Lange
Das Schiefe, das Harte und das Gemalene
Luxbooks
2012 · 124 Seiten · 22,00 Euro
ISBN:
978-3-939557-66-1

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