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Kritik

Am Ende der Sumpf

Oskar Roehler und der Berliner Underground der 1980er Jahre
Hamburg

Am Ende von „Herkunft“, Oskar Roehlers 2011 erschienenen Roman über seine Kindheits- und Jugendjahre, entscheidet sich der Protagonist Robert für ein Leben in Berlin – und gegen seine Jugendliebe Laura. Wie folgenschwer dieser Schritt ist, kann man nun in Roehlers neuem Roman mit dem treffenden Titel „Mein Leben als Affenarsch“ nachlesen. Und da Roehler bekanntlich auch Drehbuchautor und Regisseur ist, hat er das Buch gleich selbst verfilmt. „Tod den Hippies – Es lebe der Punk!“ kommt am 26. März in die Kinos.

Um es vorwegzunehmen: „Mein Leben als Affenarsch“ kommt was Handlung, Charaktere, Milieubetrachtung und literarische Qualität betrifft nicht an das Niveau des Vorgängers heran. War „Herkunft“ ein verschlungenes Werk, in dem bundesrepublikanischer Nachkriegsmief, Literaturgeschichte, Familientragödie und individuelle Entwicklung meisterlich ineinander verwoben waren, hat man bei Roehlers neuem Buch streckenweise den Eindruck, der Autor habe sich Charlotte Roches Roman „Feuchtgebiete“ als Schablone vorgenommen.

Die körperlichen Selbstinspektionen Roberts auf dem heimischen Badezimmerboden füllen deutlich mehr Seiten als einem lieb ist; dasselbe gilt für die im wahrsten Sinne des Wortes Sturzbäche aus Sperma, die zu entfernen sein Job als Putzer in einer heruntergekommenen Westberliner Peepshow mit sich bringt. Dort lernt er auch die Prostituierte Nina kennen. Die Beziehung ist schnell erzählt: „Wir ficken, prügeln, trennen uns, ficken, prügeln, trennen uns.“ Allerdings machen die dazugehörenden Details einen Großteil des Buches aus. Ununterbrochen wird übereinander hergefallen, werden „Löcher gestopft“, „von vorne, von hinten“, mit „Gurken, Bananen, Dildos“, es wird „gestöhnt und geschrien“, wovon am Ende „von Striemen, Kratzern und blauen Flecken“ und mit „Schweiß, Smegma, Sperma, Scheiße, Urin und Blut“ überzogene Körper eindrucksvoll Zeugnis geben. Was anfangs noch unterhaltsam ist, wird schnell anstrengend, bevor man schließlich, dem stakkatohaften Treiben überdrüssig, nur noch weiterblättert.

Dass Roehler es besser kann, steht außer Frage. Das hat er mit „Herkunft“ bewiesen. Und auch im neuen Roman schimmern immer wieder vielversprechende Passagen durch – nur werden sie leider nicht weiterverfolgt und verpuffen ins Anekdotenhafte. Etwa Roberts kurze Rückkehr in die fränkische Provinz, und sein Entsetzen, als er Laura, die mittlerweile bei der Gemeindeverwaltung arbeitet, zwar wiedertrifft, aber nicht wiedererkennt. Oder der kurzfristig gefasste Plan, der schriftstellernden Rabenmutter den Gar auszumachen, nachdem diese in einem Fernsehinterview den eigenen Sohn praktisch für tot erklärt hatte. Und nicht zuletzt die Beweggründe, die Robert und viele andere seiner Generation in den frühen 1980er Jahren nach Westberlin verschlagen haben: Der Wunsch zu fliehen, vor den „fleißigen, spießigen Kleinbürgern aus Schwaben, die jetzt so tun, als wären sie Ökos“, in Wahrheit aber heuchlerische Karrieristen sind, „nicht besser als ihre Nazi-Großeltern, genauso kaltherzig und berechnend und ehrgeizig.“

Anstatt jedoch derlei selbst ausgelegte Fäden weiterzuspinnen und dem Roman dadurch inhaltlich Gewicht zu verleihen, fällt Roehler immer wieder in die Beschreibung des Westberliner Drogen-, Suff- und Sexsumpfs zurück – und versäumt es damit, das Buch zu schreiben, das hier hätte angelegt sein können.

Oskar Roehler
Mein Leben als Affenarsch
Ullstein
2015 · 224 · 18,00 Euro
ISBN:
13 9783550080425

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