Geprügelte Sprache und schlechte Gedichte
Der Titel ist eine assoziative Verknüpfung von Bob Dylans Song „Dignity“ und dem Gedicht „Fadensonnen“ von Paul Celan. Norbert Sternmut will es so verstanden wissen: „Die Würde am Faden, am seidenen womöglich – auch am roten.“ Da wär es doch gewesen: Die Würde am Faden – aber „Fadenwürde“? Das Bild sucht nach Inhalt und findet nichts Brauchbares. Würde im Fadenschein, ein Faden, der sehr würdig herumhängt? Rechts und Links bedroht von Luft? Von welchem Gewebe? Und ist noch dazu aus Seide und hält statt Roßhaar das Damoklesschwert. Die Bedrohung als Würde? Die Würde der Bedrohung? Die bedrohte Würde? Der rote Faden der Würde, der alles durchzieht, ist so mickrig, daß er jederzeit reißen und unglaubliches Unheil über uns hereinbrechen kann. Das Unantastbare kann doch und immer wieder mit einem kleinen Tun von uns gerissen werden. Wir kommen der Sache auf die Spur. Das ist unser Job, meint Sternmut. Denn sie findet uns nicht, seine Sache, wir müssen ihr hinterher wie ein Detektiv dem Täter. Ein schlechtes Zeichen.
Natürlich ist das mit der Würde und dem krummen Bild übertrieben. Doch nur, weil es Übertreibung zuläßt. Sternmuts Bilder sind übertrieben. Knallbonbons, die nach nichts schmecken außer nach Schießpulver oder fadenscheinigen Delikatessen. Als „Wortakrobat“ turnt er durch die lokale Presse und hat es unlängst sogar zum Wiener Werkstattpreis in der Sparte Lyrik geschafft. Mehr als unsaubere Figuren und befremdliche Saltos und Schrauben kann man selten ausmachen.
„Befurcht aus Niemandserde abgenabelt / der hingeworfenen Seinslücke“, „bricht das blinde Gedärm ins Erdreich / die Glockenhülle sie hält den Giftpfeil.“ – so geht das tatsächlich in einer Tour durch das gesamte Buch, jedes Gedicht auf Kosten der Klarheit und der Freude mit Bildern zugeschmissen bis es nicht mehr atmen kann. „Eidechse der Nulllinie gründlich / dass es ist wer ich bin dass ich schuf / was ich litt im Moor der Torfangst“ – bis auf den zweiten Vers gehört hier alles weg, das Reptil und das Moor, die Angst zu vertorfen oder die Angst vor dem Torf?? und auch die Nullinie (die Sternmut gerne als Bild bemüht, auch schon im 1998er Band „Absolut, Du“). Hierher gehört die Scheißangst vor dem Versacken und dem Ende.
Daß man sich Lyrik auf ichüberspannten Flugreisen zurechtbasteln kann, wissen wir nicht erst seit Sternmut. Aber er zeigt es mit einer Bravour und Ausgeprägtheit, noch dazu einer Ernsthaftigkeit, daß es ein Graus ist. Daß wir mit unserem Gehirn einen ganz brauchbaren und abenteuerlustigen Apparat dafür besitzen, der beim Denken sogar lustvolle Momente bescheren kann, sobald sich Passungen zeigen und sich die Suche nach System und Gültigem entspannt, das macht einen Großteil der Freude aus, die wir beim Basteln haben. Vergessen sollten wir darüber nicht, daß die Lyrik und ihr Sprachgeschehen nicht unser Exekutivorgan und Scherge ist eigener bildgewaltiger und wortgewaltiger Potenz, sondern daß wir das Potential sind, durch das ein Gedicht sich verwirklichen kann. Wir sind das mögliche Gedicht. Sternmut prügelt die Sprache dorthin, wo sie – ganz umgekehrt gedacht - ihn möglich macht – den Akrobat und Zauberer, den Magier im Feuer der Zeit, der mit den Worten den Rausch und die flackernden Wahrheiten durch die Beschwörungen reißt. Pulver, Rauch und Verpuffung. Große Geste. Und am Ende doch nur abziehender Nebel und Gestank.
Kein gutes Buch, keine gute Lyrik.
Fixpoetry 2009
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